TV-Kritik: Günther Jauch zu Tatort und „Familiendrama – wenn Eltern sich und ihre Kinder töten“

Titelbild
Günther Jauch im Gespräch mit Doreen Salomon (M.) und der Trauerbegleiterin Petra EderFoto: Screenshot von DAS ERSTE/ ETD
Von 3. November 2014

Günther Jauch nahm einen Tatortkrimi, der an die Nieren ging, und das reale grauenhafte Schicksal einer Frau, deren Ehemann den gemeinsamen Sohn mit in den Tod genommen hat, als Themen für den Talk am Sonntagabend: „Familiendrama – wenn Eltern sich und ihre Kinder töten.“

Ob diese Verdoppelung von Gewalt in der Familie ein geeignetes Thema für den langen Sonntagabend  ist, bleibe dahingestellt. Wenn es überhaupt eine Bereicherung war, dann durch die ruhige, gleichwohl bewegende, Anwesenheit der 41-jährigen Doreen Salomon. Ihre Schilderung einer Ehe, in der es schon lange zu cholerischen Wutausbrüchen das Ehemannes gekommen war, die aber nach außen intakt erschien, gab den lebensnahen Rahmen. Das trug die Sendung weit mehr als die engagierten aber laienhaften Versuche von Einfühlung in eine fiktive Täterstruktur durch den Schauspieler Andreas Schmidt, der im Tatort den Täter gespielt hatte. 

Doreen Salomon, die ihren Mann nach 15 Jahren konfliktreicher Ehe zusammen mit ihrem fünfjährigen Sohn verlassen hatte, fand Vater und Sohn nach einem Besuchstag tot auf, als es schon zu spät für jede Rettung war. Das ist etwa eineinhalb Jahre her. Mit standhafter Klarheit und mit den Tränen kämpfend beschrieb sie in ihre Situation.

Hilfreich waren dazu die klärenden Worte der österreichischen Psychiaterin Heidi Kastner: „Wir können bei dieser relativ geringen Anzahl an Fällen, in Deutschland etwa 10 – 20 im Jahr, keine belastbare Täteranalyse erstellen.“ So ging es denn um den erweiterten Suizid, bei dem Täter oder Täterin sich selbst und weitere Familienmitglieder ermordet, oder den erweiterten Mord, bei dem der Täter oder die Täterin engste Familienmitglieder ermordet, weil deren Tod als weniger schlimm als die Lebenswirklichkeit angesehen wird.      

Doreen Salomon konnte jedoch aus ihrer Erfahrung nur fast allen Deutungsversuchen über die Motive ihres Mannes widersprechen. Zwar hatte es in ihrer Ehe eine emotionale Achterbahnfahrt gegeben, aber ihr Mann war fest und erfolgreich im Beruf. Auch der Deutung, dass er sie als Besitz behalten wollte, konnte sie nicht folgen. Eher war es sein verletzter Stolz, dass sie nach einer erfolgreichen Fortbildung auch ohne ihn leben konnte. „Er wollte mich verletzen, indem er den von mir so sehr geliebten Sohn tötete.“

Der leidvolle Weg bei der Suche nach Hilfe

Therapien waren im Gespräch, sowohl für Paare als auch für Einzelne. Aber die potenziellen Täter sehen Therapeuten gern als „Idioten“ an, sie sind Meister der Täuschung und Selbsttäuschung und brechen erst zusammen, wenn ihre Fassade Löcher bekommt und das Selbstbild zusammenbricht. Das beschrieb der Kriminologe Axel Petermann. Er empfahl zwar, recht früh Hilfe zu suchen, notfalls auch bei der Polizei, die Gefährdungsanalysen erstellen könnten. Aber Gewalt in der Familie führe eher selten zu Tötungsdelikten.

Einen leidvollen Weg bei der Suche nach Hilfe musste Doreen Salomon jedoch nicht nur vor ihrer Trennung, sondern erst recht nach der Tat erleben: "Ich musste sogar um die Anerkennung als Opfer kämpfen, denn nur mein Sohn galt als Opfer." In einem langen Klinikaufenthalt und später in der Selbsthilfe-Gruppe von Petra Eder für „Verwaiste Eltern und Geschwister“ fand sie Hilfe und Gesprächspartner, bei denen man "sozusagen ungefiltert alles aussprechen kann".

Sie erlebte auch die Hilflosigkeit oder das Ausweichen von Freunden und Nachbarn schmerzhaft, aber gleichzeitig auch die Zuwendung von Menschen mit Herz. „Ich bin ein Opfer. Wut und Hass empfand ich am Anfang, jetzt habe ich in mir immer noch ein tiefes Unverständnis, ein immerwährendes Warum. Ja, ich bin auch neidisch, wenn ich andere glückliche Familien sehe. Ich bin zu jung, um zu sagen, das Leben ist vorbei, und zu alt, um ganz neu zu beginnen.“       

Reden ist manchmal Gold

Vielleicht konnte diese Sendung, die man nicht gerne als Talk-Show, schon gar nicht als Polit-Talk bezeichnen möchte, einiges Verständnis wecken für das, was hinter verschlossenen Türen in der eigenen Familie oder bei Nachbarn vor sich gehen kann. Vielleicht auch einen Anstoß geben, nicht wegzuschauen, oder „die Straßenseite zu wechseln“, wenn wir Opfern begegnen. Vielleicht können wir dabei das Gold des miteinander Redens entdecken.

Was Zuschauer vermissten, war die Situation von Frauen als Täterinnen und Männern als Opfer. Aktuell dazu verlas Jauch eine Meldung am Beginn der Sendung über eine Mutter in Süddeutschland, die unter dem Verdacht steht, ihre beiden Kinder getötet zu haben.   

MEDIATHEK DAS ERSTE Günther Jauch 2.11.2014  

Wiederholungen:

Mo, 3.11.2014 | 09:30 Uhr Phoenix

Mo, 3.11.2014 | 20:15 Uhr tagesschau24

Di, 4.11.2014 | 0:40 Uhr NDR

Di, 4.11.2014 | 02:40 Uhr MDR    



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