Berliner Philharmoniker suchen Chef

Berlin (dpa) - Einer der begehrtesten Posten in der Musikwelt wird vergeben: Wer wird Chefdirigent der Berliner Philharmoniker?  Darüber entscheiden in etwas mehr als einem Monat die 124 fest angestellten Musiker des Elite-Ensembles. Klassikfans…
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Die Berliner Philharmoniker 2013 beim Waldbühnen-Konzert.Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Epoch Times6. April 2015
Einer der begehrtesten Posten in der Musikwelt wird vergeben: Wer wird Chefdirigent der Berliner Philharmoniker? 

Darüber entscheiden in etwas mehr als einem Monat die 124 fest angestellten Musiker des Elite-Ensembles. Klassikfans spekulieren schon heftig über die Nachfolge von Simon Rattle (60) im Jahr 2018. Öffentlich äußert sich keiner im Orchester zur Personalie. Vor der Abstimmung am 11. Mai wird die Neubesetzung fast so diskret behandelt wie eine Papstwahl.

Ob Gustavo Dudamel, Christian Thielemann, Andris Nelsons oder Kirill Petrenko – kaum ein bekannter Maestro, der nicht genannt wird. Auch ältere Kollegen wie Mariss Jansons und Daniel Barenboim sind im Gespräch. „Momentan ist jeder lebende Dirigent weltweit wählbar“, sagte unlängst Orchestervorstand Peter Riegelbauer. Erst in der Orchesterversammlung entsteht aus Vorschlägen der Mitglieder eine Shortlist. Sie ist Grundlage für die Wahl am selben Tag.

Ob jung oder erfahren, medienwirksamer Alleskönner oder stiller Herrscher – die Vorstellungen, welches Berufsprofil der künftige Star der Berliner Orchesterrepublik mitbringen muss, sind breitgefächert, eine Stellenbeschreibung gibt es nicht. „Wir wissen selbst alle nicht, wie wir ticken“, sagte Riegelbauers Vorstandskollege, der Bratschist Ulrich Knörzer.

Seit Gründung der Philharmoniker 1882 hat sich das Bild ihrer Chefdirigenten grundlegend gewandelt. Ob Hans von Bülow, Arthur Nikisch, Wilhelm Furtwängler oder Herbert von Karajan – sie traten mehr oder weniger wie absolutistische Herrscher auf. „Das Orchester bin ich“, ließen sie das Publikum wissen.

Mit Claudio Abbado begann die Öffnung. Rattle führte die Philharmoniker als demokratischer Menschenversteher ins 21. Jahrhundert. Das Orchester wurde zur Multimedia-Plattform. Heute bietet es Musik auf allen Kanälen – im Kino, als Live-Stream oder für Berliner Jugendliche.

Als Rattle im Januar 2014 seinen Weggang ankündigte, war das für Außenstehende zunächst eine große Überraschung. Wer gibt schon diesen Dirigenten-Traumjob freiwillig auf? Doch für Rattle werden dann 16 Jahre genug sein. „Will you still need me, when I’m 64?“, fragte der Liverpooler damals das Orchester mit dem Beatles-Refrain. Die Antwort wollte er nicht abwarten. Inzwischen hat sich der Brite nach einem neuen Job umgesehen. 2017 wird er Chef beim London Symphony Orchestra, im Übergangsjahr will er pendeln.

Wie bei der Wahl Rattles könnte es auch diesmal eine Überraschung geben. Zwar fällt immer wieder der Namen von Christian Thielemann (56) als vermeintlicher Wunschkandidat. Doch Thielemann versichert, dass er sich bei der Staatskapelle Dresden wohlfühlt. Doch wer weiß, sagte er jüngst, wenn das Telefon klingeln sollte…

Der konservative Berliner hat viele Gegner. Sie empfinden Thielemanns auf Spätromantik fokussiertes Repertoire als zu eng, manche dürften sein jüngst geäußertes Verständnis für Pegida nicht goutiert haben.

Vor allem für die Jüngeren böte jemand wie Gustavo Dudamel (34), Spross aus Venezuelas weltweit bewundertem „Sistema“ von Jugendorchestern, eine Perspektive. Dudamel ist jung und fotogen und hat dazu beigetragen, dass mit einem publikumswirksamen Programm das Los Angeles Philharmonic zum US-Spitzenorchester wurde. Unter den Latinos hat er neue Zuhörer gewonnen, das würde zum Jugendprogramm der Berliner passen. Doch Dudamel hat gerade bis 2022 bei den „L.A. Phil“ verlängert. Und Chefdirigent der Philharmoniker im Zweitjob wäre undenkbar.

Dann käme noch Andris Nelsons (36). Der Lette ist zur Zeit beim Boston Symphony Orchestra, sein Vertrag läuft bis 2018. Viele loben Nelsons‘ Begeisterungsfähigkeit und Musikalität. In einem Interview sprach er von Berlin als „verführerischer Perspektive“. Er würde aber noch ein wenig warten wollen. 2016 dirigiert Nelsons in Bayreuth den neuen „Parsifal“.

Auch ein anderer Lette wird genannt: Mariss Jansons (72) dürfte ungeteilte Sympathien genießen, der Chef des Sinfonieorchesters des Bayerischen Rundfunks gilt als einer der großen Dirigenten de Gegenwart. Doch Jansons Gesundheit ist angeschlagen, 2018 wäre er 75.

Und da ist dann noch der gleichaltrige Daniel Barenboim. Schon zweimal kam er in die engere Wahl, zog aber gegen Abbado und Rattle den Kürzeren. Der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper ist dort Ehrendirigent auf Lebenszeit. Und im kommenden Jahr öffnet in Berlin das Musikzentrum seines West-Eastern Divan Orchestra, dem sich Barenboim verstärkt widmet. Doch Barenboim ist die mächtigste Figur im Berliner Musikleben und den Philharmonikern freundschaftlich verbunden.

Und warum nicht eine Frau? Ob Simone Young (54), Emmanuelle Haim (52) oder Marin Alsop (58) – eine Chefdirigentin wäre eine revolutionäre Personalie. Vielleicht traut sich das Orchester ja. Immerhin ist die jüngste Ausgabe des Philharmoniker-Magazins den Frauen in der Musik gewidmet.

(dpa)

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