Die Schnitterin – von Gustav Falke

Aus der Reihe Epoch Times Poesie – In der Kunst sucht Falke Zuflucht vor der harten Realität des Alltags. Noch im Jahr seines Todes, 1916, erscheint sein Buch: „Das Leben lebt. Letzte Gedichte“.
Titelbild
„Gut, eh die Sonne geht, Kannst du drei Aecker mir schneiden...“.Foto: iStock
Von 17. April 2023

Die Schnitterin

War einst ein Knecht, einer Witwe Sohn,
Der hatte sich schwer vergangen.
Da sprach sein Herr: »Du bekommst deinen Lohn,
Morgen musst du hangen.«

Als das seiner Mutter kund getan,
Auf die Erde fiel sie mit Schreien:
»O, lieber Herr Graf, und hört mich an,
Er ist der letzte von dreien.

Den ersten schluckte die schwarze See,
Seinen Vater schon musste sie haben,
Dem andern haben in Schonens Schnee
Eure schwedischen Feinde begraben.

Und lasst ihr mir den letzten nicht
Und hat er sich vergangen,
Lasst meines Alters Trost und Licht
Nicht schmählich am Galgen hangen!«

Die Sonne hell im Mittag stand,
Der Graf sass hoch zu Pferde,
Das jammernde Weib hielt sein Gewand
Und schrie vor ihm auf der Erde.

Da rief er: »Gut, eh die Sonne geht,
Kannst du drei Aecker mir schneiden,
Drei Aecker Gerste, dein Sohn besteht,
Den Tod soll er nicht leiden.«

So trieb er Spott, hart gelaunt,
Und ist seines Weges geritten.
Am Abend aber, der Strenge staunt,
Drei Aecker waren geschnitten.

Was stolz im Halm stand über Tag,
Sank hin, er musst es schon glauben.
Und dort, was war’s, was am Feldrain lag?
Sein Schimmel stieg mit Schnauben.

Drei Aecker Gerste, ums Abendrot,
Lagen in breiten Schwaden,
Daneben die Mutter, und die war tot.
So kam der Knecht zu Gnaden.

 

Gustav Falke (1853-1916)



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