Phönix Tochter – Das heroische Leben einer jungen Frau

Titelbild
Isabelle MüllerFoto: Anna Meurer
Von 2. November 2012

 

Mit acht Jahren wird Isabelle zum ersten Mal von ihrem Vater vergewaltigt. Sie erlebt die Hölle auf Erden. Im Alter von 13 Jahren scheitert ihr erster Selbstmordversuch, mit 17 Jahren der zweite. Sie legt sich um Mitternacht auf die Bahngleise in der Nähe ihres Hauses und wartet bis zum Morgengrauen vergeblich auf einen von vielen möglichen Nachtzügen, der sie hätte überrollen sollen. In den Nachrichten erfährt sie dann, dass in jener Nacht ein Generalstreik der französischen Eisenbahnen begonnen hatte.

„Mit Zorn und Hass reißt man alles nieder, mit Geduld und Liebe aber baut man aus nichts einen Tempel.“ (Vietnamesisches Sprichwort).

Isabelle Müller wird 1964 im französischen Tours geboren. Ihre Mutter Loan ist eine Vietnamesin, die keine Schulbildung genießen durfte, weil sie ein Mädchen war. Sie hatte sich schließlich dem Buddhismus genähert und war der entwürdigenden Situation in Vietnam durch die Heirat mit einem katholischen, französischen Besatzungssoldaten entkommen, so dachte sie.

Isabelle wächst als jüngstes Kind mit vier Geschwistern in elendigen Verhältnissen in Frankreich auf. Möbel und Kleidung stammen von einer Mülldeponie. Die von Isabelle geliebte und verehrte Mutter, die im Jahr 2003 starb, wird in Frankreich als Asiatin verachtet, während der tyrannische Vater ein ausschweifendes Sexualleben mit ständig neuen Gespielinnen führt. Die Kindererziehung hat strenge militärische Züge.

Mit acht Jahren wird Isabelle zum ersten Mal von ihrem Vater vergewaltigt. Isabelle erlebt die Hölle auf Erden. Im Alter von 13 Jahren scheitert ihr erster Selbstmordversuch, mit 17 Jahren der zweite. Sie legt sich um Mitternacht auf die Bahngleise in der Nähe ihres Hauses und wartet bis zum Morgengrauen vergeblich auf einen von vielen möglichen Nachtzügen, der sie hätte überrollen sollen. In den Nachrichten erfährt sie dann, dass in jener Nacht ein Generalstreik der französischen Eisenbahnen begonnen hatte. Für Isabelle ein Zeichen des Himmels, mit dem sie offenbar zum Weiterleben aufgefordert wird.

In diesem Augenblick spürt sie wieder die ungeahnte Kraft in sich, die sie lange Zeit für verloren gehalten hatte. Nach einem Karate-Training leistet sie ihrem Vater erstmals massiven Widerstand. Am Anfang der 1990er-Jahre reist sie mit ihrer Mutter nach Vietnam, um die Wurzeln ihrer asiatischen Familie, um ihre Ahnen zu erspüren. Sie arbeitet wie besessen, wird Dolmetscherin für Deutsch, Englisch und Russisch sowie Kunsthändlerin.

Nach vielen Schwierigkeiten und inneren Hindernissen heiratet sie einen Deutschen und wird Mutter von zwei Töchtern. Viele gemeinsame Auslandseinsätze in fremden Ländern wie Kasachstan und in den USA folgen. Ihre junge Tochter Meliha erkrankt an einem Retinoblastom, einem bösartigen Tumor im Auge. Wenig später wird bei ihrem Mann Stephan ein Nierentumor diagnostiziert. Die Kraft des Gebets, der Hoffnung und Zuversicht von Isabelle versetzt Berge. Die Familie lebt heute glücklich in einem Dorf in der Nähe von Pforzheim und Calw in Baden-Württemberg.

Isabelle Müllers Buch „Phönix Tochter“ ist ein einzigartiges und beispielhaftes Lebenszeugnis. Auf ihren zahlreichen Lesereisen macht sie vielen Menschen Hoffnung und legt authentisch dar, wie Liebe, Barmherzigkeit und Vergebung praktiziert werden können.

Roland R. Ropers hat für The Epoch Times Deutschland mit Isabelle Müller gesprochen.

Epoch Times: Frau Müller, Ihr Buch hat viele Menschen enorm bewegt. Der Marathonlauf Ihrer Seele ist atemberaubend. Sind Sie dem Himmel dankbar, dass Ihnen damals der völlig verständliche Suizidversuch misslungen ist?

Isabelle MüllerIsabelle MüllerFoto: Anna Meurer

Isabelle Müller: Inzwischen ja. Denn die Erkenntnis, welches positive Ausmaß dieses Scheitern in meinem Leben nehmen würde, wurde mir erst später im Laufe der Jahre und wird mir bis heute noch bewusst. Direkt nach dem zweiten Selbstmordversuch spürte ich wohl klar eine Art Bewusstsein von außen. Jemand oder etwas war eindeutig mit mir in Verbindung getreten. Ich konnte allerdings noch nicht genau definieren, was oder wer es war. Eine Reflexion, eine Spiegelung meiner selbst, eine Einbildung? War ich etwa schizophren?

Es war, als sei ich einem unsichtbaren Fremden begegnet, der mir doch so vertraut war, der mich bis ins Innerste kannte. Der Raum war auf einmal gefüllt mit einer Präsenz, rein, voller Liebe und Empathie, aber auch voller Klarheit und Strenge. Mit siebzehn Jahren kannte ich meine Bestimmung nicht, doch eins wusste ich ganz sicher: Ich würde ein außerordentliches Leben führen. Seit diesem Moment nahm mein Lebensweg deutlichere Formen an, meine Bestimmung kristallisierte sich nach und nach.

Heute behaupte ich, dass meine Bestimmung mich gefunden hat. Inzwischen bin ich gereift, meine Sinne sind verfeinert. Ich habe längst aufgehört, „warum“ zu fragen und gelernt, unbegrenzt zu denken, zu fühlen und zu leben. Dadurch sehe ich weit mehr. Ich sehe „dahinter“, weil mein Geist frei ist. Der Verstand wird zur Seite geschoben und das richtige Fühlen wird zugelassen.

Der Mensch tendiert dazu, nur das zu sehen, was er für möglich hält. Dementsprechend bekommt er auch nur das, was er für möglich hält. Er legt sich selbst Steine in den Weg.

Ich sehe mich manchmal als eine Art „Berichterstatter“ der menschlichen Empfindungen. Es ist, als hätte ich mir einmal gewünscht, die Menschen zu verstehen und ihnen zu helfen. Heutzutage macht alles für mich Sinn. Wie könnte ich sonst in der Lage sein, anderen Menschen zu helfen, hätte ich die Vielseitigkeit, die verschiedenen Facetten der Gefühle nicht selbst empfunden? Es wäre, als würden Sie ein Produkt verkaufen wollen, das Sie nicht kennen. Das ist das Geheimnis meiner Authentizität, mit der sich viele identifizieren können. Das ist die Bedeutung dieses Scheiterns. Für diese wertvolle Erkenntnis bedanke ich mich in der Tat tagtäglich beim Himmel.

Epoch Times: Haben Sie das Gefühl, dass in Ihnen die buddhistischen Wurzeln Ihrer Mutter stärker verankert sind, als eine katholisch-christliche Glaubensvorstellung, die Sie väterlicherseits geerbt haben?

Müller: Meine Mutter hat uns Kinder freigeistig erzogen. Sie mied kein Thema und beantwortete oft meine Fragen mit Fragen. Ich spürte, dass sie ehrlich zu mir war und mir ihre wahren Empfindungen anvertraute. Ihre Worte waren stets einfach, doch voller Tiefe. Ich fand jedes Gespräch mit ihr richtig spannend. Sie hat niemals versucht, mich von etwas zu überzeugen, zu überreden oder zu bekehren. Sie erwartete auch keine Entscheidung oder kein Bekennen von mir. Sie redete nur und überließ meinem Verstand die Wahl. Sie lebte das, was sie mir sagte. Das ist der Punkt.

Mein Vater hingegen war katholisch getauft, so auch wir Kinder. Theoretisch, also auf dem Papier, war er Christ. Praktisch benahm er sich ganz anders als ein Christ sich meiner Meinung nach benehmen sollte. In seiner Anwesenheit durften wir Worte wie „Gott“ oder„Tod“ niemals in den Mund nehmen. Ich nehme an, dass ihm während seiner Kindheit im Militärinternat Furchtbares eingetrichtert wurde. Er fürchtete sich auf jeden Fall sehr vor Themen wie diesen. Es war beklemmend.

Wiederum suchte er sich Gebote aus oder bog sich einige zurecht, wie es ihm passte. Bevor er zum Beispiel meinen Geschwistern den Hintern kräftig versohlte, fiel in der Regel der Satz „Du sollst Deine Eltern ehren!“. Mir fiel es persönlich schwer, jemandem Respekt zu zollen, der selbst nicht dazu in der Lage war. Auch die Rolle eines „Auserwählten“ gefiel dem Vater gut. Seine religiösen Ansichten assoziiere ich dementsprechend eher mit Angst und Androhung einer göttlichen Strafe als mit gelebter Nächstenliebe.

Der Buddhismus ist für mich nur eine Facette des wahren Glaubens. So wie meine Mutter Loan es tat, glaube ich universell und beschränke mich nicht auf eine Religion, Lebensbetrachtung oder Philosophie. Wir sind Philosophie, indem wir sie unbegrenzt und freigeistig leben. Diese Philosophie besteht aus Respekt für all das, was uns umgibt, Respekt für den Menschen und die Natur. Ohne Hintergedanken oder Machtanspruch. Es gibt genügend Beispiele aus allen Kontinenten in der Geschichte, die uns zur Vorsicht raten. Politik kann den Keim der Religion ersticken. Und Menschen sind zu allem fähig, wenn es um Machterhalt geht. Wichtig ist, sich stets seine eigene Meinung zu bilden und auf sein Bauchgefühl zu hören.

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Epoch Times: Wie ist es Ihnen gelungen, Ihrem sexuell gewalttätigen Vater zu vergeben und bei sich selbst Frieden zu finden?

Müller: Es war ein Denkprozess, der erst möglich war, als ich das Elternhaus verließ. Mit dem nötigen Abstand wurde mir klar, dass mein Vater der eigentlich Schwache war. Er hatte sich gezielt ein Opfer ausgesucht, das sich nicht wehren und das er steuern konnte. Es war feige von ihm und hier spürte ich, wie wirklich armselig er war. Mitleid kam bei mir auf.

Der Prozess der Vergebung war für mich wichtig, weil ich mein neues Leben selbst bestimmen wollte. Den Missbrauch betrachtete ich freiwillig und ganz bewusst als eine Erfahrung, aus der ich etwas gelernt hatte. Der Schmerz ist nicht vergessen, aber er ist verziehen. Aus der Tiefe. Ohne Überbleibsel von Groll oder Wut. Das ist eine gute, fruchtbare Grundlage für ein weiteres, glückliches Leben. Und das funktioniert.

Epoch Times: Sexueller Missbrauch ist ein großes Thema unserer heutigen Zeit. Bei Ihnen scheint mir etwas anderes geschehen zu sein, als man es aus vielen Therapien kennt. Sie haben wie in einer buddhistisch geprägten Erleuchtungserfahrung den Schlüssel zum Eintritt in Ihr innerstes Heiligtum gefunden, wo Sie letztlich nicht mehr angreifbar sind. Von wem oder was fühlen Sie sich sicher geführt?

Müller: Von mir selbst oder von Gott, wenn man bedenkt, dass wir das göttliche Abbild sind. Es mag gleichzeitig einfach und überheblich erscheinen, aber so empfinde ich es. Es sind der Wille und der Glaube zugleich, die einen führen. So, wie wenn man eine Geschichte schreibt. Man hat den Anfang und das Ende. Der Inhalt kommt von selbst.

Den Antrieb nenne ich „die Kraft des Herbeirufens“. Nichts ist umsonst. Alles hat eine Bedeutung. Es gibt eine Ordnung im Chaos. Es liegt nur an uns, durch den Willen mit dem Puzzle unseres Lebens zu beginnen, zu ergänzen und es dann zu beenden. Jedes Mal, wenn in mir Zweifel aufkamen, geschahen Dinge, die mich wieder daran erinnerten, dass es mehr gibt, als wir wahrnehmen können.

Epoch Times: Was bedeutet für Sie Leben, was kommt Ihrer Meinung gemäß nach dem Tod?

Isabelle MüllerIsabelle MüllerFoto: Anna Meurer

Müller: Leben ist für mich eine grandiose Zusammenfügung von unendlichen, bunten Facetten des Seins. Leben ist Quelle, Prägung, Bewegung, Energie, Zeugnis, Reichtum, Entwicklung, Vielseitigkeit, Mischung. So auch der Tod, der als weitere Facette unwillkürlich dazu gehört.

Nun, was kommt nach dem Tod? Ich weiß es nicht. Aber ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass es dasselbe Gefühl ist, wie im Leben selbst, nur aus einer anderen Perspektive. Denn zwischen Leben und Tod ist das Sein, das Bewusstsein. Das Sein ist die Mitte von allen Gegensätzen, deren Quintessenz. Im Leben und im Tod sehe ich daher Energie und Bewegung, die weiterhin „sind“. Das Bewusstsein bleibt bestehen und ist außerdem in der Lage, sich bei den „Über-Lebenden“ bemerkbar zu machen.

Epoch Times: Was macht Ihr Vater heute, wo lebt er? Würden Sie mit ihm, wenn sich die Gelegenheit anböte, ein versöhnliches Gespräch führen wollen oder können?

Müller: Mein Vater lebt wie bisher in Frankreich. Was er macht, ist mir nicht bekannt. Gewiss bin ich nach wie vor in der Lage, ein versöhnliches Gespräch mit ihm zu führen. Ob es nötig sein wird, bezweifle ich jedoch. Denn kurz nach dem Tod meiner Mutter kam das Thema bereits zur Sprache.

Als er nach erstem Leugnen in Tränen ausbrach und mich schließlich um Vergebung bat, sagte ich ihm: „Du brauchst mich nicht um Vergebung zu bitten, denn ich habe Dir längst vergeben.“ Er stand perplex da. Dann brach er den Kontakt zu mir ab, als er von meinem Buch erfuhr, das ich ihm übrigens bei der Gelegenheit schon angekündigt hatte. Wie ihm an dem Tag schon anzusehen war, hat er die Bedeutung und Ernsthaftigkeit meiner Aussage nicht begriffen. Bis heute nicht.

Epoch Times: Wie hilfreich sind für Sie das Schreiben, die ständige Kommunikation, das kreative Aktivsein?

Müller: Sie werden nicht von mir hören, dass das Schreiben von „Phönix Tochter“ eine Art Therapie für mich war. Ich bin wirklich von alledem gelöst und habe nie eine Therapie gebraucht. Ich stehe weit über diesen Dingen. Von Natur aus bin ich ein sehr kommunikativer, neugieriger Mensch, der geistig stets in Bewegung sein möchte. Kommunikation klärt auf, bereichert und bedeutet Vertiefung, Veredelung der Eigenschaften.

Es gibt so viele Arten der Kommunikation. Sie kann aktiv, passiv, laut oder still sein. Kommunikation ist ein Medium zwischen den Welten. Es gibt keine Barrieren, sobald der Mensch gefühlt wird. Kreativität ist für mich eine Quelle der Freiheit, ein Lebenselixier. Für mich stellt sie etwas Schönes, Positives dar, das dem Hässlichen, Negativen entgegen wirkt. Lesen Sie meine Kolumnen und Gedichte, dann werden Sie auch wissen, von wem oder was ich mich sicher geführt fühle.

Epoch Times: Sind Ihre Wunden völlig verheilt, weil Sie bei sich zuhause angekommen sind oder werden Sie noch von speziellen Sehnsüchten „geplagt“?

Müller: Meine Wunden sind völlig verheilt, ich habe nur Narben, die nicht mehr schmerzen. Sie erinnern mich an das, was war. Es ist auch gut so. Vergebung bedeutet nicht Vergessen. Diese Lektion, aus der ich gelernt habe, sitzt gut. Das bewusste „Reset“ meines Lebens, die Selbstbestimmung, sicher auch die konsequente Erweiterung meines Verstandes und das gewisse Glück haben mir geholfen, ein weiteres Leben in Harmonie zu führen.

Aber ich gehöre nicht zu der Art von Menschen, die behaupten, jemals angekommen zu sein. Ich befinde mich in stetiger Bewegung. Ich lerne und optimiere zu gerne. Es geht mir hier um den Weg, der mich erfüllt. Wer gelassen ist, lässt sich auch von nichts plagen. Sehnsüchte habe ich noch – zum Glück. Diese haben mit Wünschen zu tun, die noch nicht in Erfüllung gegangen sind. Einer davon ist, mein nächstes Manuskript – „Loan – aus dem Leben eines Phönix“ – im Herbst 2013 als gedrucktes erfolgreiches Buch in meinen Händen zu halten. Es fehlt mir noch der richtige Verlag. Aber keine Sorge, der Himmel kümmert sich schon drum. Alles zu seiner Zeit. Und ich wäre nicht ich, wenn ich nicht zuverlässig wäre.

Epoch Times: Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Cover: Krüger VerlagCover: Krüger Verlag

Isabelle Müller

Phönixtochter

Die Hoffnung war mein Weg

Autobiographie

Krüger Verlag

Hardcover

Preis € (D) 17,95 |

ISBN: 978-3-8105-1291-8

 

 



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