„Berliner Register“: Staatlich gefördert und anonym

Wer in Berlin das Gefühl hat, sein Gegenüber könnte „rechts“ sein oder queerfeindlich, der kann das ganz ohne Belege, und ohne sich erkennen zu geben, auf einem Portal anzeigen. Dafür wurde seit 2006 eine Infrastruktur mit mittlerweile über 230 Anlaufstellen in allen Bezirken aufgebaut. Beim „Berliner Register“ werden missliebige Äußerungen von Bürgern penibel registriert und veröffentlicht.
Akten im Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR (BStU). Beschäftigte der Stasi hatten 1989 und 1990 in großem Stil Akten des Geheimdienstes geschreddert.
Denunziation wie früher? Seit 2005 gibt es in Berlin ein staatlich finanziertes Portal, das „Berliner Register“.Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
Von 7. September 2023

Berlin hat seit 2005 ein Online-Meldeportal mit inzwischen über 230 Anlaufstellen in allen Berliner Bezirken: Das „Berliner Register“ wird von Steuergeldern finanziert und fordert auf, politisch unkorrektes Verhalten und mutmaßlich rechte Aktivitäten zu melden. Eine Überprüfung des Angezeigten und eine Bewertung, ob es strafrechtlich relevant wäre, findet nicht statt.

Im Netz für immer festgeschrieben: Ordentlich und sauber aufgeführt

Beim Blick ins öffentliche Register auf der Website zeigt sich, dass hier offenbar jeder für alle Zeit im Internet festschreiben kann, wer ihm vermeintlich rechts, rassistisch, antisemitisch, queerfeindlich oder nicht der LGBTQ+-Ideologie folgend erscheint.

Die Meldungen sind fein säuberlich chronologisch und nach Stadt-Bezirken geordnet. Dazu gehören regelrecht skurril anmutende Meldungen über einen entdeckten Aufkleber zu Geoengineering, „Chemtrails Nein danke“. Dazu erklärt das Portal: „Bei der ‚Chemtrail‘-Verschwörungserzählung handelt es sich um die nicht bewiesene Vermutung, dass Europa von einer fremden Macht mit Giften bestreut würde.“ Die Verschwörungsideologie weise zudem Bezüge zum Antisemitismus auf.

„Jesus liebt Dich“ als antisemitisch interpretiert

Ebenso wird ein Werbespotdreh für die Partei DieBasis „angezeigt“ und als extrem rechts eingeordnet oder der Versuch einer Christin, einen „Jesus liebt Dich“-Flyer vor einem koscheren Supermarkt zu verteilen, als antisemitisch motiviert dargestellt.

Weitere Meldungen lesen sich auszugsweise dann so:

Rechte Schmierereien in Wilmersdorf
17.07.2023 BEZIRK: CHARLOTTENBURG-WILMERSDORF
Erneut wurden am U-Bahnhof Spichernstraße auf dem U9-Gleis rechte Schmierereien entdeckt. So wurde der Slogan ‚ANTIFA dumme Handlanger der NWO (Soros-Gates etc Knechte)‘ auf eine Plakatwand geschmiert. Der Schriftzug nutzt antisemitische Verschwörungserzählungen, um antifaschistisch Engagierte zu verunglimpfen. Die Abkürzung ‚NWO‘ steht für den antisemitischen Mythos der ‚New World Order‘, zudem fungieren die Namen der benannten Personen (Bill Gates, George Soros) als antisemitische Chiffre.
Quelle: Meldeformular „Berliner Register“

Wer sich kritisch zur Antifa äußert, landet demnach direkt im „Berliner Register“. In diesem liegt der Fokus klar auf Queerfeindlichkeit und vermeintlich rechten Aktivitäten. Meldungen zu Vorfällen oder Gewalt durch linke Aktivisten oder Zuwanderer sucht man hier vergebens. Das irritiert schon deshalb, weil die Kriminalstatistiken regelmäßig voll davon sind.

Steuerfinanziertes Register

Der Senat fördert das Projekt „Berliner Register“ allein in diesem Jahr mit 830.000 Euro Steuergeld. Von 2014 bis 2023 flossen insgesamt mehr als 3,9 Millionen Euro Fördermittel, fasst „Focus online“ zusammen. Anlaufstellen des Projekts sind in zwölf Berliner Bezirken entstanden. Diese werden mit Adresse auf der Website des „Berliner Register“ aufgeführt. Oft sind sie bei Vereinen angesiedelt. Nach Eigenauskunft auf der Website gehören zum Netzwerk des „Berliner Register“ weitere Community-basierte Dokumentationsstellen und über 230 Anlaufstellen.

In der Selbstbeschreibung der Anlaufstellen heißt es:

„Die ‚Berliner Register‘ gehen vor gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Das machen sie, indem sie Vorfälle dokumentieren, die im Alltag in Berlin passieren. Es werden nur Vorfälle aufgenommen, die rassistisch, antisemitisch, LGBTIQ*-feindlich, antiziganistisch, extrem rechts, sozialchauvinistisch, behindertenfeindlich oder antifeministisch sind.“

Weiter heißt es da, im Gegensatz zur Kriminalitätsstatistik der Polizei bezögen die Register auch solche Vorfälle in die Dokumentation mit ein, „die keine Straftaten sind oder die nicht angezeigt wurden.“

„Bürger denunzieren Bürger“

Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) findet nicht nur problematisch, was gemeldet wird, sondern dass es diese Portale überhaupt gibt: „Die gemeldeten Vorfälle bewegen sich unterhalb der Strafbarkeitsgrenze und sind damit ganz überwiegend vom Recht auf Meinungsfreiheit erfasst.“ Damit laufe die Aktion „ohne Rechtsgrundlage“.

Es handele sich um ein willkürliches Meldeportal für nicht strafbare Äußerungen. Es würden unter anderem unliebsame, aber legitime Veranstaltungen gemeldet oder Werbeaufkleber für Nachrichtenportale der sogenannten „Neuen Medien“. Gemeldet wird nach Bauchgefühl eine behauptete Queerfeindlichkeit, mutmaßlich rechte Gesinnungen oder die Interpretation eines Antisemitismus, wie beispielsweise bei der Christin mit ihren Flyern vor dem Supermarkt.

Zu welchem Zweck wird dieses Projekt durch Steuern finanziert, wenn es sich nicht um Straftaten handelt? Die „NZZ“ fasst es so zusammen: Das hinter den Einrichtungen stehende Prinzip sei simpel: „Bürger denunzieren Bürger“. „Wer sich rächen will, eine Intrige spinnen, einem Kollegen schaden, der hat in Deutschland leichtes Spiel.“

Grundlage für weitere Entscheidungen

Das „Berliner Register“ selbst beschreibt seinen Zweck folgendermaßen: „Wir, die Berliner Register, wollen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung vorgehen.“ Und weiter: „Die Ergebnisse können Politiker*innen, Mitarbeiter*innen der Verwaltung oder politisch engagierte Initiativen in ihre Entscheidungen einbeziehen, und dann Maßnahmen entwickeln […].“

Einmal im Jahr werden die „Vorfälle“ ausgewertet und Berichte veröffentlicht, die auf der Website downzuloaden sind. Im Charlottenburger Bezirksbericht von 2022 beispielsweise sind nicht nur diverse Anlaufstellen vom Wahlkreisbüro der MdB Lisa Paus (Bündnis 90/Grüne) über die Bezirksgeschäftsstelle von „Die Linke“ bis hin zum AStA der Technischen Universität Berlin verzeichnet, sondern es wird auch eine ideologisch gefärbte Einordnung von gemeldeten Ereignissen im letzten Jahr vorgenommen:

„Mit 21 Veranstaltungen wurde im Jahr 2022 die bisher geringste Zahl dokumentiert. Im Vergleich zu 2021 liegt dies vor allem am Rückgang der Demonstrationen und Autokorsos gegen die Corona-Maßnahmen. Dementsprechend sind die Veranstaltungen, auf denen der Nationalsozialismus verharmlost wurde, von 13 auf eine gesunken.“

Zum Stichwort „LGBTIQ*-Feindlichkeit“ ist zu lesen: Nicht nur die Ablehnung verschiedener Geschlechter- und Familienmodelle „unter dem Deckmantel eines konservativen Naturverständnisses“ bis hin zur Absprache der Existenz von Transmenschen sei ein zentrales Thema bei Veranstaltungen und Angriffen gewesen, auch in einer gynäkologischen Praxis im Bezirk wurden Trans-„Patient*innen strukturell benachteiligt“.

Meldungen leicht gemacht

Der „Focus“ schreibt, dass sich Kritiker solcher Praktiken an Methoden des berüchtigten DDR-Geheimdienstes Staatssicherheit erinnert fühlten. Mit dem Meldesystem werde ein Klima der Angst und Verdächtigungen erzeugt. 34 Jahre nach dem Ende der DDR-Diktatur breite sich in Deutschland eine Kultur des Denunziantentums immer weiter aus – „staatlich erwünscht und mit Steuergeldern gefördert“.

Die Meldungen werden von den „Bürger*innen“ einfach selbst gemacht. Dafür gibt es ein Online-Formular, wo jeder freiwillige Informant ohne jeglichen Beleg seine subjektive Wahrnehmung eines Vorfalls, sprich Meldung eintippen kann und bisher nicht einmal seine Identität durch Namensnennung oder Kontaktdaten preisgeben muss.



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