Massenvernunft statt Chaos

Das Phänomen der Massenvernunft. Welche Ideen werden die Menschen entwickeln, wenn die Machenschaften der Finanz-Gangster das Wirtschaftssystem und den Staatshaushalt, also unsere Steuergelder, noch weiter absaugen?
Titelbild
Foto: Patrick Hertzog/AFP/Getty Images
Von 31. Juli 2009

1984 in Berlin begegnete es mir zum ersten Mal: das erstaunliche Phänomen der „Massenvernunft“. Auf dem damals freien Feld vor dem Reichstagsgebäude veranstaltete André Heller, das Wiener Allroundtalent, ein spektakuläres „Feuertheater“. Eine halbe Million Besucher rollten bereits Stunden vorher mit Bussen und Bahnen an und zogen auf die grüne Wiese um dort der zauberhaften Dinge zu harren, die da kommen sollten.

Und so kam es auch: Musik und Feuerwerk hoben die Stimmung und das Volk war begeistert. Der Heimweg begann im Gedränge, langsam – sehr langsam – schob sich die Menge voran. Nach einer Stunde begann neben mir ein älterer Mann ungeduldig zu werden und die Nachbarn ein bisschen anzumachen. Doch ohne Erfolg. Es war förmlich zu spüren, wie sich alle bemühten, Frieden und Ruhe zu bewahren.

Die Aggressionen liefen ohne ein lautes Wort einfach ins Leere und die Menschenmasse mit Kindern, Alten und Jungen, Frauen und Männern schob sich geduldig weiter. Wenn es nur das geringste Gerangel gegeben hätte, so konnte sich jeder ausmalen, was für ein auswegloses Chaos entstanden wäre. So taufte ich innerlich dieses Phänomen „Massenvernunft“. Ich war tief beeindruckt von der Vernunft und der Fähigkeit dieser 500.000 Menschen, ohne Zwischenfälle das Feld wieder zu räumen eingedenk der Worte des slowenischen Aphoristikers Zarko Petan „Volksmassen sind wie Lawinen, schon ein Schrei kann sie in Bewegung setzen.“

In Berlin mit seinen vielen Besucher gab es seither viele Beispiele solcher Massenvernunft. Der Fall der Mauer 1989 war bei aller überwältigenden Freude und trotz des Schlachtrufs „Wahnsinn“ auch ein Ereignis der Massenvernunft, welches letztlich mit Umsicht und Rücksichtnahme ablief. Die Leipziger hatten es in ihren Rufen „ohne Gewalt“ in den Monaten davor ebenso gehalten, gipfelnd in dem Ruf: „Wir sind das Volk“.

Selbst die Fanmeilen bei der Fußball-WM 2006 mit bis zu einer Million freudetrunkener Fans, oder die seit 1989 stattfindenden Riesenpartys zu Silvester rund um das Brandenburger Tor, waren getragen von einer unterirdischen stillschweigenden Übereinkunft, die heißt: Wir wollen leben und leben lassen.

Was das jetzige Chaos im Berliner S-Bahnverkehr angeht, hervorgerufen durch vernachlässigte Kontrolle der technischen Sicherheit, so musste selbst die Boulevardpresse umschwenken von den wüsten Beschimpfungen gegenüber der Stadtregierung hin zu verwunderter Anerkennung der Berliner Fahrgäste. 1,3 Millionen nutzen täglich die S-Bahn, die einsetzenden Ferien verminderten den Druck der Massen etwas, aber das eigentliche Wunder ist wieder diese Massenvernunft, mit der die Opfer der Schlamperei sich ihre Lebensqualität erhalten und neue Wege suchen, oder die Enge in den Zügen ertragen.

Bleibt noch die Frage, ob und wie in den kommenden Monaten die Menschen hierzulande diese „Massenvernunft“ anwenden, wenn es um die Schweinegrippe oder um die Finanzkrise geht? Und welche Ideen werden die Menschen entwickeln, wenn die Machenschaften der Finanz-Gangster das Wirtschaftssystem und den Staatshaushalt, also unsere Steuergelder, noch weiter absaugen.

Da geht es ja nicht um fröhliche Ereignisse wie Feuerwerk, Mauerfall und Fußballspiele. Werden die „Massen“ nur dazu schweigen, oder mit aller Vernunft auch nach dem Staatsanwalt rufen? Rufen, dass Verantwortliche auch tatsächlich Verantwortung übernehmen müssen und dass unsere Zukunft und die unserer Kinder und Enkel nicht noch mehr ruiniert wird?

Erschienen in The Epoch Times Deutschland  28/09



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion