Ulrich Matthes‘ seelisches Notstromaggregat

Vielen Menschen fällt gerade die Decke auf den Kopf. Schauspieler Ulrich Matthes erklärt, wie er die Zeit rumkriegt - und warum er nach der Krise unbedingt seine Supermarkt-Belegschaft einladen will.
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Ulrich Matthes Erzählt, wie er die Pandemie durchlebt.Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa/dpa
Epoch Times19. April 2020

Der Deutsche Filmpreis wird diesmal ohne Gala verliehen – stattdessen ist eine Fernsehsendung geplant. Mehrere Prominente sollen am Freitag (24. April) aus ihren Wohnzimmern zugeschaltet werden.

Der Schauspieler Ulrich Matthes (60) ist Präsident der Deutschen Filmakademie – und wir erreichen ihn im Homeoffice.

Frage: Herr Matthes, wie geht es Ihnen?

Antwort: Ganz okay. Ich richte mich ein in diesem erzwungenen Zu-Hause-Bleiben. Ich nutze die Möglichkeiten, spazieren zu gehen. Ich besuche mit fünf Metern Abstand meine Mutter vor der Tür ihres Heims. Ich versuche, ein bisschen Sport zu treiben, Liegestütze und so. Ich kann sehr gut darauf verzichten, meinen Beruf auszuüben, noch. Ich laufe auf einer Art seelischem Notstromaggregat. Als wenn die Seele, der Geist, der Körper nur das Nötigste tut, um diese Phase durchhalten zu können.

„Mir fehlt das Theater enorm“

Frage: Entwickeln Sie noch keine Sehnsüchte?

Antwort: Natürlich habe ich Sehnsüchte, klar. Wir sind soziale Wesen. Mir fehlt das Theater enorm. Oder Dreharbeiten. Vor allem wollen wir wieder mit vielen anderen Menschen in einem Raum sein. Diese Art der Energie, die man bekommt, wenn man etwas gemeinsam erlebt – sei es ein Essen, ein Kino- oder Theaterbesuch – diese Art der Energie ist existenziell.

Frage: Wird denn die Welt nach dieser Krise eine andere sein oder halten Sie das für Quatsch?

Antwort: Ich bin hin- und hergerissen. Der Skeptiker in mir sagt sich, dass die Menschen doch wieder in all ihre Mechanismen des vorher gelebten Lebens zurückfallen werden. Der Optimist hofft darauf, dass dieser Einschnitt so radikal war, dass wir doch ins Nachdenken kommen. Und ich hoffe, dass wir uns über bestimmte Dinge, die wir für selbstverständlich hielten, wieder besonders freuen.

Frage: Also mehr Dankbarkeit – wofür genau?

Antwort: Dankbarkeit dem Alltäglichen gegenüber. Dafür, dass man sich abends zum Essen treffen kann, dass man ins Kino oder gemeinsam zum Fußball gehen kann. Es muss nicht immer der spektakuläre Sechs-Wochen-Trip nach Neuseeland sein, der einem das Leben versüßt. Es kann auch die Geburtstagsfeier bei Tante Monika sein, bei der man in Vor-Corona-Zeiten eher etwas muffelig familiär zusammengesessen hätte (lacht). Ich habe die Hoffnung, dass wir da etwas bescheidener werden in unseren Ansprüchen.

Frage: Das könnte sein.

Antwort: Und ich hoffe weiter, dass die Rechtspopulisten an Zuwachs verlieren, weil die Regierungsparteien uns im Großen und Ganzen auf sehr gute Weise durch diese Krise manövrieren. Ich erhoffe mir auch für Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, für die Menschen in meinem Supermarkt, die an der Kasse sitzen und die schlechte Laune von den teils vermummten Leuten aushalten müssen, mehr soziale Empathie. Wissen Sie, was ich neulich gemacht habe?

Einladung an Edeka

Frage: Was denn?

Antwort: Ich habe zu dem Pächter meiner Edeka-Filiale gesagt: „Wenn das alles durch ist, dann lade ich die ganze Belegschaft zu mir ins Theater ein. Dann gucken sie sich eine Komödie an – den „Menschenfeind“ von Molière. Ich bezahle das und anschließend gebe ich in der Kantine eine Runde aus. Aus purer Dankbarkeit.“

Frage: Und was hat der Pächter gesagt?

Antwort: Der hat sich gefreut. Eine der Mitarbeiterinnen hat dann noch gesagt: „Ach, das haben Sie dann doch, wenn das alles vorbei ist, wieder vergessen.“ Da habe ich gesagt: „Nee, ganz bestimmt nicht!“ Viele Berufe haben wir für selbstverständlich gehalten, und jetzt merken wir, wie wichtig sie für uns sind. Da erhoffe ich mir mehr soziale Empathie, die sich auch finanziell ausdrücken sollte.

Frage: Also in einer besseren Bezahlung?

Antwort: Ich habe neulich gesagt, dass ich bereit wäre – sagen wir – sieben Prozent meines Gehalts wegzugeben, wenn dadurch Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten, besser bezahlt würden. So eine Art von solidarischer Geste halte ich für selbstverständlich. Und ich hoffe tatsächlich, dass es so eine Art Nach-Corona-Soli geben wird. Ich wäre dazu sofort bereit. Die Gesellschaft muss nach Corona auch finanziell zusammenrücken.

Deutscher Filmpreis ohne große Gala

Frage: Am Freitag wird nun der Deutsche Filmpreis verliehen – als TV-Sendung ohne große Gala. Warum wollten Sie trotz Krise am Termin festhalten?

Antwort: Wir wollten ein Zeichen setzen der Zuversicht, der Solidarität. Und auch ein Zeichen dafür, dass das vergangene Kinojahr großartige Leistungen hervorgebracht hat. Es gibt natürlich auch in der Filmbranche viele Ängste, viele ökonomische Verwerfungen. Es besteht die Gefahr, dass kleinere Produktionsfirmen die Krise nicht überstehen, dass Kinos eingehen. Dass das am Freitag nicht so glamourös mit Tschingderassabum und rotem Teppich verliehen werden wird, liegt auf der Hand.

Frage: Was erwartet uns stattdessen?

Antwort: Wir haben, wie ich finde, hoffentlich eine schöne Mischung aus digital und analog gefunden. Und ich hoffe, dass wir zumindest in diesen zwei Stunden ein bisschen Freude in die Branche hineintragen können. Sie hat es – wie viele andere auch – dringend nötig.

Frage: Prominente sollen zugeschaltet werden. Zeigen Sie uns auch Ihr Wohnzimmer?

Antwort: Nein, ich bin ganz analog im Studio mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters und werde die Lolas für die drei besten Filme verleihen. Aber die Nominierten werden per Stream nägelkauend zuhause sitzen. Man muss halt improvisieren und hoffentlich eine gute Balance aus Ernsthaftigkeit und Humor finden.

Was braucht die Filmbranche jetzt?

Frage: Die Kinos sind geschlossen, viele Dreharbeiten gestoppt. Was braucht die Filmbranche jetzt?

Antwort: Naja, wenn ich es auf einen kurzen Nenner bringen sollte, dann ist es einfach Geld. Monika Grütters ist da engagiert. Sie arbeitet mit Sicherheit von früh bis spät, um die Pleiten so gering wie möglich zu halten. Es gibt das Problem der kurzzeitig befristeten Angestellten: Sehr viele Filmschaffende fallen im Moment total durchs Raster. Und ich bitte dringend darum, dass die Politik sich darum kümmert. Auch die Kinolandschaft ist hochgefährdet, auch das weiß die Politik. Für viele geht es einfach um finanzielle Unterstützung. Und natürlich um die Frage: Wann können wir wieder drehen?

Frage: Und deutet sich da etwas an?

Antwort: Nein. Natürlich bereiten die Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten, die im Homeoffice arbeiten können, neue Projekte vor. Natürlich wird es dann auch Corona-Stoffe geben. Es wird angesichts der furchtbaren Ereignisse weltweit sehr anrührende, traurige Filme geben. Irgendwann auch Komödien. Wahrscheinlich setzt sich jetzt auch noch der eine oder andere hin und schreibt seine Memoiren. Ich werde das ganz sicher nicht tun.

Frage: Es klingt trotzdem so, als kämen sie mit der aktuellen Situation vergleichsweise gut klar.

Antwort: Vergleichsweise! Ich versuche einfach, das Beste draus zu machen. Ich empfinde die Entschleunigung allerdings nicht als besondere Entdeckung, wie es einem manche Soziologen oder Promis mit Kalenderblattsprüchen weismachen wollen. Ich versuche einfach nur, erzwungener Maßen was draus zu machen.

Frage: Das heißt aber auch, dass man Sie sonst eher nicht bei einem sechsmonatigen Yoga-Seminar im Kloster finden würde?

Antwort: In der Tat. (dpa)



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