Das sagt ein Arbeitspsychologe zur 4-Tage-Woche
1950 betrug die wöchentliche Arbeitszeit in Deutschland noch 48 Stunden, verteilt auf sechs Tage. Die 5-Tage-Woche wurde etwa 1965 eingeführt, nachdem Forderungen der Arbeiterschaft nach einem freien Samstag laut wurden. Durch eine Arbeitszeitverkürzung wollte man Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern.
Heute ist die 4-Tage-Woche in aller Munde. Vier Tage arbeiten, drei Tage ruhen. Das klingt zunächst verführerisch. Von einer 4-Tage-Woche spricht man, wenn die gesamte Wochenarbeitszeit regelmäßig auf nur vier Tage verteilt und somit verdichtet wird.
Kann das gesund sein und ist das Modell überhaupt für alle umsetzbar? Ein Arbeitspsychologe gibt Aufschluss.
Viele Menschen fühlen sich im Job gestresst. Hilft es, nur vier statt fünf Tage zu arbeiten?
Stress und eine psychische Belastung gehören zum Leben dazu. Die Frage ist, wann wird der Stress gesundheitsschädigend? Das Arbeitsschutzgesetz schreibt seit einigen Jahren vor, in allen Betrieben auch eine “Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung” zu machen.
Die Geschäftsführung muss schauen, welche Stressoren die Beschäftigten belasten. Das können unklar formulierte Aufgabenstellungen sein oder ein Zuviel an Arbeit für die zur Verfügung stehende Zeit. Je nachdem, welche unterschiedlichen Stressfaktoren man findet, kann die 4-Tage-Woche förderlich oder sogar schädlich sein.
Was macht das mit uns, wenn wir nur noch vier Tage arbeiten?
Wenn gewährleistet ist, dass die Beschäftigten sich auch bei einer Verdichtung der Arbeitszeit tatsächlich erholen können, ist es eine gute Sache. Man hat einen Tag mehr in der Woche, um etwas Schönes zu unternehmen oder Zeit mit der Familie zu verbringen. Gerade für junge Leute ist das attraktiv. Manche sind in Fernbeziehungen und profitieren von solch einem Modell.
Zudem möchten die jüngeren Leute Erholung und die schönen Dinge im Leben nicht bis zur Rente aufschieben, sondern arbeiten, um sich im Hier und Jetzt eine schöne Zeit zu gönnen. Man kann durchaus mehr Lebensfreude gewinnen.
Vier Tage Arbeit reichen auch aus, um sich über die Arbeit zu definieren und sich verwirklichen zu können, sowie gesellschaftlich etwas beizutragen und sich gesehen zu fühlen. Die restlichen drei Tage bleiben frei für Familie oder ehrenamtliche Arbeit oder für Vereine. Insgesamt tut es der Psyche gut.
Funktioniert eine 4-Tage-Woche für alle gut?
Wenn mit einer 4-Tage-Woche eine Verdichtung der Arbeitszeit einhergeht, kann das für manche Betriebe o. k. sein, sofern die Beschäftigten einen kurzen Arbeitsweg haben. Wenn sie aber zehn Stunden am Tag geistig oder körperlich stark belastet sind und zusätzlich vielleicht noch lange Wegzeiten zum Arbeitsplatz haben, passt das Modell gar nicht mehr. Es kommt also auf das Modell an, und auch die Intensität der Belastung muss einkalkuliert werden.
Es ist nicht nur je nach Branche, sondern auch je nach Mitarbeiterin und Mitarbeiter sehr individuell. Wenn das Geschäftsmodell eine 4-Tage-Woche zu acht Stunden bei vollem Gehalt zulässt, ist das natürlich zu begrüßen. Das machen Unternehmen hauptsächlich, um attraktiver auf Bewerber zu wirken und um einem Fachkräftemangel vorzubeugen.
Welchen Bedarf sehen Sie, damit Menschen in diesem neuen Modell gut arbeiten können?
Ich empfehle jeder Geschäftsführung, mit den Beschäftigten ins Gespräch zu gehen. Das Arbeitszeitmodell zu verändern, tangiert viele Themen, wie zum Beispiel die Fairness. Gerade das Thema Verdichtung der Arbeitszeit ist äußerst schwierig, wenn man nicht mit den Beschäftigten spricht.
Es sollte keine Randzeiten geben, die nicht zur Arbeitszeit gezählt werden. Die Arbeit muss gesundheitsförderlich gestaltet werden. Deswegen muss man schauen, welche Gefährdungen sich aus der Arbeit ergeben, zum Beispiel Dämpfe in einem Chemiewerk. Wenn man in einer Reklamationsabteilung im Kundendienst arbeitet und mit negativen Erfahrungen von Kunden konfrontiert wird, ist das psychisch stark belastend. Da bräuchte man auch Erholung innerhalb des Tages.
Hat die 4-Tage-Woche auch Risiken für Beschäftigte?
Die Belastung auf vier Tage verteilt, muss gut stemmbar sein. Man muss sich auch zwischendurch einigermaßen erholen können, damit man nicht die drei Tage Freizeit dafür völlig aufbraucht. Vier Tage Arbeit bis zum Umfallen und dann drei Tage aufbrauchen, um mich von dem Zustand wieder zu erholen, wäre sehr schlecht.
Kann man sich irgendwann an die vier Tage Arbeit, drei Tage Freizeit gewöhnen, sodass der Zufriedenheitseffekt nach einer gewissen Zeit wieder abnimmt?
Ob die Leute das zu schätzen wissen und dafür dankbar sind, könnte man anhand einer Umfrage operationalisieren. Oft ist es so, dass man die Sachen, die man schon hat, nach einer Weile nicht mehr zu schätzen weiß.
Dasselbe gilt für Zufriedenheit bei einer Gehaltserhöhung. Es ist ein Effekt, der schnell abflauen kann und dann verfliegt. Auf der anderen Seite gibt es den gesundheitsförderlichen Aspekt. Daran können sich die Beschäftigten zwar auch gewöhnen und nehmen diesen bewusst vielleicht nicht mehr wahr, dennoch bleibt der positive Effekt auf die Gesundheit bestehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Sebastian Jakobi ist Diplompsychologe mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie in Potsdam. www.arbeitspsychologie-jakobi.de
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