„Das Schlimme ist die Ohnmacht“: Eine Familienbäckerei gibt auf
Es ist 1:30 Uhr mitten in der Nacht. Sylvia Eckstein betritt die Backstube ihres kleinen Familienbetriebes. Ihr Mann Marco ist schon seit eineinhalb Stunden dabei, den Teig für Brote und Brötchen vorzubereiten. Sylvia geht ihm jetzt zur Hand und gibt dem Teig eine Form. Gegen 4 Uhr kommt ihre Mutter und begibt sich direkt in das angrenzende Ladengeschäft. Wenn sie eine Stunde später den Laden öffnet, sind die ersten Kunden schon zur Stelle. Es sind Stammkunden – auf dem Weg zur Frühschicht oder auf dem Rückweg von der Nachtschicht. Das Personal des nahe gelegenen Krankenhauses und die Schichtarbeiter der umliegenden Betriebe nehmen diesen Service dankend an.
Mit den frühen Öffnungszeiten hat die Bäckerei Eckstein in Auerbach im sächsischen Vogtland einen Großteil ihrer Kundschaft nicht an die umliegenden Supermärkte abgeben müssen. Hier werden noch individuelle Kundenwünsche entgegengenommen, Sylvias Mutter weiß, welche Familie wie viele Brötchen auf dem Küchentisch wünscht und welchen Kuchen oder welche Brotsorte dazu.
In den letzten drei Jahren, seit Sylvia die Bäckerei, die es schon zu DDR-Zeiten gab, von ihren Eltern übernommen hat, wurde sich immer wieder dem Markt und den Vorlieben der Kunden angepasst. Doch am Ende hat das nicht gereicht. Ende des Jahres macht das Familienunternehmen die Pforten dicht. Kostenexplosionen im Lebensmittel- und Energiebereich machen den Betrieb unwirtschaftlich.
Existenzbedrohende Lage
Die Preise für Rohstoffe, Energie und Personal sind in den vergangenen Monaten enorm angestiegen. Viele Bäckereien befinden sich wie Familie Eckstein in einer existenzbedrohenden Lage – oder haben bereits aufgegeben.
„Die Corona-Krise haben wir noch einigermaßen gut weggesteckt, aber die Verteuerung der Rohstoffe, die wir am allermeisten brauchen, wie Mehl und Butter, sowie die Kostenexplosion bei Heizöl und Strom haben dazu geführt, dass wir die Backwaren jetzt normalerweise zu einem Preis verkaufen müssten, bei dem kein Kunde mehr mitziehen würde“, erklärt die junge Bäckerin. „Das Brot müsste inzwischen 5 bis 6 Euro kosten, damit es sich für uns noch rentiert.“
Sylvia verkauft das Brot im Schnitt für 3,50 Euro. Bei diesem Preis schmälert sich der Gewinn unter den jetzigen Bedingungen jedoch derart, dass sie nicht in der Lage wäre, Rücklagen zu bilden, um weiterhin nötige Investitionen durchführen zu können. „Inzwischen arbeiten wir nur noch dafür, unsere Kosten zu decken“, sagt die Auerbacherin.
Einige fallen bei den Entlastungen durchs Raster
Die Politik hat zwar mit Dezemberhilfe, Gas- und Strompreisbremse Entlastungen auf den Weg gebracht, in der „Deutschen Handwerks Zeitung“ warnt der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks Michael Wippler jedoch, dass einige Betriebe weiterhin durchs Raster fallen. So blieben Bäckereien außen vor, die ihre Öfen mit Öl oder Pellets betreiben. Auch Sylvia heizt ihren Backofen mit Öl.
Sein Verband fordert schnellstmöglich Lösungen für Betriebe, die von den bisher vorgesehenen Maßnahmen nicht profitieren. Es brauche einen Härtefallfonds für Betriebe, die durch die Energiepreise in die Verlustzone geraten sind oder mit stark sinkenden Gewinnen zu kämpfen haben. Zudem müsse die „Winterlücke“ für Gaskunden geschlossen werden, indem neben der Dezemberhilfe auch Einmalzahlungen im Januar und Februar ausbezahlt würden. Auch die Ungleichbehandlung von Industriekunden und mittelständischen Unternehmen bei der Strompreisbremse müsse zwingend aufgelöst werden.
„Die vorgesehene Preisbremse für Strom wird Bäckereien und andere Kleinbetriebe von Stromkosten entlasten, und zwar mit einem vergünstigten Garantiepreis für den größten Teil ihrer Verbrauchsmenge des Vorjahres“, antwortete das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz auf eine Anfrage von Epoch Times. „Für kleine und mittelgroße Unternehmen, zu denen auch die kleinen Bäckereien gehören, soll außerdem zusätzlich ein Härtefallprogramm aufgelegt werden. Antragstellung und Abwicklung dieses Härtefallprogramms soll über die Länder erfolgen.“
Statistische Angaben dazu, wie viele Bäckereien aus welchen Gründen in den letzten Monaten ihren Betrieb aufgegeben haben, liegen dem Ministerium nicht vor. Auch der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks und der Landesinnungsverband des Bäckerhandwerks Sachsen haben bis Redaktionsschluss keine Angaben dazu gemacht.
Handwerk lohnt sich nicht mehr
Die kurzfristigen Entlastungsprogramme werden die vielfältigen Probleme der Branche jedoch nicht lösen, denn da gibt es viele und das schon lange, erzählt Sylvia. Gute und verlässliche Arbeitskräfte seien schon seit Jahren Mangelware, auch das Interesse der Jugend an einem handwerklichen Beruf sei längst verschwunden. Der Handwerker selbst müsse oft 16 und mehr Stunden am Tag arbeiten. Hat er Angestellte, könne er es sich in den meisten Fällen nicht leisten, mehr als Mindestlohn zu zahlen. Für das Geld wolle jedoch keine Fachkraft mehr arbeiten. Das sei ein Teufelskreis.
„Das Problem ist der Mangel an qualifiziertem Personal und an Nachwuchskräften, aus denen eine neue Generation von Inhabern entstehen müsste.“ So schätzte Herbert Dohrmann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Fachverbände des Lebensmittelhandwerks, bereits 2019 die Lage um den Nachwuchs ein.
Zwischen 2008 und 2018 seien bereits etwa 30 Prozent der Bäckereien in Deutschland verschwunden, heißt es in einem Artikel des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“. Waren im Jahr 2008 bundesweit rund 15.337 Bäckereien in der Handwerksrolle eingetragen, waren es Ende 2018 noch 10.926.
Bereits 2019 suchten laut Dohrmann alle Unternehmen der Wirtschaft – nicht nur im Handwerk – aber auch Institutionen und Organisationen, händeringend nach Fachkräften beziehungsweise Auszubildenden. Nach Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung blieben 2018 906 Lehrstellen in Bäckereien unbesetzt.
Überbordende Bürokratie
Sylvia bemängelt auch zunehmende Bürokratie und Kontrolle der kleinen Unternehmer. „Es ist schon seit Jahren so, dass zu viel verlangt wird, zu viel genommen, zu viel kontrolliert wird. Als Selbstständiger kriegt man kaum noch Luft, kann kaum noch durchatmen. Nicht nur, dass wir keine Rücklagen mehr bilden können, wir werden auch zu sehr beschäftigt mit Büroarbeit. Mein Bon für die Tagesabrechnung muss viermal dokumentiert werden. Man kommt sich vor wie ein Kleinkrimineller bei all der Kontrolle.“
Überbordende Dokumentationspflichten, komplizierte Formulare und ständig neue Vorschriften – Handwerksunternehmer verbringen viel Zeit am Schreibtisch, um die wachsenden administrativen Pflichten zu bewältigen. Doch angesichts der Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen, die es zu beachten gilt, wird das immer schwerer, schreibt „handwerk.com“.
Die Bürokratieentlastungsgesetze I bis III zwischen 2015 und 2019 hatten für Unternehmer nicht die erhofften Erleichterungen gebracht, heißt es in der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Kurz vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr verständigte sich die alte Bundesregierung zwar noch auf ein Bürokratieentlastungsgesetz IV, dieses wurde durch den Regierungswechsel jedoch nicht weiterverfolgt.
„Das Schlimme ist die Ohnmacht“
Angefangen hat das Dilemma für die Bäckereien bereits vor vielen Jahren, als die Supermärkte begannen, frische Backwaren anzubieten. Nach der Wende musste sich die Bäckerei Eckstein bereits umstellen auf neue Getreidesorten, mehr Vollkornprodukte und höhere Vielfalt im Angebot. „Das war aber alles kein Problem“, erzählt Sylvia. „Auch reichte es nicht mehr, die herkömmlichen Kuchensorten anzubieten, sondern wir haben neue Torten kreiert und uns an Kundenwünsche angepasst. Bis heute haben wir uns aber auch viele DDR-Rezepte erhalten, die bei den Kunden immer noch beliebt sind. Zum Beispiel gibt es bei uns noch den guten alten Bienenstich, auch haben wir weiterhin ‚Pfannkuchen‘ gebacken und keine ‚Berliner‘“, scherzt Sylvia.
Der Familienbetrieb hat in den vergangenen dreißig Jahren wirklich alles getan, sich den Kunden und dem Markt anzupassen, trotzdem haben die Ecksteins den Wettlauf verloren.
„Das Schlimme ist diese Ohnmacht. Wir haben alles versucht, um über Wasser zu bleiben, selbst die Corona-Krise haben wir gut überstanden und nun reicht es trotzdem nicht. Es fühlt sich an, als habe man uns den Hahn abgedreht. Man kommt sich schon recht verloren vor“, sagt die 46-Jährige.
Der traditionelle Weihnachtsstollen wird gerade gebacken. Den wollen die Ecksteins ihren Kunden nicht vorenthalten. Am 31. Dezember ist dann Schluss. Sylvia hofft im neuen Jahr auf einen Job in einer Catering-Firma, ihr Mann muss sich körperlich erst einmal erholen. Der Laden an der Hauptstraße in Auerbach bleibt im neuen Jahr kalt und dunkel. Die vierte Generation traditionellen Backhandwerks musste 2022 aufgeben. Doch die Ecksteins trifft es nicht alleine. Ihr Schicksal teilen Hunderte andere Lebensmittel- und Handwerksbetriebe in Deutschland.
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