„Einschüchterung und Abschreckung“ – KRiStA-Netzwerk entsetzt über Durchsuchung bei Weimarer Richter
Mit seiner 178 Seiten umfassenden Entscheidung vom 8. April 2021 hatte der Weimarer Familienrichter Christian D. vielen verzweifelten Eltern Hoffnung gegeben. Er hatte im Wege der einstweiligen Anordnung beschlossen, dass es zwei Schulen sowie Vorgesetzten der Schulleitungen untersagt wird, Kinder auf dem Schulgelände vorzuschreiben, Gesichtsmasken zu tragen, Mindestabstände einzuhalten und an Corona-Schnelltests teilzunehmen.
Das „Sensations-Urteil mit wahrlich politischer Sprengkraft“ – wie der „Deutschlandkurier“ titelte – sorgte im Nachgang für Brisanz. Gegen Christian D. wurden Strafanzeigen wegen „Rechtsbeugung“ eingereicht. Kritisiert wurde, dass der Familienrichter seine Kompetenzen überschritten habe, da für Entscheidungen zu Regelungen nach dem Infektionsschutzgesetz beziehungsweise Corona-Verordnungen das Verwaltungsgericht zuständig sei. Am 26. April fand bei dem Richter sogar eine Hausdurchsuchung statt.
Das Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte (KRiStA) stellt sich nun hinter den Familienrichter. „Wir bewerten diesen Vorgang natürlich als einen krassen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit und sind darüber schlicht entsetzt“, erklärte KRiStA-Sprecher Oliver Nölken gegenüber Epoch Times. Ermittlungsverfahren und Durchsuchungen gegen einen unabhängigen Richter seien geeignet, „ein Klima der Einschüchterung zu schaffen und andere Kollegen, die dieselbe Rechtsauffassung vertreten, abzuschrecken“.
Es spreche vieles dafür, dass die Staatsanwaltschaft und der Ermittlungsrichter, der die Durchsuchungsanordnung erlassen habe, „bereits die Voraussetzungen der Strafbarkeit nicht sauber geprüft hätten“.
KRiStA prüft Entscheidungsgrundlage
Aus diesem Grund hat das Netzwerk KRiStA die öffentliche Diskussion zum Anlass genommen, die Entscheidungsgrundlagen auf der Basis jahrzehntelanger Rechtsprechung und Literatur zu überprüfen.
In einem 17-seitigen Aufsatz mit dem Titel „Corona-Maßnahmen vor dem Familiengericht –eine ungewöhnliche Entwicklung“ kommt das Netzwerk zu dem Ergebnis, dass die Entscheidungen der Amtsgerichte in Weimar und Weilheim, das in einem Kinderschutzverfahren ähnlich entschieden hatte, „formal, insbesondere betreffend die familiengerichtliche Zuständigkeit, nicht zu beanstanden sind“.
Wenn dem Familienrichter ein kindeswohlgefährdender Sachverhalt bekannt sei, der in seinen Zuständigkeitsbereich falle, dann sei er nicht nur zum Handeln berechtigt, sondern dazu verpflichtet. Keinesfalls seien die mit den Sachverhalten befassten Familiengerichte gehalten gewesen, die Verfahren nach Paragraf 17a Gerichtsverfassungsgesetz an die Verwaltungsgerichte zu verweisen.
Wenn ein Familienrichter von einer Kindeswohlgefährdung ausgehe, falle das Verfahren in seine originäre und ausschließliche Zuständigkeit. Verneine er dagegen eine Kindeswohlgefährdung, leite er erst gar kein Verfahren ein, das verwiesen werden könnte, heißt es weiter vom Netzwerk KRiStA.
Wir können nachvollziehen, dass die Beschlüsse der Amtsgerichte Weimar und Weilheim für manche Juristen wie Nicht-Juristen ungewöhnlich anmuten. Sie betreten in ihrer Konsequenz juristisches Neuland, und sie sind gewiss alles andere als alltäglich“, fassen die Juristen zusammen.
Doch auch diejenigen, „die anderer Rechtsauffassung sind, müssen bei sachlicher und seriöser Prüfung zu dem Ergebnis kommen, dass sie auf einer mindestens gut vertretbaren rechtlichen Grundlage beruhen und denselben Respekt verdienen wie jede andere in richterlicher Unabhängigkeit getroffene Entscheidung“, so das Fazit der kritischen Richter und Staatsanwälte.
Kindeswohlverfahren mit Bumerang-Effekt
Anders als der Weimarer Richter hat ein Familienrichter in Leipzig am 15. April zu einem am selben Tag eingegangen ähnlich lautenden Antrag vollkommen anders entschieden. In ihrem Antrag hatte sich eine alleinerziehende Mutter ebenfalls auf das Kindeswohl bezogen. Sie führte unter anderem an, dass ihre zwei Kinder unter der Maske litten und eines davon Ausschlag bekam. Der Leipziger Familienrichter stellte zunächst klar, dass er kein Verfahren „in Bezug auf alle weiteren Schulkinder … eingeleitet hat und auch nicht einleiten wird“.
Zur Begründung führte er an, dass andere Kinder nicht im Einzelnen benannt und somit eine Prüfung der örtlichen Zuständigkeit nicht möglich sei. Zudem sei das Familiengericht „auch nicht gehalten, jedem Hinweis auf etwaige Kindeswohlgefährdungen nachzugehen“.
Anders als die Richter aus Weimar und Weilheim drehte der Leipziger Richter den Spieß sogar um: Das Gericht teile zwar nicht die Einschätzung, dass das Familiengericht sachlich zur Entscheidung berufen sei, ob Schutzmaßnahmen im Hinblick auf die aktuelle Corona-Pandemie rechtmäßig sind oder nicht. Dafür gelange es aber zu der Einschätzung, dass Anlass bestehe, „die elterliche Erziehungseignung der Kindesmutter zu überprüfen.“
Daher soll in dem ursprünglich angestrebten Verfahren nun geprüft werden, „ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Kindesmutter in der Lage ist, die elterliche Verantwortung für ihren Sohn wahrzunehmen und am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidungen zu treffen“.
Zudem setzte der Richter den Verfahrenswert auf horrende 4.120.000 Euro fest, da er davon ausging, dass rund 1.030 Schüler in dem ursprünglich gestellten Antrag mit umfasst seien und für ein jedes Kind der Regelwert von 4.000 Euro zugrunde gelegt wurde.
Später wurde der vier Millionen Euro-Wert auf 500.000 Euro gekappt, sodass die antragstellende alleinerziehende Kindesmutter sich nun laut „Reitschuster“ nicht nur mit dem Jugendamt, sondern auch mit einer Gerichtskosten-Forderung von 18.654 Euro auseinandersetzen muss.
„Anstatt sich inhaltlich mit dem Sachverhalt auseinanderzusetzen, ‚bedroht‘ das Gericht über einen exorbitanten Kostenbeschluss die Antragstellerin. Wer glaubt da noch an die Unabhängigkeit dieses Richters, eines promovierten Juristen und Honorarprofessors?“, fragt der Journalist Boris Reitschuster.
Dass die Regierung gezielt „linientreue“ Richter an bestimmte Stellen der Justiz positioniere, um regierungskritische Rechtssuchende „mundtot“ zu machen – wie ein Insider gegenüber Epoch Times berichtete – konnte KRiStA-Sprecher Nölken so nicht bestätigen. „Soweit Fehlentwicklungen in der Justiz zu kritisieren sind, gehe ich eher von einer Art vorauseilendem Gehorsam aus als von einer gezielten Steuerung ‚von oben‘“, erklärte er.
Er zeigte auch kein Verständnis dafür, dass der Leipziger Familienrichter nun sogar gegen die alleinerziehende Mutter vorgehen will. „Nach unserer Auffassung ist es schlechthin unvertretbar, einen Anknüpfungspunkt für eine Erziehungsunfähigkeit von Kindeseltern darin sehen zu wollen, dass sie sich mit einem rechtlichen Anliegen an ein Gericht wenden“, sagte Nölken gegenüber Epoch Times. Auch dies trage zu einem Klima der Einschüchterung und Abschreckung von Kindeseltern bei.
Die Hausdurchsuchung bei dem Weimarer Richter hat auch in den sozialen Medien für Kritik gesorgt. Am 1. Mai ist von 14 bis 14:30 Uhr eine Gedenkveranstaltung vor dem Weimarer Amtsgericht geplant, wie aus den Versammlungsanmeldungen der Stadt hervorgeht. „Wir Gedenken der Grund- und Menschenrechte, die im April 2021 in Weimar beerdigt worden sind“, so das Thema der Veranstaltung. Laut einem Eintrag im Telegram-Kanal des bekannten Anwalts, Friedensaktivisten und Bürgerrechtlers Markus Haintz will dieser am 1. Mai um 14 Uhr gemeinsam mit Rechtsanwältin Beate Bahner und dem Kollegen Ralf Ludwig vor dem Gericht je eine weiße Rose und eine Kerze niederlegen.
Hier gibt es
- die Weimarer Entscheidung zum Herunterladen
- die Weilheimer Entscheidung zum Herunterladen
- die Entscheidung des Leipziger Familiengerichts zum Herunterladen
- den KRiStA-Aufsatz: Corona-Maßnahmen vor dem Familiengericht – eine ungewöhnliche Entwicklung
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