150 Fälle von Suizid- und Selbstverletzungsgedanken durch populäre Abnehmmittel

EMA überprüft drei Medikamente, nachdem 150 Meldungen bei der europäischen Behörde eingegangen sind. Die Präparate sind eigentlich für Diabetiker gedacht.
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Ein Diätmitttel alleine hilft nicht. Wer abnehmen will muss Sport treiben und seine Ernährung umstellen, sagen Mediziner.Foto: Sebastian Kahnert/dpa
Von 15. Juli 2023

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) überprüft drei Medikamente, nachdem diese in den Verdacht geraten sind, Suizid- und Selbstverletzungsgedanken auszulösen.

Erste Hinweise kamen aus Island

Wie das „Ärzteblatt“ mitteilt, kamen entsprechende Hinweise von der isländischen Arzneimittelbehörde. Der Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) der Behörde hat nun eine Sicherheitsprüfung eingeleitet. Davon betroffen sind die Medikamente Ozempic und Wegovy (beide mit dem Wirkstoff Semaglutid) sowie Saxenda (Liraglutid). Sie sind ursprünglich für Patienten mit Typ-2-Diabetes entwickelt worden.

Die isländische Behörde meldete zwei Fälle von Suizidgedanken. Die Betroffenen hatten Saxenda bzw. Ozempic genommen. Von Selbstverletzungsgedanken war ein Mensch betroffen, der ebenfalls Saxenda eingenommen hatte. Dies waren jedoch keine Einzelfälle. Laut EMA werden inzwischen ca. 150 Berichte über mögliche Fälle von Selbstverletzung und Selbstmordgedanken untersucht.

Große Nachfrage nach Werbung in sozialen Medien

Arzneimittel mit Liraglutid und Semaglutid sind nach „Ärzteblatt“-Angaben weit verbreitet. Die Nachfrage nach den Medikamenten sei in den vergangenen Monaten stark an­gestiegen, nachdem in den sozialen Medien – häufig von Prominenten – Berichte über einen großen Ge­wichtsverlust gepostet wurden, der über die in den klinischen Studien erzielte Gewichtsreduktion (etwa 15 Prozent) hinausging. Dies könnte bei den Konsumenten zu einer hohen Erwartungshaltung geführt haben, die die Medikamente jedoch nicht erfüllen können.

Sicherheitsprüfung soll im November abgeschlossen sein

Suizidgedanken und Selbstverletzungen gehörten derzeit nicht zu den Nebenwirkungen der Medikamente, so das „Ärzteblatt“ weiter. Sollte der PRAC aber zu dem Schluss kommen, dass sie auftreten können, werde der Warnhinweis vermutlich in die Fachinformationen aufgenommen.

Da sich die Medikamente in medizinischen Studien als sicher erwiesen hätten, seien weitergehende Einschränkungen nur schwer vorstellbar. Daher dürfte nach Einschätzung des Fachblattes die Nutzen-Risiko-Bilanz auch bei einem erhöhten Selbstmordrisiko positiv bleiben.

Die Sicherheitsprüfung hat am 3. Juli begonnen. Sie umfasst neben den genannten Diätmitteln auch die Wirkstoffe Dulaglutid, Exenatid und Lixisenatid, die nur zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen sind. Das Ergebnis soll im November 2023 vorliegen.

Ärzte wettern gegen Zweckentfremdung

Dass Präparate wie Ozempic nun zum Abnehmen mehr oder weniger zweckentfremdet werden, stößt bei Fachärzten auf harsche Kritik. „Das ist eine Riesen-Schweinerei, was da im Moment passiert“, sagt Stephan Martin, Chefarzt Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums beim Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf, gegenüber dem „Deutschlandfunk“. Er kritisiert, dass übergewichtige Menschen, die „nur“ Adipositas haben, Patienten das Medikament wegnähmen, die es dringend für ihre Diabetesbehandlung bräuchten.

Ein weiterer Aspekt, der in der öffentlichen Debatte oft nicht beachtet werde: In den Studien wurde Semaglutid immer mit Sport und einer Ernährungsumstellung kombiniert. Darauf weist auch der Endokrinologe Matthias Blüher hin, der die Adipositas-Ambulanz am Universitätsklinikum Leipzig leitet: „Allein das Medikament kann es nicht richten“, betont er. Ärzte warnen außerdem vor ungeprüften und unsicheren Ozempic-Nachahmerprodukten, die im Internet verkauft werden. Ein Missbrauch als Lifestyle-Droge könne ebenfalls gefährlich sein.

Milliardengeschäft für Pharmaindustrie

Die große Nachfrage nach Ozempic hat dazu geführt, dass Pharmafirmen große Gewinne wittern. Das dänische Biotechunternehmen Zealand Pharma und sein deutscher Partner Boehringer Ingelheim arbeiten an der Entwicklung eines Abnehm-Medikaments. In einer klinischen Studie der Phase-2 habe die Behandlung mit dem Mittel nach 46 Wochen zu einem Gewichtsverlust von bis zu 14,9 Prozent geführt, teilte das Unternehmen im Mai 2023 mit. Nach Einschätzung von Experten könnten Pharmaunternehmen bis zu zehn konkurrierende Produkte mit einem Jahresumsatz von bis zu 100 Milliarden Dollar innerhalb eines Jahrzehnts auf den Markt bringen – vor allem in den USA.



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