Nimm’s leicht – auch wenn ein Klavier zu tragen ist

Unternehmer sein – nur wenn man mit Herzblut dabei ist
Titelbild
„Wenn jemand sagt, das schafft ihr nicht alleine, dann wird erst recht an einer Lösung gearbeitet. Es ist wie bei einem Gewichtheber, der immer noch ein Kilo mehr auflegt.“ Herrmann & Hertel bei der Arbeit. (Foto: Steffen Andritzke/Die Neue Epoche)
Von 13. März 2006

Zugegeben, es gibt Berufe, die nicht ganz so anstrengend sind wie Klavierträger und bei denen man sich seine Brötchen leichter verdienen kann. Jeder muss in der heutigen Zeit viel arbeiten, um sein Geld zu verdienen und Jobs, bei denen man sein Geld im Schlaf verdient, sind heutzutage eher selten. Trotzdem, um Flügel oder Klaviere von „A“ nach „B“ zu transportieren, bedarf es schon besonderer Anstrengungen und man(n) muss schon aus besonderem Holz geschnitzt sein, um bei dieser Arbeit das zu verkörpern, was gemeinhin gern als „belastbar“ und „stressresistent“ bezeichnet wird.

„Wenn jemand sagt, das schafft ihr nicht alleine, dann wird erst recht an einer Lösung gearbeitet. Es ist wie bei einem Gewichtheber, der immer noch ein Kilo mehr auflegt.“ Herrmann & Hertel bei der Arbeit. („Wenn jemand sagt, das schafft ihr nicht alleine, dann wird erst recht an einer Lösung gearbeitet. Es ist wie bei einem Gewichtheber, der immer noch ein Kilo mehr auflegt.“ Herrmann & Hertel bei der Arbeit. (Foto: Steffen Andritzke/Die Neue Epoche)

Erst lange nachdem die Künstler ihren tosenden Applaus entgegengenommen haben, beginnt die Arbeit der Klavierträger. Nun muss das kostbare Instrument wieder von der Bühne getragen, verpackt und zurück zu seinem Besitzer gefahren werden. Erstaunlich, dass die Firma „Herrmann & Hertel“ aus Mülheim an der Ruhr bei dieser Arbeit mit nur zwei Trägern auskommt, die gleichzeitig auch noch die Inhaber dieser Firma sind. Sehr erstaunlich, denn die Instrumente, welche die Herren Herrmann und Hertel alleine von der Bühne tragen, wiegen mal eben so zwischen 200 und 850 kg.

Jedes Treppenhaus kann eine neue Herausforderung sein

„Konzertflügel auf die Bühne und wieder herunter zu tragen, ist eigentlich leicht“, sagt Pascale Hertel „da hatten wir schon ganz andere Aufträge. So zum Beispiel bei Dr. T. in Duisburg, als wir einen Flügel, der 2,20 m lang war und 400 Kilo wog zu zweit in den fünften Stock tragen mussten.“ Klaviere und Flügel an die Kunden auszuliefern macht den beiden am meisten Spaß. „Man weiß nie, was einen erwartet, auf was für Kundschaft man trifft und auf welche Herausforderungen wir im nächsten Treppenhaus stoßen“, sagt Stefan Herrmann. Pascale Hertel sieht seine Arbeit eher als sportliche Herausforderung: „Wenn jemand sagt, das schafft ihr nicht alleine, dann wird erst recht an einer Lösung gearbeitet. Es ist wie bei einem Gewichtheber, der immer noch ein Kilo mehr auflegt. Geht nicht gibt’s nicht bei uns. Außerdem ist das Tragen vor allem auch eine Frage der Technik. Und die beherrschen wir!“

Da sitzen diese beiden Muskelpakete nun vor mir und auf die Frage nach dem schwersten Flügel, den sie je zu zweit getragen haben, muss mir die knappe Auskunft „450 Kilo“ reichen. Die beiden reden vom Tragen der schweren Instrumente in einem solchen Ton wie andere davon sprechen, dass sie mal eben zu Feinkost-Albrecht gehen um eine Tüte Staubzucker zu holen.

Schon mal bis zu elf „Klangkörper“ täglich

„Wir organisieren alles am liebsten selber. Dann wissen wir wenigstens, dass es mit dem Timing auch klappt.“ („Wir organisieren alles am liebsten selber. Dann wissen wir wenigstens, dass es mit dem Timing auch klappt.“ (Foto: Steffen Andritzke/Die Neue Epoche)

Trotzdem kann man den Stolz auf das, was sie schon geleistet haben, förmlich greifen. Bei sechs Klavieren oder Flügeln pro Tag durchschnittlich, kommt in 14 Jahren ganz schön was zusammen. In der Weihnachtszeit können es auch schon mal bis zu elf „Klangkörper“ täglich werden. Aber gerade diese Erfahrungen machen „Herrmann & Hertel“ auch so sicher und kompetent, wenn sie Instrumente transportieren deren Wert so zwischen 3.000 € und 300.000 € liegt. „Wir haben ein sehr gutes Augenmaß und können aufgrund unserer Erfahrung schnell erkennen, was machbar ist und was nicht. Einmal sollten wir ein Klavier bei einem Kunden abholen und stellten fest, dass das Treppenhaus durch Umbauten viel zu klein geworden war, um das Teil da wieder rauszuholen. Da haben wir es einfach an Seilen den Balkon herunter gelassen. Dabei hab ich mir zwar den Finger gebrochen, aber das Klavier ist sanft auf dem Erdboden gelandet“, erzählt Stefan Herrmann.

In ihren 14 Jahren Berufspraxis ist ihnen schon so einiges passiert. Einmal mussten sie die Dachdecker kommen lassen um das Dach abzudecken, damit sie einen großen Flügel mit einem Kran aus der Mansarde heben konnten, weil der Besitzer das gute Stück beim Bau des Hauses gleich mit einmauern ließ. Ein anderes Mal musste eine Firma kommen, die das Erdreich vor einem Keller ausschachtete, um einen Durchbruch durch die Kellermauern eines Hauses zu machen, damit ein Flügel aus dem „Konzertkeller“ eines Privatmannes herausgeholt werden konnte. Auch hier dachte der Eigentümer beim „Einbau“ wohl, dass er dieses Instrument für immer im Keller stehen haben würde. „Wenn so etwas nötig ist, organisieren wir das alles am liebsten auch selber. Dann wissen wir wenigstens, dass es mit dem Timing auch klappt. Wenn es sein muss, bringen wir auch noch den Klavierstimmer mit.“

„Macht euch gefälligst selbstständig“

Bei der Frage nach der Zahlungsmoral der Kundschaft in der heutigen Zeit erzählen mir die beiden, dass es nur ein Mal in all den Jahren Probleme gab. In der Branche ist es ohnehin üblich in bar zu bezahlen. Nur einmal gab es Ärger bei einem Umzug, als sie ein Klavier in der alten Wohnung runter und in der neuen Wohnung wieder raufgetragen hatten. Als der Kunde sich weigerte, den beiden ihren vorher vereinbarten Lohn zu zahlen, trugen sie das Klavier wortlos wieder hinunter, stellten es einfach auf der Straße ab und ließen den verdutzten „Lohnpreller“ mit seinem Instrument ratlos auf dem Gehweg stehen.

Eigentlich ist Stefan Herrmann ausgebildeter Steinmetz und Pascale Hertel Agrotechniker/Mechanisator. Durch Zufall wurden sie Klavierträger, weil eine Klavierfirma im Ruhrgebiet zwei kräftige Träger suchte – und kräftig sind die beiden nun wirklich. Allerdings wollte Hertel nach zwei Wochen die Arbeit wieder hinschmeißen, weil es am Anfang für diese schwere Arbeit nur 4,75 DM pro Stunde gab. Jedoch steigerte sich der Lohn recht schnell und bald gab es 10 DM. Vier Jahre lang lief es dann relativ gut bis ihr Chef sie eines Tages schockte: „Ihr seid mir mit den Lohnnebenkosten zu teuer – macht euch gefälligst selbstständig“, sagte er und so wurden sie quasi über Nacht zu „Unternehmern“. Bereut haben Herrmann & Hertel den Sprung ins kalte Wasser bis heute nicht. Aufträge bis nach Dänemark, Belgien und Frankreich zeugen davon, dass sie sich am Markt durchgesetzt und sich ihren guten Ruf schwer erarbeitet haben. Dabei sahen die beiden früher viel schlechtere Zeiten. In der DDR aufgewachsen, standen sie nach der „Wende“ vor einem beruflichen Scherbenhaufen als ihnen klar wurde, dass sie in einem von den Kommunisten heruntergewirtschafteten Land von nun an beruflich null Perspektive hatten. Über Umwege kamen beide dann schließlich ins Ruhrgebiet und sind inzwischen froh, diesen Schritt gewagt zu haben: „In der DDR war es fast unmöglich sich mit einer eigenen Firma selbstständig zu machen, eigenes Geld zu verdienen und so erfolgreich zu sein. Wenn sich dort jeder mit einer eigenen Firma hätte selbstständig machen können – wer hätte denn dann noch in den „volkseigenen Betrieben“ gearbeitet und die Parteibonzen durchgefüttert?“ „Nee, nee – so wie es jetzt ist, ist es schon viel besser. Ich konnte jetzt sogar nach New York in den Urlaub fliegen, früher haben die mich höchstens bis nach Hohenfelden ohne Visum gelassen“, grinst Stefan Herrmann.

Schließlich befördern wir ja keine Handtaschen

Auf meine Frage, wie die beiden ihre Freizeit allgemein gestalten, ernte ich irritierte Blicke. „Freizeit, hm, na ja, wenn wir nach den Auslieferungen wieder rein kommen, ist da ja noch der Papierkram zu erledigen. Danach gehen wir ins Fitnesscenter und machen Kraftsport, damit uns nicht mal auf der Treppe die Kräfte verlassen. Wenn wir danach nach Hause kommen, kochen unsere Frauen noch etwas und dann ist es auch schon sehr spät. Freizeit, hm, wenn ich am Wochenende mal Zeit habe fahre ich gerne mal mit dem Quad (Motorrad mit vier Rädern); aber viel Freizeit haben wir nicht. Es gibt immer viel für unsere Firma zu tun. So einen Job kann man ja auch nur machen, wenn man mit Herzblut dabei ist. Ich fühle mich auch für die Instrumente persönlich verantwortlich; ich denke immer es ist mein Klavier, das ich da transportiere und wer will schon, dass sein Klavier die Treppe runterfällt, nur weil der Träger gerade einen Schwächeanfall hat, nur weil er nicht für seine Fitness sorgt. So etwas gibt es bei uns nicht; es gab noch nicht einmal einen Kratzer an einem Klavier.“ sagt Hertel stolz und nachdenklich fügt er noch nach einer kurzen Pause hinzu: „Ja, Klavierträger ist schon ein Knochenjob und es wäre schön, wenn wir von allen die Anerkennung bekommen würden, die uns auch zusteht. Schließlich befördern wir ja keine Handtaschen.“

Eigentlich reden sie ja nicht über ihre Kunden, aber am Schluss wollen sie doch noch „einen erzählen“: „Einmal haben wir einen weißen Flügel ausgeliefert. In der Villa der Kundschaft war auch alles weiß – sogar weiße Möbel. Als wir das schwere Teil gerade die Treppe hoch wuchteten, brüllte die Besitzerin mit Lockenwicklern im Haar von oben: Schuhe aus, sofort Schuhe aus!“



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