Opernsängerin Sylvia Schwartz im Interview

Sylvia Schwartz ist Opernsängerin. Weil ihr Verlobter jedoch bei der UNO arbeitet, erlebte sie 2011 in Ägypten und Tunesien den arabischen Frühling.
Titelbild
Die Opernsängerin Sylvia Schwartz.Foto: Enrico Nawrath
Von 9. April 2012

Epoch Times: Frau Schwartz, wie kommt es, dass Sie solch eine internationale Persönlichkeit geworden sind?

Sylvia Schwartz: Meine Familie ist eigentlich rein spanisch, nur zerstreut.

Meine Großeltern väterlicherseits enstammen einer Diplomatenfamilie, auch mein Urgroßvater und mein Onkel waren Diplomaten. Dadurch ist mein Vater ein ziemlich internationaler Mensch. Er ist hochbegabt für Sprachen. Er hat als Kind in Rom, Portugal und Genf gelebt und ist schon eine Persönlichkeit, die Europa sehr gut kennt. Meine Eltern sind frisch verheiratet nach London ausgewandert – für ein paar Jahre und dann 25 Jahre lang geblieben. Mein Vater hat dort studiert und viele Freunde. Meine Eltern sagten dann im Hinblick auf uns Kinder, die wir damals schon in die Schule gingen: Wir können ihnen nichts Besseres schenken als eine Erziehung in zwei Kulturen. Meine Eltern haben uns nie erlaubt, in zwei Sprachen gleichzeitig zu reden. Das heißt, wenn man den Satz in einer Sprache begonnen hatte, durfte man nicht einfach ein fremdes Wort hineinschieben, denn das ist Faulheit und verhindert, dass man die Sprache richtig spricht.

Dadurch bin ich auch eine Sprachpuristin geworden. Ich finde es spannend, wie sich die Sprachen entwickeln und dass dieses komische internationale Englisch entstanden ist, das jetzt auf Facebook seine Blüten treibt, aber manchmal denke ich, dass sollte man„internationales Englisch“ nennen in Abgrenzung zum englischen Englisch. Es klingt natürlich pedantisch, aber ich finde, man sollte mit Sprachen etwas ernster umgehen. Sie sind so etwas Schönes und damit kann man sich in einer ganz besonderen Art ausdrücken. Wenn ich nicht Sängerin wäre, würde ich lieber eine Sprache richtig sprechen, als drei oder vier davon mittelmäßig.

Epoch Times: Brauchen Sie bei internationalen Projekten viele Sprachen?

Schwartz: Die Standardsprache ist Englisch. Es wird sehr viel italienisch gesprochen, manchmal Deutsch, bei dem jetzigen Projekt war es Französisch. Viele Sänger können mindestens vier Hauptsprachen verstehen, wenn auch nicht sprechen. Ich finde das wirklich bewundernswert. Sie haben es einfach während ihrer Arbeit gelernt.

Epoch Times: Wird eigentlich auch gedolmetscht?

Schwartz: Manchmal. In Russland sehr viel. Wenn man im Moskauer Bolschoitheater singt, bekommt man einen Dolmetscher, der einen auch vom Hotel abholt. Die passen dort wirklich gut auf einen auf. Weil sie wissen, dass die meisten nicht einmal die kyrillischen Straßenschilder lesen können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Russen sehr nett waren und sich unglaublich über meine drei auswendig gelernten Sätze gefreut haben, mit denen ich sie begrüßt habe.

Epoch Times: Wie kam es, dass Ihre Familie über den ganzen Globus verteilt ist?

Schwartz: Ich habe zwei ältere Brüder. Der älteste ist beruflich in Hongkong. Der andere hat in den USA studiert und dort einen Job bekommen und ist, ohne es geplant zu haben, geblieben. Einfach wegen der Distanz sehen wir uns viel weniger. Aber wir sprechen trotzdem sehr oft miteinander. Es dreht sich alles um meine Eltern. Mein Vater ist Wirtschaftsanwalt, sein Bruder ist Diplomat.

Das folgt alles dem, was seine Vorfahren gemacht haben. Über meinen Großvater ist gerade ein großer Artikel in der spanischen Presse erschienen. Sie nennen ihn dort den „spanischen Schindler“. Weil er zusammen mit zwei anderen Botschaftern in den von Nazis und Russen besetzten Gebieten von Franco einen Befehl bekommen hatte, wonach alle sephardischen Juden einen spanischen Reisepass bekommen durften. Mein Großvater war damals spanischer Botschafter in Wien. Und da haben er und die beiden anderen Diplomaten ein Auge zugedrückt und ihnen Pässe gegeben, egal ob sie sephardisch oder aschkenasisch waren. Dadurch haben sie sehr viele Leben gerettet.

Epoch Times: Jetzt sind wir ja schon wieder bei der Weltpolitik gelandet. Sie haben erzählt, dass sie in Ägypten den Ausbruch der Revolution erlebt haben?

Schwartz: Also ich war nicht direkt dabei, sondern einen Monat davor und einen danach. Mein zukünftiger Mann arbeitet für die UNO und er war für ein Jahr in Kairo. Ich habe ihn natürlich ganz oft besucht. Und da konnte ich, da ich ziemlich oft da war, feststellen, dass sich die Atmosphäre vor und nach der Revolution nicht viel verändert hat. Das Einzige, was anders war, war, dass an diesem Hauptplatz, wo alles geplatzt ist, viele Soldaten standen und eine euphorische Stimmung herrschte, mit ägyptischen Fahnen und Leute malten einem die Nationalfarben auf die Hand und lächelten dabei.

Dieser Platz ist eigentlich nur ein Verkehrsknotenpunkt, wo viele Hauptstraßen zueinander führen. Da gibt es in der Mitte eine Grasfläche, da standen Soldaten. Aber es ist voller Leben, voller Verkehr. Kairo ist eine sehr chaotische Stadt. Man hatte nicht das Gefühl, dass da Gefahr herrscht. Im Rest der Stadt war die Atmosphäre genau gleich. Die Läden, die Leute, es hatte sich nichts verändert.

Im Vergleich zu Tunesien, wo ich auch war. Da war die Atmosphäre wirklich etwas ganz Besonderes. Diese Euphorie war überall. Das erste, was einen im Flughafen begrüßte, was der Taxifahrer einem mit strahlendem Lächeln sagte, alle haben einem „Dégage! Dégage!“ entgegengerufen. Das heißt „Geh weg!“ Das war sozusagen der Freiheitsruf dieser tunesischen Revolution, das was sie ihrem Präsidenten gesagt hatten. Sie waren so begeistert und stolz auf das, was sie geschafft hatten.

Anfang März 2011 war ich da. Das war sehr spannend, denn ich war auch eine Woche in einem Lager für Arbeiterflüchtlinge aus Libyen, wo ich mitgeholfen habe. Das war in Tunesien an der libyschen Grenze. Da sind jeden Tag tausende Menschen ein- und ausgegangen, die ungefähr drei oder vier Tage dort geblieben sind. Da gab es riesige Zelte, in denen Zehntausende mit Nahrung versorgt wurden. Das musste man alles logistisch koordinieren, auch die kleineren Zelte, in denen sie geschlafen haben, aber es war sehr interessant zu sehen, was für eine Atmosphäre so ein Lager hat. Es waren natürlich keine Flüchtlinge, die aus ihrer eigenen Heimat geflohen sind, sondern es waren ausländische Arbeiter, die von Libyen in ihre Heimatländer zurückkehrten – alle möglichen afrikanischen Nationalitäten. Somalis, Kenianer. Kongolesen und sehr viele Bangladeschis.

Sie waren Gastarbeiter und ihre Jobs waren durch die Revolution plötzlich beendet. Und dann sind sie weggegangen. Das war natürlich ein riesiger Kontrast für mich. Ich kam direkt vom „Figaro“ an der Wiener Staatsoper zu diesem Lager. Diese ganzen charmanten Probleme von Wien wie „was sagt das Publikum“ und „was ziehen die Leute an?“ waren sehr, sehr weit entfernt, von dem was ich dort gesehen habe.

Epoch Times: Was haben Sie dort genau gemacht?

Schwartz: Die meisten Flüchtlinge waren Männer. Es gab dort natürlich auch Frauen und Familien, nur viel weniger. Ich habe eine Woche lang ein Zelt mit 300 Frauen betrieben. Es war reiner Zufall. Als ich ankam, war die Person, die sich darum gekümmert hatte, ausgefallen.

Ich kam in Djerba an und in Zarzis wohnten die UN-Leute. Das Lager war nur wenige Kilometer von dort entfernt. Mein Freund und die Leute vom World Food Program waren eigentlich nur eine Handvoll. Als ich sie sagen hörte: „Was machen wir mit diesem Frauenzelt?“ Sagte ich einfach: „Ich mach´ das.“ Dann habe ich so eine Weste mit ganz vielen Taschen bekommen, darauf stand UNWFP – United Nations World Food Program. Ich war natürlich ganz stolz. Aber das Problem an dieser offiziellen Weste war, dass mich jeder alles gefragt hat und ich wusste gar nichts, außer wie viele Leute ich wann und wo verköstigen sollte, wer hinter der Theke stehen sollte, etc. Ich wurde natürlich nicht alleine gelassen, es ist öfter jemand vorbeigekommen, um zu schauen ob alles richtig läuft.

Dann haben wir auch ganz viel Essen von den Tunesiern selbst bekommen. Die waren so großzügig. Sie sind jeden Tag mit Autos voller Milch und Brot angekommen: Einfach geschenkt, für diese Flüchtlinge, die nichts mit ihrem Land zu tun hatten.

Epoch Times: Ist dieser Flüchtlingsstrom dann wieder abgeebbt?

Schwartz: Genau. Diese Lager, die mehrere Kilometer breit sind, entstehen in einem Tag. Das sind Zelte, die die UN überall in ein paar Stunden auf- und abbauen kann. Es ist wie eine Siedlung mit Straßen, Fußballplatz, einer Moschee und einem Bereich mit Duschen und Sanitär. Es ist wie eine kleine Stadt – wirklich bewundernswert. Aber es ist auch eine undankbare Arbeit. Denn egal wieviele Menschen sie gefüttert haben, die Presse ist dazu gekommen und sagte: „Die Leute hungern!“ Das stimmt manchmal gar nicht.

Epoch Times: Haben die UN-Mitarbeiter Ihnen das erzählt?

Schwartz: Nein, gar nicht, die sind in dieser Hinsicht ganz vorsichtig. Aber das habe ich selbst beobachtet. Als ich zurückkam von diesem Lager, war sehr viel darüber in der Presse. Fotoreportagen und ähnliches. Und das, was ich in den Zeitungen gesehen habe, war nicht dieser Ort, an dem ich gerade gewesen war. Das war ein ganz anderes Bild, was dort gezeigt wurde.

Irgendwie habe ich den Eindruck bekommen, dass die Presse sich Mühe gegeben hat, zu zeigen, wie schlecht es da in diesem Lager war. Das fand ich schade. Ich fand, dass die Leute dort wirklich nicht unglücklich waren. Es gab dort sogar so viel zu Essen, dass die Leute sich mehrfach anstellen konnten und ihre Teller auf den Boden warfen, wenn sie genug hatten. Sie hatten ihre Moschee, haben Fußball gespielt und wenn sie dem Essen der UN nicht trauen konnten, dann bekamen sie Essen vom tunesischen Croissant Rouge. Die Hilfsorganisationen passen wirklich gut auf die Menschen auf. Das war das erste Mal, dass ich so gesehen habe, dass die Presse etwas ganz anderes sagt, als das, was ich mit eigenen Augen beobachtet habe.

Epoch Times: Waren das negative Schlagzeilen im dem Sinne, die Hilfsorganisationen hätten versagt?

Schwartz: Nein, aber sie wollten wohl ein tragischeres Bild zeigen, als das, was die Realität bot. Vielleicht, um die Geschichte spannender zu machen. Das fiel mir in der spanischen, deutschen und englischen Presse auf. Natürlich habe ich nur ein paar Zeitungen gelesen. Aber ich war so überrascht, als ich es gesehen habe. Natürlich haben sie Bilder von diesem Lager genommen, aber ein Foto ist nur ein sehr kleiner Ausschnitt. Man findet immer irgendein Kind, das in der Ecke sitzt und weint, nicht wahr? Selbst im reichsten Kindergarten von Berlin kann man das finden. Und da haben sie wohl das Bild mit dem weinenden Kind genommen, anstatt das Bild der Männer, die lachend beim Karten spielen saßen …

Das Interview führte Rosemarie Frühauf



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