Donna Leon und Salman Rushdie beklagen Zensur im Namen von „Moral“ und „Werten“

Die Star-Autoren Donna Leon und Salman Rushdie haben vor einer „Zeit der Zensur“ gewarnt. Wie im Kommunismus sei nun im Westen die Redefreiheit in Gefahr.
Donna Leon hat immer noch Spaß an ihrem Commissario Brunetti.
Warnt vor Zensur nach Vorbild der Bolschewiki: Erfolgsautorin Donna Leon.Foto: Christiane Oelrich/dpa
Von 19. Mai 2023

Vor zunehmender Zensur und einem drohenden Verlust der Redefreiheit im Westen haben erneut zwei namhafte zeitgenössische Schriftsteller gewarnt. Zu Wort gemeldet haben sich die italienische Krimiautorin Donna Leon und der dem Magischen Realismus zugeordnete britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie.

Zensur im Namen von „Moral“ und „Werten“

In der „Neue Osnabrücker Zeitung“ äußerte Leon, man sei mittlerweile in einer neuen Zeit der Zensur angekommen:

Wir leben jetzt in einer Welt, in der man nichts schreiben darf, was Leser kränkt, überrascht, verletzt, verstört oder in irgendeiner anderen Weise Empfindlichkeiten berührt.“

Ähnlich wie der Kommunismus in Russland versuchten Leute, die Vergangenheit umzuschreiben. Wie auch dort ziehe man „Werte“ und „Moral“ zur Rechtfertigung dieses Vorgehens voran. Ein Beispiel dafür seien Werke wie „Pippi Langstrumpf“, die nun von rassistischen Begriffen gesäubert würden.

Sie verwies auf die dortige Praxis der Bolschewiken, in Ungnade gefallene frühere Mitstreiter nachträglich aus Bildern zu retuschieren.

Shitstorm gegen Donna Leon wegen toten Hundes in einem Buch

Die Geschichte lasse sich aber nicht auslöschen, indem man die Sprache der Vergangenheit auslösche:

Ich kann verstehen, warum Menschen Bücher überarbeiten wollen. Wir alle würden gern die Grausamkeiten vergessen […]. Aber es ist eben geschehen.“

Leon selbst, deren venezianische Krimis seit 1992 regelmäßig in den Bestsellerlisten landen, hat eigenen Angaben zufolge erst einmal einen Shitstorm erlebt. Dabei sei es um den Tod eines Hundes gegangen. Leon äußert dazu:

Wahrscheinlich habe ich in meinen Krimis an die 50 Menschen sterben lassen. Das stört keinen. Aber bei einem Golden Retriever hört der Spaß auf.“

Rowling-Schicksal bald auch für Donna Leon?

Mit politischen Aussagen hält sich die Schriftstellerin zurück. Ihr Hauptprotagonist Commissario Brunetti lässt in ihren Büchern tendenziell Sympathien für die Linke erkennen.

In ihrem Interview geht sie auch auf die Frage ein, ob Brunetti und dessen Frau Paolo in ihrem fortgeschrittenen Alter noch Intimitäten austauschen würden. „Natürlich. Es sind Italiener“, äußerte sich Donna Leon dazu. Sie fügte allerdings hinzu, sie spare das Thema in ihren Büchern bewusst aus:

Es ist fast unmöglich, Sex nicht lächerlich klingen zu lassen. Ich habe früh beschlossen, es gar nicht zu versuchen.“

Damit läuft die Autorin möglicherweise Gefahr, ins Visier der Amadeu Antonio Stiftung zu geraten. Diese hatte vor einigen Wochen die „Harry Potter“-Reihe der britischen Schriftstellerin Jeanne K. Rowling angegriffen. Die millionenfach verkauften Bücher offenbarten, so die Kritik, nicht nur eine „reaktionäre, neoliberale Weltanschauung“. Sie seien zudem „komplett sexlos“ – was aus Sicht der Stiftung offenbar ein schwerer Mangel ist bei Büchern für ein minderjähriges Zielpublikum.

Khomeinis Todesfatwa seit 1989 in Kraft

Auch der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie hat seinen Unmut geäußert über den Druck, den ideologische Gruppierungen auf Bibliotheken und Schulen in den USA ausüben. Der dort lebende Autor ergriff das Wort anlässlich der Verleihung eines Sonderpreises an ihn bei den British Book Awards. Über Zensurtendenzen, die mittlerweile in der gesamten westlichen Welt gegenwärtig sind, äußerte Rushdie:

Das ist ziemlich bemerkenswert alarmierend und wir müssen uns dem sehr bewusst sein und sehr vehement dagegen ankämpfen.“

Seit dem Jahr 1989 ist auf Rushdie eine Art Kopfgeld ausgesetzt. In seinem Buch „Die satanischen Verse“ von 1988  legte ein Protagonist dem Erzengel Gabriel kontroverse Aussagen in den Mund. Dazu zählte die Behauptung, Mohammed, der Prophet des Islam, habe dem Koran götzendienerische Passagen hinzugefügt.

In der islamischen Welt stieß diese Darstellung auf Empörung. Der damalige geistliche Führer des Iran, Ayatollah Khomeini, präsentierte eine Fatwa (religiöses Gutachten), der zufolge Rushdie sich eines „todeswürdigen Verbrechens“ schuldig gemacht habe. Fanatiker fassen dies bis heute als direkten Aufruf auf, Rushdie zu ermorden. Im Vorjahr attackierte einer davon den Autor in New York mit einem Messer. Rushdie ist seither auf einem Auge blind.

Rushdie gegen Zensur im Auftrag einer „kriecherischen Befindlichkeitspolizei“

Im Februar 2023 übte Rushdie scharfe Kritik am britischen Verlag Puffin. Dieser hatte in Zusammenarbeit mit der Organisation „Inclusive Minds“ Neuauflagen der Bücher des Autors Roald Dahl überarbeitet.

Um sicherzustellen, dass die Werke noch „zeitgemäß“ seien, habe man „sensible Leser“ mit deren Durchsicht betraut. Am Ende waren Hunderte Wörter umgetextet oder nicht mehr enthalten. Außerdem hat man Passagen oder Bezeichnungen, die nicht von Roald Dahl stammten, hinzugefügt. Der „Modernität“ wegen wurden Begriffe wie „weiblich“ oder „fett“ gecancelt, aus Kassiererinnen und Sekretärinnen wurden „Topwissenschaftlerinnen“ oder „Unternehmerinnen“.

Rushdie hatte Dahl mehrfach für tatsächlich rassistische und antisemitische Aussagen kritisiert, für die seine Familie sich 2020 entschuldigt hatte. Die „Modernisierung“ seiner Bücher sei jedoch eine „absurde Zensur“. Rushdie kritisierte auf Twitter eine „kriecherische Befindlichkeitspolizei“, die solches Vorgehen veranlasse. Puffin Books und die Nachlassverwaltung Dahls, die dem Vorgehen zugestimmt hatten, sollten sich „schämen“.

(Mit Material von AFP)



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