Krachts «Imperium» auf der Bühne in Hamburg

Hamburg (dpa) - Unterhaltsam-groteskes Abdriften in Barbarei, Tod und Verwüstung, pastellbunt und untermalt von launig swingender Musik: So hat Jan Bosse den umstrittenen Erfolgsroman „Imperium“ (2012) von Christian Kracht über einen…
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Die Schauspieler Sebastian Zimmler (l), Jörg Pohl und Marie Löcker in "Imperium" im Thalia in der Gaußstraße.Foto: Markus Scholz/dpa
Epoch Times27. April 2015
Unterhaltsam-groteskes Abdriften in Barbarei, Tod und Verwüstung, pastellbunt und untermalt von launig swingender Musik: So hat Jan Bosse den umstrittenen Erfolgsroman „Imperium“ (2012) von Christian Kracht über einen historischen deutschen Aussteiger und Vegetarier auf eine Hamburger Bühne gebracht.

Mit viel Gelächter und tosendem Applaus reagierten die Zuschauer am Sonntagabend im Thalia in der Gaußstraße auf die Uraufführung der zweistündigen Textfassung, die Bosse mit Gabriella Bußacker und dem sechsköpfigen Ensemble geschaffen hat. Die Darsteller, darunter Daniel Lommatzsch und Jörg Pohl, lieferten starke Leistungen als zunächst schicke und blasierte, bald aber desolate und in jeder Hinsicht nackte junge Pazifikinselbewohner.

Für das Thalia-Theater setzt sich damit der Trend fort, mit Versionen eingeführter Prosawerke Furore zu machen – so im Großen Haus mit Klassikern wie Grass’ „Blechtrommel“, Lenz’ „Deutschstunde“ und Melvilles „Moby Dick“. Bevor es am Sonntag in der ausverkauften Nebenspielstätte an der Gaußstraße mit der eigentlichen Handlung losging, hatte das Publikum noch im Foyer einem Biertischauftritt zu lauschen: Einen Humpen Gerstensaft vor sich, schwadronierte ein verklemmt und verschwitzt wirkender Agitator in beiger Strickjacke und brauner Hose (Lommatzsch) über „Kokovismus“ – die Lehre von der Notwendigkeit des modernen Menschen, sich nur von Kokosnuss zu ernähren und seinen Körper der Sonne auszusetzen, um der eigenen gottähnlichen Bestimmung wieder nahe zu kommen – das sei „der Mensch, wie er sein soll.“

Die Szene macht vertraut mit der Gedankenwelt August Engelhardts (1875-1919). Der Nürnberger Apothekenhelfer hatte 1902 in Deutsch-Neuguinea auf Kabakon eine Kommune gegründet, die der westlichen Zivilisation trotzen sollte. Engelhardts von der damaligen „Lebensreformbewegung“ inspirierte Ideen sollten später die amerikanischen Hippies, aber auch die Nazis beeinflussen.

Der Schweizer Kultautor Kracht („Faserland“) beschreibt den extremen Idealisten in seinem satirischen Roman, dem nach Erscheinen in heftigen Feuilletondebatten auch „rassische Weltsicht“ und antimoderne Gedanken vorgeworfen wurden, in künstlerisch freier Weise. Lustvoll greifen Bosse und Mitstreiter die Geschichte auf, mit der sie nun ein Bühnenexempel über deutschen Weltverbesserungsdrang statuieren.

Drei helle Inselchen auf dunklem Grund – eines aus Plastikmüll, das mittlere, größere aus Sand und eines aus Kokosnussschalen – bilden das sparsame Ambiente (Bühne: Stéphane Laimé). In dem sorgt rechts am Tasteninstrument Jonas Landerschier für weltflüchtigen Sound. Neben ihm, in einem kolonialen Korbsessel, sitzt ein alter Mann mit langem Bart und liest aus seinen Erinnerungen. Und in der Mitte tobt der Eso-Wahnsinn – wobei die Schauspieler Lommatzsch, Jörg Pohl, Steffen Siegmund, Sebastian Zimmler und Marie Locker statt Dialogen Krachts präzise geschliffene sowie eigene Erzählprosa direkt ins Publikum sprechen. Sie bilden eine verwöhnte Jugend, wie man sie sich auf Sylt vorstellen kann, die hier in pastellfarbener Sommermode anlandet (Kostüme: Kathrin Plath).

Doch nach und nach, unter Einsatz teils drastisch slapstickartiger Verrenkungen, verwandeln sich die Wohlstandskinder in nackte, von Mangelernährung, Zukunftsängsten und sexuellen Lüsten geplagte Pazifikinsulaner. Rauchend und tänzelnd, grapschend und jagend gestalten die Darsteller diese Selbstentblößung, bei der sich ein Jünger von Helgoland als Antisemit entpuppt. Ein Mensch fällt vermutlich einem Mord zum Opfer, ein Eingeborener betet Sektenguru Engelhardt an, der wiederum isst seinen eigenen Finger. Grausig irregeleitete Weltfremde – über deren Führer, den die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg zum Skelett abgemagert im Urwald entdecken, Hollywood einen Film dreht. Wie sagt es der Alte im Lehnstuhl? „Eine Geschichte muss nicht wahr sein – aber stimmen.“

(dpa)


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