Zur Verteidigung unserer Frauen – Ein Essay

Wie groß das Ausmaß der Verehrung immer gewesen ist, die wir christlichen Männer unseren Weibern im Verlauf der europäischen Geschichte entgegengebracht haben. So hatte das alles nicht die geringste Chance gegen eine zarte Liebkosung ihrer schlanken Hände, einen flüchtigen Kuss ihrer rosigen Lippen. Ein Essay - Teil I
Titelbild
Geburt der Venus. Sandro Botticelli (Ausschnitt) Uffizien Florenz.Foto: WikiMedia Commons
Von 31. März 2018

Liebstes, dein Herz will ich erwärmen

Mit Prometheus‘ loderndem Feuerbrand

Mit der Glut von fallenden Sternen

Mit goldenen Zungen vom Sonnenrand!

Amadea & Orlando 17. Aufzug Kerker

Stell Dir vor, Du hättest ein Ideal!

Eine schimmernde Vision vollkommener Treue, ein unauflöslicher Schwur, eine unverbrüchliche Zusage… und damit die tiefe Befriedigung, Deiner Königin bedingungslos dienen zu dürfen. Als ihr Beschützer in jedem Wetter. Als ein Ritter, dessen Menschlichkeit in Feuer und Leid gestählt wurde. Als ein Mann, der alles sah und gereinigt daraus hervorging, statt zu zerbrechen. Als ein Champion, der Mut, Anstand, Fairness, Güte, Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, Redlichkeit, Rechtschaffenheit, Moral, Reinheit, Gerechtigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Tugend als deutlich sichtbare Symbole in seiner Fahne führt. Als ein Mann also, der seinen selbstsüchtigen Individualismus einem höheren Ziel untergeordnet hat.

Könnte dies Dir gefallen?

Oh, vergiss diesen albernen Unsinn! höre ich Dich sagen. Wir leben nicht mehr im Zeitalter der Minnesänger. Die heutigen Ideale sind Lüge, Gier, Unzucht, Betrug, Erpressung und Mord, und diejenigen, die sie in ihren Fahnen führen, regieren die Welt!

Also bleibt uns nur die Verzweiflung?!

Noch nicht, so hoffe ich! Sehen wir uns in der Tat an, was wir jetzt haben, oder was wir einst hatten, und warum es verloren ging. Wobei verloren ein relativer Begriff ist, sofern man ihn ein wenig streckt. Denn was auch immer von den Pharisäern und ihrem kombinierten Medienansturm unter die Oberfläche unserer betäubten und verwirrten Wahrnehmung gezwungen wurde, es ist immer noch da. Und mit ihm eine ganze Reihe von schlafenden Emotionen. Wie zum Beispiel die stille Freude, ein Gelübde erfüllt zu haben. Oder das Hochgefühl, von Menschen umjubelt zu werden, deren Freiheit man erfolgreich verteidigt hat. Oder die Glückseligkeit beim Lesen eines Gedichtes, das zu unserer Lobpreisung geschrieben wurde. Oder das Vergnügen, als ein Mann von einer gewissen Bedeutung bezeichnet zu werden. Oder die Verzauberung beim Anhören eines Liedes, mit dem ein junges Mädchen unsere Heldentaten besingt. Oder die unvergleichliche Ekstase bei dem Empfang einer Auszeichnung unserer allerschönsten Königin.

In diesem Zusammenhang mag angemerkt werden, wie groß das Ausmaß der Verehrung immer gewesen ist, die wir christlichen Männer unseren Weibern im Verlauf der europäischen Geschichte entgegengebracht haben. Die Leichtigkeit und Sicherheit, mit der wir sie bei Bedarf zu einem Status von Beinahe-Gottheiten erhöhten, wohl wissend, dass all unsere Hellebarden und Lanzen und Schwerter zusammengenommen nicht die geringste Chance hatten gegen eine zarte Liebkosung ihrer schlanken Hände, einen flüchtigen Kuss ihrer rosigen Lippen.

Und wenn die Hände nicht ganz so schlank waren oder die Lippen etwas weniger rosig, so machte das auch keinen allzu großen Unterschied aus. Denn wahrscheinlich war der dazugehörige Ritter nicht immer so attraktiv wie jener auf dem Gemälde am Beginn dieses Kapitels, sondern hatte O-Beine vom vielen Reiten, oder war spitzbäuchig von all dem Wein vor und nach einem Kampf, oder kahlköpfig vom Tragen des schweren Eisenhelms in Regen und Wind. Mit anderen Worten, oder wie wir Deutschen es gelegentlich auszudrücken pflegen, auf jeden Topf der passende Deckel. Was jedoch den romantischen Aspekt meiner Ausführungen in keiner Weise beeinträchtigt.

Die Anbetung des göttlich-ewigen Weibes wurde uns von unseren indo-germanischen Vorfahren als weitgehend undefinierter Impuls überliefert, erhielt aber einen enormen Auftrieb durch die Erfindung der Liebe als praktikables Gedankensystem und folgerichtig eines allumfassenden Gefühlsausdrucks.

Mit wenigen Ausnahmen ist dieses Gefühl in den meisten Gesellschaften kaum oder überhaupt nicht vorhanden. Nämlich in solchen, die ihre Frauen historisch als minderwertig erachten, und dies nur aufgrund der Tatsache, weil sie nicht mit gleicher Kraft zurückschlagen können, wenn sie von einem Mann angegriffen oder missbraucht werden. Und demzufolge als zweitklassige Kreaturen eingestuft werden, deren von Gott befohlene Aufgabe es ist, ihren Herren und Meistern in jeglicher Form dienlich zu sein. Es gibt ganze Stämme in Afrika, deren Frauen die Felder bestellen, die Kinder füttern, das Essen kochen, die Hütte ausfegen, und in der Tat alle notwendigen Arbeiten verrichten, um die Familie zu ernähren, während die Männer kichernd herumliegen und sich bekiffen oder mit Kwas besaufen und nur dann aufstehen, um den Frauen eine Tracht Prügel zu verabreichen, falls die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Mit Hinblick auf eine viel zu einseitige Arbeitsbelastung gilt das gleiche wohl auch für jede arme Damsel, die mit einem orthodoxen Juden verheiratet ist. Letzterer dankt seinem alt-testamentarischen Gott jeden Morgen innigst dafür, als Mann erschaffen zu sein, klettert sodann in seine Vogelscheuchengarnitur und verliert sich den lieben langen Tag in den unendlichen Feinheiten des Talmuds, wo vermutlich auf jeder dritten Seite zu lesen ist, dass selbst ein Abwaschen des Teelöffels gegen Jahwes ausdrücklichen Willen verstößt.

Und was Frauen betrifft, die in den klassischen islamischen Ländern leben, erinnere ich mich an eines der traurigsten Sprichwörter, das mir auf meinen langen Reisen begegnet ist. Nämlich jenes, welches sie nur zu flüstern wagen, wenn ihr Supremo sich anderweitig aufhält: Das Leben ist nur ein Schleier und ein Grab …

Oder um eine etwas härtere Variante aus meinem Roman THE CRIMSON GODDESS zu zitieren:

Sie haben die Liebe getötet. Sie behandeln ihre Frauen wie eine niedrigere Rasse. Sie heiraten ohne Liebe, sie vermehren sich ohne Liebe, sie verwöhnen ihre Söhne und verachten ihre Töchter. Sie verprügeln ihren Frauen, erwürgen sie oder steinigen sie, wann immer ihr Stolz es verlangt. Sie haben sich selbst um das größte Geschenk Gottes betrogen, nämlich die freie und glückliche Liebe zwischen einem Mann und einer Frau. Sie leben in einer Gefühlsleere, denn im Laufe der Zeit hat dieser Mangel an Liebe ihre Seelen versteinert. Deshalb sind sie oftmals so unbelehrbar, grausam und manchmal selbst völlig von Sinnen. Bei uns Christen sehen sie, was die Liebe sein kann, und es macht sie zornig. Hass ist das einzige Gegenmittel, das sie finden können, denn ihre Ehre verbietet ihnen alles andere. Deshalb sehnen sie sich so sehr nach ihrem Paradies. Darum verachten sie das Leben und verherrlichen den Tod, ihren eigenen mit eingeschlossen. Darum töten sie ihre Tiere und Gegner und Frauen auf solch barbarische Weise, denn es gefällt ihnen, andere mehr leiden zu sehen als sich selbst.

Starker Tobak, magst Du sagen! Aber es bedarf nur eines einzigen Blicks auf die Fotos oder Videos einer heutigen Steinigung von Frauen, etwa in Afghanistan, um das Vorhergesagte zu untermauern. Was zu der Annahme führen könnte, nur gänzlich primitive Völker wären zu diesem schrecklichen Verhalten fähig.

Aber das ist nicht wahr. Nehmen wir beispielsweise die Japaner, ein an sich hochgebildeter Haufen, der das simple Trinken einer Tasse Tee zu einer endlosen Zeremonie von tiefster metaphysischer Bedeutung verfeinern konnte, andererseits aber seine Mädchen in zartestem Alter in viel zu enge Schuhe zwängte, die ihre Füße grausam verkrüppelten und sie für den Rest des Lebens unter Schmerzen humpeln ließen.

Man könnte, traurig genug, noch einige Seiten mit ähnlichen Schrecken füllen, aber diese sind hier nicht wirklich das Thema. Vielmehr möchte ich mich mit einem Seufzer der Erleichterung wieder den christlichen Männern zuwenden. Oder, um die Chronologie nicht durcheinander zu bringen, ihren Vorfahren, den alten Griechen.

Wovon einer, wahrscheinlich der größte überhaupt, aber leider nicht namentlich bekannt, jener glorreiche Schlauberger gewesen sein muss, der die bis dahin weitgehendst unbekannte Idee formulierte, dem Leben sei unendlich mehr abzugewinnen, wenn es mit einer fröhlichen, warmherzigen, intelligenten, selbstbewussten, witzigen, nur leicht oder auch überhaupt nicht bekleideten Gemahlin geteilt würde. Dies zum Beispiel anstelle einer schriftunkundigen Haremschönen, die vielleicht ein paar Tricks im Bett kannte und sonst nichts. Oder einer verängstigten Küchenmaus, die kaum ein Wort von sich gab, aus Angst, eine Tracht Prügel zu beziehen.

Mit Sicherheit kann angenommen werden, dass die Idee göttlich inspiriert wurde, vermutlich vom Göttervater Zeus selbst, denn dem wurde ja eine Vorliebe für außergewöhnlich schöne Frauen nachgesagt, hatte er doch bereits solch unvergleichlich herrliche Geschöpfe wir unsere Musen oder die schaumgeborene Aphrodite gezeugt.

All dies geschah lange bevor der gewaltige Homer durch Hellas heilige Gefilde streifte. Denn zu seiner Zeit genoss der soziale Status eines hochgestellten Frauenzimmers bereits ein derartiges Ansehen, dass ein Knick im letzteren einen langen und kostspieligen Krieg auslösen konnte. Die Rede ist hier natürlich von jenem lieblichen Gesicht, um dessentwillen tausend Schiffe die Segel hissten: Helena von Troja. Welche ihrem königlichen Gatten die kalte Schulter gezeigt hatte und stattdessen mit dem jungen und wesentlich griffigeren Paris durchbrannte. Und so neun lange Jahre wilden Schlachtgetümmels verursachte, aber auch eines der prächtigsten literarischen Denkmäler der Menschheitsgeschichte überhaupt.

Was nicht heißt, dass Seitensprünge im antiken Griechenland ein allgemein gebräuchlicher Zeitvertreib waren. Ganz im Gegenteil. Von den Frauen wurde generell erwartet, ihren Männern treu zu sein und Haus und Herdfeuer gut im Auge zu behalten. Aber sie wurden auch mit Respekt behandelt, denn gab es einmal ernsthaften Grund zur Unzufriedenheit, konnte die Hölle losbrechen.

Man denke nur an Lysistrata, Heldin von Aristophanes respektloser und manchmal recht deftigen Komödie, die sich selbst und ihre Mitverschwörerinnen in die Akropolis von Athen und Sparta einschlossen und ihren Ehegatten solange jegliche Liebesbezeugungen verweigerten, bis die auf das übliche gegenseitige Durchschneiden der Kehlen verzichteten und sich zur Abwechslung wie anständige Menschen benahmen.

Oder Xanthippe, bessere Hälfte eines der bedeutendsten Denkers aller Zeiten, die nicht sehr beeindruckt war von seinen geistigen Höhenflügen oder dem Tee, den sie seinen Schülern den lieben langen Tag anzudienen hatte. Und die sich, durchaus in Hörweite, dahingehend ausließ, dass ein neues Gewand oder eine Küchenhilfe wesentlich greifbarer waren als all die Ethik und Phänomenologie und Metaphysik und was bei Zeus nicht noch alles auf dem Programm stand. Obwohl sie, so wird gesagt, auch bitterlich weinte, als die Athener Neocons ihn dazu zwangen, den Schierlingsbecher bis zur Neige zu leeren.

Was die Kunst als solche betrifft, erreichte die Verehrung des göttlichen Weibes insbesondere in der Bildhauerei ein Maß an Perfektion, dem wir noch heute fassungslos gegenüberstehen.

Wie zum Beispiel die Aphrodite von Rhodos.

Oder Arsinoe II, eine griechisch-ägyptischen Königin, die ungefähr zweihundert Jahre vor Kleopatra lebte, sich in Gewänder von epischer Delikatesse kleidete und dergestalt einem Bildhauer Modell stand, dessen untrüglicher Sinn für Schönheit und Harmonie in späteren Epochen nur noch selten erreicht wurde.

Die Stimmung setzte sich im Römischen Reich fort, hervorragend in der Poesie zum Ausdruck gebracht, jedoch weniger in den bildenden Künsten. Es geschah während dieser Zeit, dass Gottes Plan für die Menschheit einen wichtigen Schub in Richtung einer fernen Vervollkommnung erhielt, und zwar mit der Ankunft eines anderen glorreichen Erneuerers. Einer, der den Begriff Liebe in eine wesentlich erweiterte und daher gänzlich neue Dimension fasste, dergestalt das Fundament legend für eine Verinnerlichung des Weltbegriffes, der unser europäisches Gedankengut seitdem auf unnachahmliche Weise beeinflusst und befruchtet hat.

Nun war dies allerdings ein Ereignis, dem wir nicht sogleich gewachsen waren, und es bedurfte beinahe eines ganzen Millenniums, um das Unerhörte zu verarbeiten. Aber dann: Eureka! Ein kulturelles goldenes Zeitalter begann zu erblühen, das wuchs und gedieh und ein Ausmaß an Schönheit und Perfektion erreichte, wie es in der gesamten Geschichte der Menschheit nicht zu finden war und nicht zu finden sein wird, es sei denn mit Hilfe der Nachfahren seiner Erfinder.

Unser Problem ist heute, dass wir es als selbstverständlich und unumstößlich erachtet haben.

Oder besser gesagt, es schien einfach undenkbar, dass dieses Ereignis sich nicht fortsetzen könnte, unversehrt weitergereicht von Generation zu Generation und derart ein Kulturverständnis bewahrend und erweiternd, das irgendwann einmal in einem perfekten und gänzlich friedfertigen Utopia kulminieren sollte.

Zum besseren Verständnis des obigen ist es angebracht, einen kurzen Umweg nach Frankreich zu machen, und zwar in das liebliche Städtchen Autun im schönen Burgund. Hier finden wir eines der ersten wunderbaren Beispiele für eine griechisch-römisch inspirierte Renaissance, die über sich selbst hinauswuchs und in unvergleichlichen Meisterwerken wie Sandro Botticellis Geburt der Aphrodite oder Lord Leightons Flaming June ihren Höhepunkt fand.

Eva von Gislebertus, vom Nordportal der Kathedrrale in Autun (etwa1130). Musée Rolin.   Foto: WikimediaCommons

Das Beispiel als solches heißt Eva, ist ein Relief und vom Stil her romanisch.

Sie ruht lang hingestreckt in einem Garten mit tausend Blumen und vielen Bäumen. Ihre Haut schimmert wie polierter Alabaster, ihr schöner Busen ist klein aber fest. Ihre herrlichen langen Haare fallen fließend über runde Schultern. Ihr zartes Haupt wird von einer exquisiten langen Hand gestützt. Die süßen Lippen sind in nachdenklicher Betrachtung geschürzt, untermalt nur mit dem leisesten Hauch von kapriziösem Hintersinn. Ihre bezaubernden Augen sind halb geschlossen und haben einen verträumten Ausdruck. Sie greift gedankenverloren mit der anderen Hand nach der verbotenen Frucht.

Keine Schlange, wohlgemerkt! Schau sie dir an … und erbleiche!

Denn dies ist die Quintessenz weiblicher Schlechtigkeit überhaupt! Sie ist jene schamlose Intrigantin und sündige Verführerin, die uns das ganze Elend der Welt aufgehalst hat. Ihretwegen wurden wir aus dem Paradies verjagt und haben es seitdem zutiefst bereut!

Möge der Teufel sie holen!

Kannst Du dies glauben?

Besser nicht! Denn dies ist die albernste, unsinnigste und bösartigste Erfindung des sogenannten Alten Testamentes überhaupt. Sie war von Anbeginn dazu bestimmt, das Frauenvolk mit Hilfe einer ungeheuren Beschuldigung zu unterjochen und es für seine Untat büßen zu lassen, sei es in der Küche, im Gemüsegarten, im Bett oder im Folterkeller. Was hingegen wirklich passiert sein muss, ist für jeden empfindsamen Menschen offensichtlich. Nämlich dass Eva in den geheimnisvollen Apfel biss, um sich her blickte und mit atemloser Überwältigung erkannte, in einem irdischen Paradies von einer derartigen Schönheit und Pracht zu leben, wie es grandioser einfach nicht vorstellbar war. Und dass sie das tat, was jede liebevolle Frau tun würde, nämlich ihren Mann ebenfalls von der herrlichen Frucht kosten zu lassen.

Und wenn sie bis dahin nicht wussten, dass sie nackt waren, so wussten sie es jetzt. Wobei meine Vermutung dahin geht, dass es ihnen nicht allzu viel ausmachte.

Im Gegenteil ….

Die ganze aberwitzige Geschichte wirft, nebenbei bemerkt, auch ein deutliches Licht auf den unüberwindlichen Abgrund, der das Alte Testament vom Neuen Testament trennt. Denn die Apologeten des ersteren müssen sich ja, sofern nicht schon längst Atheisten und Nihilisten, als die von einem verärgerten Gott verjagten Opfer betrachten und als solche ein Leben lang statt im Paradies in einer Art irdischem Hades wandernd, der hauptsächlich von gefährlichen Ungläubigen und anderen Wegelagerern bevölkert wird. Was dazu führt, dass konform mit diesem göttlichen Dekret alle Untaten in Bezug auf die Letzteren erlaubt sind und dem nur ein Hindernis entgegensteht, nämlich erwischt zu werden.

Wohingegen die Anhänger des Neuen Testaments, sofern einigermaßen einfühlsam und intelligent, sich dessen Aussagen zu Herzen genommen haben und so genau wissen, dass ein überwältigend schönes irdisches Paradies vollkommene Realität ist. Vorausgesetzt natürlich, es kommt kein böser Mensch daher und macht es ihnen streitig.

Was also meine Interpretation der Eva betrifft, so deckt diese sich fraglos mit jener ihres Schöpfers, einem gewissen Ghislebertus, der sie um etwa 1140 AD so prachtvoll aus Marmor schuf, und der uns mit ihr den Schlüssel zu einem Verständnis jener wunderbaren Epoche gab, die gerade begonnen hatte, sich zu entfalten.

Um diese jedoch voll zu verstehen, müssen wir uns ihrer wichtigsten Befruchtung erinnern, nämlich jenes magischen Ereignisses ein Jahrtausend zuvor, als der Mann aus Nazareth seine bis dato ungehörte Gottesidee zu einem universalen Prinzip erhob und so der Welt die Möglichkeit einer ungemein verfeinerten Geistes- und Gefühlswelt eröffnete. Eine, die nicht nur das Wunder der Schöpfung einleuchtend zu erklären vermochte, sondern auch eine glaubwürdige Aussicht auf Befreiung und Erlösung in sich barg. Es verwundert daher nicht, dass zusammen mit Ghislebertus einige Frauen und Männer erschienen, die seinem künstlerischen Geniestreich ein faszinierendes intellektuelles Fundament gaben.

Wie zum Beispiel Sankt Bernhard von Clairvaux, der unter Gebildeten wie Ungebildeten einen immensen Respekt genoss, und zwar aufgrund eines brillanten Geistes kombiniert mit einer tiefen Überzeugung, die seine wundersamen Höhenflüge auf eine solide und nachvollziehbare Basis stellten. Hier folgen einige Worte aus seinen famosen Canticles.

Liebe sucht keinen Grund über sich hinaus und keine Frucht. Sie ist ihre eigene Frucht, ihr eigener Genuss. Ich liebe, weil ich liebe. Ich liebe, damit ich lieben darf…

Im Sog dieser außergewöhnlichen Gnosis gedieh eine poetische Wiederbelebung, die um AD 1050 mit den französischen Troubadours begann und in den deutschen Minnesängern ihren Höhepunkt fand. Wobei letztere Formen der weiblichen Verehrung entwickelten, die eine beinahe mystische Verklärung enthielt. Denn die lyrischen Hymnen, komponiert und vorgetragen von kampferprobten Rittern und Edelleuten, der deutsche Kaiser miteingeschlossen, waren in Stil und Essenz so erhaben wie Schuberts Ave-Maria. Eine Kunstform also, die dem schwächeren Geschlecht eine göttliche Dimension spiritueller Reinheit zuordnete und die Anbetung so zu einem ungemein empfindsamen intellektuellen Genuss erhob, der in den pornographieverseuchten Gefühlswüsten unserer modernen Zeit kaum noch nachvollziehbar ist.

Was nicht heißt, dass die Angebeteten jener Zeit dem Zauber der sinnlichen Verführung gänzlich abhold waren. Was folgt ist ein kurzer Auszug aus einer höfischen Geschichte jener Tage, betitelt Lanval und geschrieben von der exquisiten Marie de France:

Sie hatte eine attraktive, gertenschlanke Figur. Ihr Hals war so weiss wie der Schnee auf einem Zweig. Strahlende Augen in einem blassen Gesicht, ein schöner Mund, eine perfekte Nase, dunkle Augenbrauen. Ihr Haar war wellig und weizenfarben. In der Sonne hatte es ein Licht feiner als gesponnenes Gold. Sie war gekleidet in eine leichte weiße Leinentoga, an den Seiten offen und nur locker geknüpft, so dass man die bloße Haut von oben bis unten sehen konnte.

Das darauffolgende Zeitalter der Gotik, eine Epoche so wunderbar, magisch und geheimnisvoll, dass sie nur Eingeweihten wirklich zugänglich ist, entfachte die bereits erwähnte unvergleichliche Renaissance, letztere erhöht durch die Wiederentdeckung der grandiosen Kulturen unserer Vorfahren und ihrer spirituellen Vertiefung durch Christi Maximen.

So geschah es also, dass die ersten literarischen Giganten des Christentums die Weltbühne betraten und der Humanismus aus der Taufe gehoben wurde. Exaltierte Heldinnen wie Petrarcas Laura oder Dantes Beatrice eroberten die Herzen der gebildeten Klassen Italiens und weit darüber hinaus. Als direkte Folge erhielt die romantische Verehrung des schwachen Geschlechts einen weiteren Schub, und Fürsten, Päpste, Grafen und Condottieri, alle mit einem unfehlbaren Sinn für Schönheit und Eleganz gesegnet, sorgten dafür, dass ihre Ehefrauen, Töchter oder Maitressen eine hervorragende humanistische Ausbildung erhielten, in der Regel verabreicht von den besten Gelehrten, die für Geld zu haben waren.

Während also bei den passenden Gelegenheiten das liebliche Äußere der Damen vorgeführt wurde, ließ man ebenfalls mit tiefer Befriedigung wissen, dass sie gerade Aristophanes im Original gelesen hatten und, vielleicht am Kamin bei einem Glase sublimen Montepulciano, einen geistreichen Kommentar zu seinen Gewissheiten und Trugschlüssen formulieren konnten.

Kein Wunder also, dass Lorenzo de Medici, Herrscher von Florenz, eines Tages beschloss, ein außergewöhnlich schönes Mädchen aus seiner vermutlich engeren Umgebung in den Stand der Unsterblichkeit zu erheben. Er übertrug diese bedeutsame Aufgabe einem seiner bevorzugten Schützlinge, Sandro Botticelli mit Namen.

Um dem Unterfangen eine Prise von profundem intellektuellen Tiefgang zu verleihen, wie es damals üblich war, lud er den hochverehrten Humanisten und Dichter Angelo Poliziano zu einer Unterredung ein. In deren Verlauf, und wohl auch nach dem Verzehr einiger Tropfen edelsten Mtepulcianos, erdachten beide eine visuell unvergleichliche und philosophisch überwältigen- de Allegorie als sublimen Unterbau des wohl weltweit schönsten Kunstwerkes überhaupt.

Angelo, wenn ich mich recht entsinne, war übrigens der erste christliche Lyriker, welcher ein elegisches Gedicht auf den Tod seines geliebten Hundes schrieb. Was eine der besten Referenzen ist, zumindest in meinen Augen, die ein wahrer Humanist vorweisen kann, wenn man ihn auffordert, sich zu erklären.

Und so wurde die Geburt der Aphrodite geboren.

Die Göttin der Liebe steht in einer großen Muschel, die nahe dem Ufer schwimmt. Sie ist wunderschön, mit schimmernden rotblonden Haaren und hellgrünen Augen. Obwohl gänzlich unbekleidet, umgibt sie eine Aura der Jungfräulichkeit und Reinheit. Sie bedeckt ihre Scham mit einer Strähne langen Haares.

Geburt der Venus, Sandro Botticelli (1445-1510), Uffizien, Florenz.    Foto: WikimediaCommons

Auf der linken Seite schwebt eine geflügeltes Paar, fest umschlungen und nur lose gewandet in ein himmelblaues Tuch. Beide fliegen in einem Schwarm von wilden Rosen und pusten Luft mit gefüllten Wangen, auf diese Weise eine Brise erzeugend, welche die Göttin an das Ufer schiebt. Dort wartet eine junge Frau darauf, sie zu empfangen. Sie hält einen fein gewebten Umhang in beiden Händen, eindeutig dazu bestimmt, die Göttin hiermit nach ihrer Ankunft zu bekleiden.

Was das Gemälde so unvergleichlich macht, ganz abgesehen von seiner atemberaubenden Schönheit, ist die Symbolik. Das geflügelte junge Paar auf der linken Seite repräsentiert den Herrgott und Weltenschöpfer, welcher noch nie zuvor in der europäischen Kunst als innig verflochtenes Mann und Weib, nur spärlich verhüllt obendrein, dargestellt wurde. Die Dame rechts ist die Menschheit, ganz fraglos darauf bedacht, die Göttin in Empfang zu nehmen, sie zu gewanden und so zu ehren und zu schützen. Denn diese ist ja, und das wissen die Gesegneten unter uns sehr wohl, die größte und wundersamste Gabe, welche je der Menschheit von ihrem Schöpfer überreicht wurde.

Oft nur als sinnlich induzierte Gefühlsbewegung missverstanden, ist sie viel mehr, nämlich Liebe als vernunftbedingte Lebenshaltung, als ein allumfassendes Sentiment, als eine ewige Philosophie, als ein göttliches Prinzip. Liebe für das Gute und Schöne. Liebe für Wahrheit und Gerechtigkeit. Liebe für die Traurigen, Armen und Unterdrückten. Liebe für einen Baum, einen Schmetterling, einen Sonnenuntergang, einen Vogel, einen Hund. Liebe für Kinder. Liebe zwischen einem Mann und einer Frau. Liebe für die göttliche Schöpfung überhaupt.

Liebe als letzte und höchste Errungenschaft der Menschheit, Schlüssel zu einem einzelnen erfüllten Leben und einer noch weit entfernten Utopie.

Letztlich sei noch der Schwarm aus Rosen erwähnt, in denen das Schöpferpaar schwebt. Hier handelt es sich um die rosa canina, mystische Blume des Mittelalters, die aus dem Kreuz des Erlösers sprießt und es dieserart nicht zu einem Wahrzeichen des Schreckens, sondern zu einer profunden Metapher des Todes und der Wiedergeburt macht.

Mit anderen Worten, das Gemälde ist nicht nur ein grandioses Beispiel griechischer Mythologie, sondern in Wirklichkeit eines der wohl schönsten Argumente für die christliche Glaubensidee, das je erdacht wurde.

So steht sie denn da, die höchste aller Göttinnen, und ich kann mir kein größeres Kompliment für unser Frauenvolk vorstellen als sie.

Und sie:

Diana mit leuchtenden Objekten;      Manfred von Pentz 2014



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