Das Wörtlein – von Christian Morgenstern
Aus der Reihe Epoch Times Poesie – Gedichte und Poesie für Liebhaber
Das Wörtlein
Kürzlich kam ein Wort zu mir,
staubig wie ein Wedel,
wirr das Haar, das Auge stier,
doch von Bildung edel.
Als ich, wie es hieße, frug,
sprach es leise: „Herzlich“.
Und aus seinem Munde schlug
eine Lache schmerzlich.
Wertlos ward ich ganz und gar,
riefs, ein Spiel der Spiele,
Modewort mit Haut und Haar,
Kaviar für zu viele.
Doch ich wusch’s und bot ihm Wein,
gab ihm wieder Würde,
und belud ein Brieflein fein
mit der leichten Bürde.
Schlafend hats die ganze Nacht
weit weg reisen müssen.
Als es morgens aufgewacht,
kam ein Mund – es küssen.
Christian Morgenstern (1871-1914)
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