Die unsichtbaren Künstler

Skalpell, Spatel, Messgeräte: Nein, wir sind nicht zu Gast beim Chirurgen, sondern bei Tilman und Ricarda Holly – Ihres Zeichens Restauratoren. Ein Gespräch über kuriose Entdeckungen und die Ehrfurcht vor großen Meistern der Vergangenheit.
Titelbild
Tilman Holly an der Staffelei und bei der Retusche der „Vier Evangelisten“, einem Gemälde aus dem 19. Jahrhundert. Fotos: Atelier Holly / Tilman Holly
Von 20. November 2022

Das Berufsbild des Restaurators wird oftmals unterschätzt und als reines Handwerk abgestempelt. Dabei ist es unglaublich vielschichtig und setzt neben einem breiten Allgemein- und Fachwissen auch künstlerische Fähigkeiten voraus. Der Restaurator besitzt einen noblen Charakterzug: Trotz seiner vielseitigen Talente, wie dem künstlerischem Geschick, drängt er sich niemals auf, sondern tritt als Person in den Hintergrund. Er überlässt die Bühne dem Original-Künstler und lässt ihn und sein Werk wieder in neuem Glanz erstrahlen. Denn das restaurierte Objekt trägt niemals die Handschrift des Restaurators. „Für die Kunden ist das oftmals überraschend, fast schon enttäuschend“, sagen zwei, die es genau wissen:

Tilman Holly ist Restaurator historischer Gemälde und Bilderrahmen, während sich seine Frau Ricarda Holly ganz auf die Restaurierung und Konservierung im Papierbereich spezialisiert hat. Gemeinsam führen sie das Restaurierungsatelier Holly in Kruft – in einer alten Villa aus dem 19. Jahrhundert.

Mit Epoch Times sprach das Restauratoren-Ehepaar über die Beziehung, die sie zu den Werken entwickeln, über den Wunsch der Kunden nach Erhaltung bestimmter Werte und Traditionen und wie es sich anfühlt, einem wertvollen Rubens ganz nahezukommen.

Haben Sie schon mal Überraschungen bei der Arbeit erlebt? 

Tilman Holly: Ich hatte einmal ein ganz strenges klassizistisches Gemälde, das in einem Barockrahmen kam und aussah wie eine Angelika Kauffmann. Es wurde auch als eine Angelika Kauffmann gehandelt und verkauft. Ich freute mich und dachte „Das ist ganz mein Stil“. Als ich die Firnis abgelöst und das Bild freigelegt habe, war der gesamte Hintergrund und die Darstellung des Porträts eigentlich ein Rokoko-Gemälde. Man hatte nur Hände, Kopf und gewisse Strukturen im Faltenwurf übernommen. Der Rest wurde übermalt. Da es ein Eingriff gewesen war, der noch nicht allzu lange zurücklag, war die Lösungsfreudigkeit dieser Übermalung ausgesprochen hoch. Ich rief den Kunden an und fragte, ob ich weitermachen soll, da ich schließlich nicht wissen konnte, ob er von einem klassizistischen zu einem barocken Gemälde gehen wollte. Er meinte nur „Legen Sie es frei, das klingt interessant.“ Es war wirklich ein sehr schönes Rokoko-Gemälde. Der Rahmen und das Gemälde gehörten tatsächlich zusammen. Durch die Freilegung wurde der Barockrahmen auch wieder passend zum Gemälde.

Ricarda Holly: Ich habe einmal eine Bibel aus dem Jahr 1665 restauriert, die noch in Benutzung war. Enoch zu Guttenberg, der auch Dirigent war, hat zu Ostern immer aus dieser Bibel vorgelesen, bevor er das Orchester dirigiert hat. Weil ich den Einband während der Restaurierung nicht zerstören wollte, habe ich ihn komplett abgenommen. In dem hölzernen Buchdeckel habe ich eine Widmung entdeckt. Eine Buchbindermeisterin hatte sich mit Bleistift verewigt. Das fand ich total klasse. Dass damals eine Frau diesen Beruf ausgeübt hat, war etwas ganz Außergewöhnliches.

Welche Beweggründe ließen Sie den Beruf des Restaurators einschlagen? 

Ricarda Holly: Ich habe alte Dinge schon immer geliebt. Als Kind habe ich den Sperrmüll abgeklappert und Dinge, die andere weggeworfen haben, wieder hergerichtet. Als 13-Jährige habe ich aus Häusern, die abgerissen werden sollten, viele Objekte mitgenommen – darunter befand sich auch ein Papier mit einem Lederrahmen. Auf dem Bild, das heute in unserem Atelier-Bad hängt, steht: „Wenn des Lebens Stürme toben, richte deinen Blick nach oben.“

Ich habe eine Achtung vor alten Gegenständen, finde sie oft schöner als die Dinge, die heute produziert werden. Zum anderen spielt der Punkt Nachhaltigkeit für mich eine gewisse Rolle. Das Ganze gepaart mit einer künstlerischen Befähigung, die ich besitze, hat mich dann dazu bewogen, den Beruf einzuschlagen. Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich das, was ich liebe, zu meinem Beruf machen konnte. Dafür bin ich sehr dankbar.

Tilman Holly: Ich komme aus einem sehr künstlerischen Zuhause. Ich fand es immer unglaublich schön, mich mit den Kunstwerken anderer Menschen zu beschäftigen. Auch das Handwerk hat mich gereizt. Ich habe eine Schreinerlehre mit Gesellenbrief und eine Maler- und Vergolder-Lehre gemacht. So war damals der Ausbildungsweg. Die Vielschichtigkeit der Ausbildung fand ich großartig und spannend.

Welche Talente und welches Wissen sind Voraussetzung, um ein guter Restaurator zu sein?

Ricarda Holly: Das hängt vom Fachbereich ab. Kunstgeschichte, Chemie – speziell in meinem Bereich mit Papier wird viel mit Chemikalien gearbeitet, um Flecken oder Säuren aus dem Papier zu entfernen. Insofern ist die Materialkunde bedeutend. Letzten Endes ist auch Allgemeinbildung wichtig, um das Objekt in einen geschichtlichen und zeitlichen Kontext einzuordnen. Muss am Objekt etwas ergänzt werden, hilft es zu wissen, in welchem Stil man das macht, damit es zu keinen Fehlinterpretationen kommt.

Man muss die Maltechniken imitieren können. Oft kann man die Technik, mit der das Objekt hergestellt wurde, nicht anwenden. Wenn ich auf einem Papier, auf einem Stahlstich eine Retusche mache, mache ich keinen Stahlstich, sondern imitiere es. Ich arbeite mit einer anderen Technik, nehme einen Pinsel, der drei Haare hat, damit er diese feinen Linien eines Stiches imitieren kann.

Welche Beziehung haben Sie zu den Werken?

Ricarda Holly: Es gibt Objekte, die ich vom Thema her spannend finde oder die eine Herausforderung darstellen. Wir bekamen Objekte, die von der Flut im Ahrtal zerstört wurden. Man ist emotional daran beteiligt. Das Ahrtal ist nur 20 Minuten von uns entfernt. Wir kennen die Leute persönlich, die alles Mögliche verloren haben und glücklich sind, wenn sie eine Zeichnung, ein Aquarell, das sie für vollkommen zerstört gehalten haben, heil wieder zurückbekommen.

Bei manch anderen Objekten gibt es wenig Herausforderungen. Wie in jedem Beruf erledigt man gewisse Arbeiten lieber und manche weniger gern. Wenn man zum Beispiel einen Auftrag von einem Archiv bekommt, wo es darum geht, Akten zu reinigen, ist das nur mit guten Hörbüchern ertragbar. Die Reinigung ist aber ein wichtiger Schritt. Staub zieht alle Arten von Ungeziefer an, denn es ist ein Nährstoff.

Tilman Holly: Staub ist säurehaltig und der Zersetzungsprozess wird dadurch beschleunigt.

Die Objekte, die ich restauriere, haben erst mal eine relativ neutrale Position in meiner Gedankenwelt. Ich habe noch nie gedacht „das Bild ist so schön, das würde ich gerne behalten.“ Es ist für mich immer mit einer gewissen Freude verbunden, es wieder an den Ort und der Person zu bringen, der es gehört. Deswegen hatte ich nie eine intensive Beziehung zu den Objekten. Meine Faszination und die Auseinandersetzung mit den Objekten ging immer von dem Bildthema und von der Technologie aus. Ich denke mir nur: „Was ist an dem Bild kaputt und wie ist das Bild gemalt“.

Haben Sie jemals daran gedacht, etwas Eigenes zu erschaffen?

Tilman Holly: Ja, ich bin auch künstlerisch aktiv, mache Plastiken und modelliere Skulpturen. Ich habe auch Aquarelle gemalt. Leider habe ich viel zu wenig Zeit. Im Urlaub, oder wenn ich unterwegs bin, habe ich manchmal einen Zeichenblock in der Hand. Ich suche schon ein wenig das Künstlerische.

Verspüren Sie manchmal Druck, da Sie an unwiederbringlichen Originalen arbeiten?

Tilman Holly: Nein, gar nicht. Mit der Demut dem Objekt gegenüber und sich diesem zu nähern, ist eher eine gewisse Neugierde verbunden.

Und bei einem Rubens?

Tilman Holly: Natürlich freue ich mich und bin stolz, wenn ich ein Objekt aus einer außergewöhnlichen Zeitepoche und eines außergewöhnlichen Malers im Hause habe. Ich bin auch über das Vertrauen dankbar, dass man in mich setzt. Gleichzeitig ist man schon etwas angespannter und konzentrierter bei der Arbeit. Dennoch empfinde ich niemals Druck oder Angst.

Im Laufe meines Berufslebens habe ich eine immer größere Hochachtung vor den Meistern der Vergangenheit entwickelt. Zu sehen, zu was der Mensch handwerklich fähig ist, berührt mich und ich habe eine Ehrfurcht vor den Künstlern und den Schaffenden und deren handwerklichem Können. Dadurch habe ich an mir erkannt, dass ich immer noch lernen und besser werden kann.

Wie gehen Sie damit um, falls doch mal ein Missgeschick passiert?

Ricarda Holly: Wir arbeiten immer mit Produkten und Techniken, die reversibel sind. Wir müssen stets in der Lage sein, ohne Zerstörung des Objektes gesetzte Maßnahmen wieder rückgängig zu machen. Ich habe ein Buch, das einen neuen Rücken bekommen sollte. Den habe ich gestern Abend vorbereitet. Heute Morgen habe ich gemerkt, dass er einfach nicht passt und geändert werden muss. Ich habe den Rücken wieder abgenommen und korrigiert. Jetzt ist er so, wie ich ihn wirklich gut finde.

Bei den Gemälden ist es noch leichter. Wenn mein Mann auf dem Gemälde mit Öl retuschiert, kann er die Schicht immer wieder entfernen. Das ist bei meinen Papierobjekten schwieriger. Wenn ich Originalstücke, die aus Papier sind, retuschiere, dann muss die Retusche sitzen.

Bei einem Gemälde hat man dadurch, dass es aus mehreren Schichten besteht, wie Leinwand, Grundierung, Öl, Firnis, mehr Spielraum. Bei einer Grafik gibt es nur das Papier und das Malmittel – es hat keinen wirklichen Körper. So ist ein Riss oder ein Schnitt schwieriger zu verbergen.

Worin liegt das größte Risiko?

Ricarda Holly: Die Risiken, dass ein Objekt Schaden nimmt, ist umso größer, je minderwertiger der Werkstoff ist, mit dem es hergestellt wurde. Auch mangelndes Materialwissen des Künstlers kann ein Risiko darstellen, wie wir aus der Geschichte wissen. Wenn der Künstler Materialien miteinander kombiniert hat, die zusammen nicht funktionieren oder nicht lange halten. Ich denke an das Abendmahl von Leonardo da Vinci. Auch von seinem Gemälde „Schlacht von Anghiari“ im Rathaus von Florenz ist nichts mehr vorhanden. Er hat eine Technik angewandt, die für die Dauer nicht funktioniert hat. Die Farbe hat sich bewegt und ist von der Wand geschmolzen.

Manche heutigen Künstler legen es auch regelrecht darauf an. Wir hatten ein Werk eines Künstlers, der viel mit Kugelschreiber und Filzstift gezeichnet hat. Das Bild ist kaum noch zu sehen. Es wurde vom Licht ausgeblichen, weil die Farbmittel nicht stabil sind.

Merken Sie angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage einen Rückgang an Aufträgen oder Reduzierungen der Budgets?

Ricarda Holly: Ich hatte bislang nur mit Privatleuten zu tun. Wenn es Institutionen waren, dann Archive, Bibliotheken. In Rheinland-Pfalz sind seit einigen Jahren ein Etat und ein Förderprogramm installiert worden. Diese Fördergelder wurden jetzt allerdings reduziert. Vormals wurden etwa 90 Prozent gefördert, jetzt sind es nur noch 60 Prozent oder 70 Prozent. Mich selbst betrifft es nicht, aber es ist ein Rückgang an Fördergeldern für die Institutionen zu verzeichnen.

Was private Leute betrifft, ist es eher umgekehrt. Dadurch, dass in den letzten Jahren die Menschen zu Hause festsaßen, haben sie gemerkt, dass viele Dinge nicht mehr schön sind und einer Restaurierung bedürfen. Weil zudem das Geld an Wert verliert, möchten sie es in ihre eigenen vier Wände und in ihre Objekte investieren.

Ich denke, dass sich jetzt viele Menschen auf ihre Werte zurückbesinnen, auch auf ihre Familie. Ich habe mehrere Kochbücher von Leuten aus der Nachbarschaft bekommen. Sie haben sie wohl von ihrer Oma oder Uroma. Ich denke nicht, dass sie das Buch groß benutzen werden. Es ist nichts wertvolles. Es geht ihnen mehr um die Erhaltung bestimmter Werte und Traditionen.

Tilman Holly: Ich spreche schon vom „Neuen Biedermeier“, weil der ein oder andere private Kunde sein Zuhause schön machen möchte. Er sagt: „Wir haben dieses Bild, das wir geerbt haben und könnten es eigentlich aufhängen.“ Es lässt sich beobachten, dass diese Betrachtung nach innen jetzt durch die unruhige Krisenzeit gefördert wird.

Ricarda Holly: Meiner Meinung nach ist es eine Art Flucht. Die Leute möchten in ihr Inneres, in ihre Häuser flüchten und in diesem Bereich eher Geld ausgeben. In den öffentlichen Stellen wird als Erstes immer an Kunst und Kultur gespart. Das war schon immer so, das bekommt man mit. Was die Denkmalämter früher an Budgets hatten und ausgegeben haben und was heute da ist, ist schon ein beachtlicher Unterschied.

Gibt es ein Objekt oder Gemälde, dessen Restaurierung Sie nicht so schnell vergessen werden?

Tilman Holly: Das ist ganz klar der Großauftrag, den wir von der Unionskirche in Idstein bekommen haben. Wir haben 48 Gemälde darin restaurieren dürfen. Die ganze Kuppel war mit Gemälden zugepflastert. Eine spektakuläre Erfahrung und auch ein menschlich berührendes Erlebnis, denn wir haben mit einem Kollegen-Freundeskreis gemeinsam an dem Auftrag gearbeitet und uns gegenseitig befruchtet und unterstützt. Es ist eine unglaublich tolle Kirche mit hochinteressanten barocken Gemälden, rubeneske Malerei, … das war das größte Erlebnis für mich.

Ricarda Holly: Für mich war es ein Papiertheater, bestehend aus verschiedenen Kulissen und Stabfiguren für sechs unterschiedliche Märchen – sehr entzückend und mal was ganz anderes. Dazu gab es auch die Texte in den Märchenbüchern, damit man das Theater wirklich spielen konnte. Ich fand das als Objekt unheimlich schön und die Restauration hat Spaß gemacht.

Zum anderen habe ich einmal einen Brautkranz aus Papier- und Wachsblumen von der Großmutter meiner Kundin restauriert. Ein schönes Objekt und etwas Besonderes, weil Liebe drin steckt.

Ricarda Holly in ihren Räumen des Ateliers. Sie hat sich auf die Restaurierung und Konservierung im Papierbereich spezialisiert. Fotos: Atelier Holly / Tilman Holly

Hier verlängert die Restauratorin die Bünde eines alten Buches. Fotos: Atelier Holly / Tilman Holly

Hier verlängert die Restauratorin die Bünde eines alten Buches. Fotos: Atelier Holly / Tilman Holly

Eine Fehlstelle an den Seiten eines Stadtratprotokollbuches aus dem Jahr 1598 wird hier ergänzt. Fotos: Atelier Holly / Tilman Holly

Eine alte Urkunde wird in einen Lederrahmen eingesetzt. Zunächst wurde es gereinigt und das Pergament wieder angeklebt. Fotos: Atelier Holly / Tilman Holly

Scherenschnitte werden trockengereinigt, gewässert und anschließend auf einen neuen Träger aufgebracht. Fotos: Atelier Holly / Tilman Holly

 



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