„Der Mensch kann nicht anders als glauben“

Ein Gespräch über Weihnachten, Nächstenliebe und Kommerz, über Glauben und Cancel Culture. Sind Glaube, Tradition und die Botschaft von Weihnachten antiquiert? Hierzu sprachen wir mit unserem Kolumnisten, dem Schweizer Autor Giuseppe Gracia.
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"Für mich ist das die Hoffnung von Weihnachten, dass die Liebe sich am Ende durchsetzt", so Schweizer Autor Giuseppe Gracia.
Von 24. Dezember 2022

Funkelnde Eiskristalle und eine knisternde Vorfreude lagen in der Luft. Damals, in unserer Kindheit, als die Tage um Weihnachten noch beseelt waren von einer kindlichen Begeisterung und einer gewissen Heiligkeit. Alles war irgendwie magischer, wärmer und schöner. Weihnachten. Für viele Christen ist es das wichtigste Fest des Jahres.

Für viele andere ist sie eine willkommene Ferienzeit mit Geschenken, Familienessen und festlich geschmückten Wohnzimmern. Doch warum feiern wir Weihnachten eigentlich? Hat das heilige Fest in unserer schnelllebigen Zeit überhaupt noch den Stellenwert, den es verdient?

Sind Glaube, Tradition und die Botschaft von Weihnachten bereits antiquiert und überholt? Hierzu sprachen wir mit unserem Kolumnisten, dem Schweizer Autor, Journalisten und PR-Berater Giuseppe Gracia. Entstanden ist ein Gespräch über Nächstenliebe und Kommerz, über Glauben und Cancel Culture.

Herr Gracia, wenn Sie sich zurückerinnern an Ihre Kindheit – welche Erinnerungen haben Sie an Weihnachten und das Weihnachtsfest?

In erster Linie denke ich an die Geschenke. Als Kind möchte man natürlich immer wissen, was man geschenkt bekommt und kann die Bescherung kaum abwarten. Bei uns zu Hause gab es eher bescheidene Geschenke – wir waren eine Gastarbeiterfamilie in der Schweiz und hatten sehr wenig Geld.

Ich habe mich dennoch immer auf Weihnachten gefreut, denn es war eine Ausnahmezeit: Meine Eltern blieben zu Hause und waren nicht ständig unterwegs oder bei der Arbeit. Wir saßen zusammen. Auch das gemeinsame Essen war wichtig. Es gab italienische und spanische Gerichte. Mein Vater ist Sizilianer, meine Mutter Spanierin. Ich habe eigentlich nur schöne Erinnerungen an Weihnachten.

Welchen Stellenwert hat Weihnachten in unserer heutigen Gesellschaft? Wie nehmen Sie das wahr?

Es findet eine reine Kommerzialisierung statt, zunehmend auch eine Verleugnung des religiösen Kerns von Weihnachten. In den USA heißt es immer öfter „Happy Holidays“. Das Wort „Christmas“ verschwindet. Auch die Geschichte mit den Rentieren und Santa Claus trägt zur Entchristlichung bei. Der komische Kauz, der im Norden lebt und die Geschenke mit fliegenden Rentieren durch den Schornstein bringt.

Ab und an hört man, Christbäume oder christliche Symbole, die mit Weihnachten zu tun haben, sollten nicht mehr öffentlich auftauchen, um keine Nichtchristen vor den Kopf zu stoßen. Aber das ist wohl eher eine Ausrede. Auf der anderen Seite, und viel mächtiger, ist der allgemeine Trend zur postchristlichen Gesellschaft. Das zeigt sich übrigens auch an anderen christlichen Festtagen wie Ostern. Da denken heute wohl viele eher an Osterhasen als an Kreuzigung und Auferstehung. Oder Allerheiligen, das für viele einfach ein zusätzlicher freier Tag geworden ist, direkt am Anschluss zum populären Halloween.

Wie kommt es Ihrer Ansicht nach zu dieser Entwicklung, dass Weihnachten in unserer Gesellschaft immer mehr zu einem oberflächlichen Feiertag mutiert?

Das kann man ganz gut verstehen, wenn man sich den Kern von Weihnachten ansieht. Es geht im Grunde darum, dass Gott an dem Abend Mensch wird, er sich uns sozusagen mit einem menschlichen Gesicht zeigt. Wenn nun eine Gesellschaft da ist, die postchristlich ist wie heute, wo Gott überhaupt keine Rolle mehr spielt, wo man alles ohne Gott machen will und wo sich der Mensch selbst zum eigenen technischen Schöpfer emporschwingt, dann spielt auch die Weihnachtsgeschichte keine Rolle mehr.

Die Geschichte handelt schließlich davon, dass der Mensch nur ein Geschöpf ist und jemand anderer Gott, und dass dieser Gott sich in Jesus Christus zeigt. Vielleicht steht die Ablehnung eines solchen Gottes in Zusammenhang mit unserer Hightechkultur, mit der scheinbar alles möglich wird und es keinen Gott mehr braucht. Zumindest in unseren Breitengraden scheinen viele Leute so zu leben, als gäbe es keinen Gott. Dann muss man für Weihnachten eben eine neue Bedeutung finden. Irgendwo zwischen Kommerz und Konsum.

Ich habe von einer Schule gehört, an der die Klassen nicht mehr gemeinsam in die Kirche gehen. Und auch das Krippenspiel, das jedes Jahr von den Schülern aufgeführt wurde, soll nicht mehr stattfinden. Der Grund dafür ist, dass es zu religiös sei. Wie wenig traditionell oder wie wenig religiös darf heutzutage eine Weihnachtsfeier sein? Vor allem in einer Bildungseinrichtung wie der Schule?

Das ist diese Neigung des Westens, sich selbst zu verleugnen. Europa hat drei geistige und geistliche Wurzeln: zum einen das Judentum und Christentum, zum anderen die antike griechische Philosophie als Grundlage für Vernunft und Aufklärung. Das dritte ist das römische Rechtsdenken. Diese drei Wurzeln werden heute immer mehr abgeschnitten.

Vor allem das Christentum wird verneint. Das sieht man anhand der Geschichte mit dieser Schule. Ich kenne weitere Beispiele dieser Art, wo man das Religiöse entfernen möchte. Religion darf keine Rolle mehr spielen.

Das bedeutet, Religion wird als Grundkonstante des Menschen geleugnet. Der Mensch ist aber ein „Homo religiosus“, er kann gar nicht anders als glauben. Immanuel Kant, der große Aufklärer, hat einmal erklärt, dass die Vernunft das besondere Schicksal habe, belästigt zu werden von Fragen, die sie nicht abweisen könne. Fragen, welche die Vernunft aber auch nicht beantworten könne, weil sie alles Vermögen der Vernunft übersteige.

Vernunft und Offenbarung, Denken und Glauben gehören zusammen. Ohne Vernunft wird Religion blind, fanatisch. Ohne Glaube wird Vernunft kalt, unmenschlich. Für das religiöse Denken braucht es sozusagen ein religiöses Organ, das offen ist für Transzendenz, für eine nicht geistige und geistliche Dimension der Schöpfung. Wenn wir an Weihnachten denken – ich denke da nicht an diese sentimentalen Geschichten, die man natürlich auch haben darf, mit Kerzenlicht, Flöten und Schimmer. Das ist natürlich alles schön – in erster Linie geht es aber um die Botschaft, dass Gott da ist. Er befindet sich nicht irgendwo im kosmischen Staub. Er ist kein abstraktes Naturprinzip, das irgendwo waltet. Gott ist konkret da. Er ist unter uns. Man kann ihn ansehen, mit ihm reden. Er zeigt, wohin der Weg geht: in die Liebe, in die Hingabe. Wenn die Menschen das ablehnen, ist das schon ein Alarmzeichen.

An der eben erwähnten Schule haben die Schulklassen das Krippenspiel bis letztes Jahr aufgeführt. Den Kindern wurde eine Neuinterpretation überlassen. So haben sie zum Beispiel ein homosexuelles Paar als Eltern des Jesuskindes gespielt. Sehen Sie das als eine Provokation oder haben Sie Verständnis für die Woke-Kultur?

Nein, das ist einfach die Politisierung und Moralisierung der ganzen Gesellschaft. Ob das jetzt die Fußballweltmeisterschaft ist, das Krippenspiel oder was auch immer, es wird einfach alles mit der gleichen Soße übergossen. In diesem Fall mit der regenbogenfarbenen Soße. Interessant daran ist ja, dass die Religion als solche verschwindet. Moralisierung und Politik dominieren alles, übrigens auch die Kirche.

Ich kenne Gottesdienste, die man sich gar nicht mehr anhören kann. Ich frage mich oft: „Ist das jetzt die Versammlung einer linken Partei oder ein Gottesdienst?“ Als Zuhörer kann man das kaum noch unterscheiden. Alles wird verweltlicht. Ohne Transzendenz, ohne Geheimnis, ohne das ganz Andere Gottes. Viele Kirchenangestellte suchen heute – wie Politiker oder Medienleute – lieber das unmittelbar Einleuchtende des Mainstreams.

Je mehr Verweltlichung und Massendenken, desto flacher und einheitlicher die Meinungen. Ich glaube aber, dass die Menschen das unter der Oberfläche des Tageslärms spüren. Ich denke nicht, dass der Mensch befriedigt ist und seinen seelischen oder spirituellen Hunger mit „woken“ Parolen stillen kann. Ich glaube, der Mensch hat eine tiefere Sehnsucht. Diese Sehnsucht bleibt ungehört. Der Mensch wird nicht mehr abgeholt. Das wäre eigentlich die Aufgabe der Kirche.

Wenn Sie der Weihnachtsmann wären – was würden Sie den Politikern bringen und was dem Volk?

Ich würde uns allen wünschen, dass wir Gott um ein hörendes Herz bitten. Wie seinerzeit König Salomo in der Bibel. Er hatte um ein hörendes Herz gebeten, um mit Gottes Hilfe gut regieren zu können und das Gute vom Bösen unterscheiden zu lernen. Das wäre doch ein super Weihnachtsgeschenk.

Als Jugendlicher waren Sie überzeugter Marxist. Ich vermute, Sie haben damals Weihnachten nicht gefeiert?

Nein, um Gottes willen, natürlich nicht. Der Marxismus hat eine große verführerische Kraft. Auch heute noch. Der „Wokeismus“ hat viel mit Marxismus zu tun. Der Marxismus hat eine große Anziehungskraft, weil er den jungen Menschen, wie bei mir damals, eine Antwort auf ihre Frage gibt, warum es auf der Welt so viel Ungerechtigkeit in Bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse gibt. So viel Armut und so wenig Superreiche.

Nur wenige Prozent der Weltbevölkerung, vielleicht zwei oder drei Prozent, besitzen fast 90 Prozent des Kapitals und Millionen hungern. Darauf antwortet der Marxismus mit einer einfachen Lösung: Die Superreichen müssen verschwinden, Privatbesitz wird verboten. Wenn alle Reichen weg sind, wird das Leben gerechter. Für einen jungen Menschen, der überhaupt kein Geld hat – wie ich damals als Gastarbeitersohn aus ärmlichen Verhältnissen –, war das sehr verführerisch.

Erst später habe ich gemerkt, dass es eigentlich eine Botschaft des Hasses ist. Ein Hass gegen die Reichen. Hass macht die Welt aber nicht besser. Wenn ich Leute hasse, dann diene ich nicht dem Leben.

Auch Buddha sagt: „Hassen ist, wie Gift zu trinken und zu erwarten, dass der andere dadurch stirbt.“ Kein guter Weg für ein gelungenes Leben. Das habe ich irgendwann gemerkt und habe auf den Weg des Glaubens zurückgefunden.

Sie haben gesagt, dass Ihre frühere Überzeugung war: „Entweder du bist intelligent oder katholisch.“ Wie sind Sie zu diesem Glaubenssatz gekommen?

Das ist auch Marxismus. Marx definiert Religion als das Opium des Volkes. Ihm zufolge macht der Gläubige sich etwas vor, der Glaube ist wie eine Drogenillusion. Laut Marx heißt es, wenn man religiös ist, denkt man nicht selber nach, ergo ist man dumm. Das hatte ich so übernommen. Ich dachte, alle religiösen Leute denken nicht und gehen nicht gerade intelligent durchs Leben.

So habe ich auch vom Katholizismus gedacht. Bis ich den Katholizismus wirklich kennengelernt habe – auch aus der theologischen Tradition, die 2.000 Jahre alt ist, reich an antiker Philosophie und großen geistlichen Meistern. Mir wurde klar: Leute wie Augustinus und Thomas von Aquin sind nicht intelligent, sondern hochintelligent und unglaublich gebildet. Viel mehr als die Leute heutzutage.

Auch unsere modernen Uni-Professoren kommen nicht an das Niveau von damals heran. Die mittelalterliche Theologie ist unglaublich tiefgehend. Im Zuge meiner Erkenntnis habe ich auch bemerkt, dass diese Personen nicht nur tiefer denken als wir, sondern auch barmherziger und menschlicher. Das hat mich angezogen. Vor allem die Wärme hat mich angezogen.

Wenn ich heute atheistische Literatur lese, mag ich staunen und fasziniert sein von der Bildung, die es dort natürlich auch gibt. Aber es fehlt die Wärme. Es gibt auch keine Hoffnung. Ich frage mich dann oft: Wie kann man eigentlich so existieren, ohne geistliche Tiefe, ohne Hoffnung?

Glauben und Intelligenz schließen sich nicht aus. Wenn ich an die drei Instanzen Kopf-Herz-Bauch denke (die drei Teile der Seele bei Platon: die Vernunft, der Mut, die Begierde) wäre eine Annäherung an den idealen Menschen doch jemand, der alle drei Instanzen in Einklang bringen kann. Sind Menschen, die sich mit dem Glauben schwertun, vielleicht Personen, die die Vernunft über die anderen Instanzen stellen?

Ich glaube sogar, dass bei vielen Leuten ein Konkurrenzverhältnis zwischen diesen drei Instanzen besteht. Kopf gegen Herz, Bauch gegen Kopf und umgekehrt. Das wird auch in Beziehungsstreitereien ersichtlich. „Ach, mein Kopf sagt dies, mein Herz sagt das.“ Als ob das komplett schizophrene Einheiten wären. Bei vielen Atheisten bemerke ich ein großes Konkurrenzdenken zwischen Glaube und Wissen, zwischen Herz und Verstand. Sie denken, es gäbe einen Widerspruch.

Ein Konkurrenzverhältnis ist nicht erforderlich. Zwischen diesen Instanzen ist eine Harmonie möglich. Ich selbst bin auch eher kopflastig, zähle mich zu den Intellektuellen und verstehe die Einwände der Intellektuellen gegen den Glauben sehr gut.

Glaube heißt aber nicht, dass ich meinen Kopf an der Kasse abgebe und dann in den Raum der Kirche trete wie in einen Raum des reinen Vermutens oder des Aberglaubens. Zu glauben bedeutet in erster Linie zu vertrauen. Im christlichen Sinn glauben heißt: Ich vertraue darauf, dass das Leben einen Sinn hat, den ich nicht selber machen muss, sondern der mich auch dann trägt, wenn ich schwach bin. Dass die Schöpfung einen Sinn macht, dass es kein Zufall ist, dass ich existiere. Dass ich gewollt, angenommen und geliebt bin von der Liebe des Schöpfers, die alles Menschliche übersteigt.

Aber auch im ganz profanen Alltag zeigt sich, wie sehr wir vertrauen und glauben müssen, um zu leben. Allein schon wenn ich morgens aufstehe und das Haus verlasse, muss ich darauf vertrauen, dass ich am Abend wieder zu meinen Liebsten zurückkehre. Sonst habe ich Angst und getraue mich nicht mehr auf die Straße.

Vertrauen macht 90 Prozent des Lebens aus. Wir können nicht wissen, ob wir auf der Straße überfahren werden. Wir können nur glauben und hoffen, dass es nicht so kommt und dass wir noch genügend Zeit haben. Glaube hat nichts mit Wissensersatz zu tun, im Gegenteil. Im Christentum gibt es eine große Tradition, die Forschung zu fördern. Im Gegensatz zu den Klischees, die man über die Kirche erzählt, war das Mittelalter wissenschaftsfreundlich. Thomas von Aquin hat Forschung betrieben und gesagt: „Wenn du eine Blume genau untersuchst, stößt du auf Gott.“ Von einer solchen Heirat zwischen Glauben und Wissen sind wir heute weit entfernt, wenn die Menschen glauben, Forschung und Glaube würden sich ausschließen.

Wie haben Sie zum Glauben gefunden? Gab es ein ausschlaggebendes Erlebnis?

Nein. Ich verdanke es einem guten Freund, ein brillanter Philosoph. Ich wusste, er ist ein Kirchengänger, geht immer beten und liest die Schriften von Päpsten. Das war für mich irritierend, weil er ein kritisch denkender, gebildeter Mensch ist. Er war aber eben katholisch, für mich also ein Widerspruch.

Eines Tages hat er mir theologische Bücher empfohlen. Unter anderen Schriften von Benedikt XVI. Damals war Joseph Ratzinger noch nicht Papst, sondern Kardinal. Sein Buch hat mich so berührt, ich kann mich heute noch genau daran erinnern. Da war diese Tiefe und Wärme, gleichzeitig auch diese Weite des Denkens.

Das hat mich bis heute nicht losgelassen. So bin ich zurückgekehrt. Ich bin ein Mensch, der intellektuell befriedigt werden muss. Halbgare Gedanken verwerfe ich wieder. Es gibt ja so viele schlechte Religionen, die nicht durchdacht sind und voller Widersprüche. Aber beim Katholizismus habe ich gemerkt, dass es eine wunderbar gebaute, stimmige Kathedrale des Glaubens und Denkens ist.

Inwiefern spielt der Zweifel beim Glauben eine Rolle?

Bei mir eine große. Ein zweifelnder Mensch ist meiner Meinung nach schon von Gott angerufen. Der Zweifel bedeutet ja, man ist emotional oder intellektuell noch nicht befriedigt. Deswegen: suche weiter. Einem zweifelnden Menschen darf man nicht sagen: „Hör auf zu zweifeln.“ Sondern: „Zweifle noch mehr, folge dem Zweifel.“ Er führt dich dahin, wo der Herrgott schon wartet. Ich bin mir sicher.

Von einem Astrophysiker habe ich einmal einen guten Satz gehört. Ich glaube, es war Werner Heisenberg: „Der erste Schluck aus dem Glas der Wissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Glases wartet Gott.“

So funktioniert der Zweifel, denke ich. Man nimmt sozusagen den ersten Schluck und trinkt dann weiter, bis Gott auftaucht. Ich bin sicher, er kommt. Weil der Zweifel seine Funktion hat.

Lassen Sie uns zurückbesinnen. Was ist die Botschaft von Weihnachten in Ihren Worten?

Die Hauptbotschaft ist: Gott ist da. Er ist Mensch geworden, ist als Kind da und schenkt sich den Menschen. Deswegen beschenken wir uns zu Weihnachten ebenfalls. Wenn es gut läuft, darf man sich auch viele Geschenke geben, ich bin da überhaupt nicht puritanisch. Man kann das auch barock feiern.

Man sollte nur nicht vergessen, warum man sich beschenkt. Weil man selber beschenkt wurde mit Gott. Er schenkt sich, zeigt sich und spricht zu uns. Dass es eine gefährliche Sache ist, Gott ins Spiel zu bringen, zeigt sich übrigens schon in der Weihnachtsgeschichte. Man darf nicht vergessen, in der Weihnachtsgeschichte reagiert Herodes auf die Geburt Christi mit einem Massenmord an allen männlichen Neugeborenen.

Er lässt die Kinder umbringen, weil er Angst vor dem Propheten hat. Gewalt und Blut als Realitäten zwischen Glaube und Liebe werden schon in der Weihnachtsgeschichte deutlich. Darum ist Weihnachten kein kitschiges, sondern eigentlich ein realistisches Fest. Die göttliche Liebe zeigt sich und der Mensch, der Mächtige reagiert mit Gewalt.

Aber die Liebe setzt sich durch und schafft es durch das versteckte Hintertürchen unserer Geschichte doch hinein. Für mich ist das die Hoffnung von Weihnachten, dass die Liebe sich am Ende durchsetzt.

Wie würde Ihrer Ansicht nach eine Gesellschaft ohne Weihnachten, ohne Glauben und ohne Spiritualität aussehen?

Es wäre eine Welt ohne Liebe, ohne Licht. Wir haben dann eine hochfunktionale Gesellschaft, eine Art Ameisenkultur, Ameisen mit Handys und Algorithmen, aber immer noch Ameisen. Ich denke da etwa an chinesische Verhältnisse. Wenn man die chinesischen Verhältnisse unter dem Kommunismus heute betrachtet, Hightechkommunismus, dann stelle ich mir auch unsere Zukunft ohne Religion in etwa so vor. Ein Schreckensbild. Eine Hightechameisenkultur.

Und wie würde eine Gesellschaft mit Glauben und Spiritualität aussehen?

Es wäre eine Gesellschaft, in der Menschen sich wie Menschen behandeln statt wie Objekte, also mit personaler Liebe. Wo es für deine Würde nicht entscheidend ist, was du leistest oder wer du bist, welche soziale Stellung du hast. Du bist ein menschliches Wesen mit einer Seele. Das genügt für die Unantastbarkeit deiner Würde.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst und liebe Gott. Das wäre dann eine solche Gesellschaft, die es bis jetzt leider nie gegeben hat. Echte Liebe war, glaube ich, immer in der Minderheit. Aber sie hat sich nie ganz auslöschen lassen. Das ist immer auch die Hoffnung.

Man muss sich das vorstellen: Bei Weihnachten kommt die Liebe Gottes aus Bethlehem. Das war damals eine Provinz irgendwo. Dieser Jesus Christus hatte keinen wichtigen römischen Titel, Familiennamen und sonst wie nicht ausgestattet mit Macht. Er kam aus keiner bedeutenden Stadt und war umgeben von mächtigen Menschen. Seit 2.000 Jahren entstanden und verschwanden große Reiche und es kamen in dieser Zeit viele große Namen und verschwanden wieder im Staub. Dieser Jesus aber, ohne Macht, ohne Titel, ist immer noch da.

Ich sehe es als das Zeichen: Auch wenn man versucht, sie mit Gewalt niederzutrampeln – die sanfte Stimme Gottes bleibt.

Herr Gracia, herzlichen Dank für das Gespräch.



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