EU: Grillen mal anders – Grashüpfer als Zutat für „Neuartige Lebensmittel“

Am 23. Januar 2023 tritt eine neue EU-Verordnung in Kraft. „Klassische Proteine für eine moderne Welt“ sollen den Speiseplan bereichern. Den höchsten Anteil an Grashüpfer-Pulver dürfen Getreideriegel, trockene Vormischungen für Backwaren, Molkenpulver und Mehrkornbrot haben.
Titelbild
Insekten als Speisezutaten – auch in Europa.Foto: iStock/ARISA THEPBANCHORNCHAI
Von 18. Januar 2023

Als der schwedische Naturforscher Carl von Linné Tennebrio Molitor 1758 erstmals beschrieb, hätte er wohl kaum gedacht, dass der Mehlkäfer im gelben Larvenstadium eines Tages Bestandteil europäischer Lebensmittel wird. Doch tatsächlich ist dem Krabbler die eher zweifelhafte Ehre zuteilgeworden, als erstes Insekt eine Freigabe für die Zutatenliste zu bekommen.

Anfang Mai 2021 war das – und geht es nach der Europäischen Union – wird noch manch fliegendes, krabbelndes oder hüpfendes Tierchen als Bestandteil auf europäischen Tellern landen. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gibt es etwa 1.900 essbare Insektenarten weltweit.

Inwieweit sie sich tatsächlich in unserem Kulturkreis als Mahlzeit durchsetzen können, sei sicher auch von der Art der Darreichung abhängig, schreibt der Lebensmittelverband auf seiner Internetseite.

Das „Heimchen“ auf dem Herd

Auf den Mehlkäfer folgt nun Anfang Januar 2023 Acheta domesticus, die Hausgrille, manchem vielleicht als „Heimchen“ bekannt. Dass Linné auch dieses Insekt im selbigen Jahr wie den Mehlkäfer erstmals beschrieb und ihm einen lateinischen Namen verpasste, ist sicher ein Zufall.

Dass beide unter den Begriff „Novel Food“ oder „Neuartige Lebensmittel“ fallen, ist indes nicht die Wortschöpfung des 1778 verstorbenen Forschers. Vielmehr geht sie auf die Europäische Union zurück, die die „Novel-Food-Verordnung“ bereits 1997 verabschiedete. 2015 folgte eine überarbeitete Fassung.

Um als „Neuartiges Lebensmittel“ in den menschlichen Verzehrkreislauf Zugang zu bekommen, müssen Aspiranten wie Käfer und Grille ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Eine Genehmigung gibt es nur dann, wenn am Ende der Prüfung das Fazit „gesundheitlich unbedenklich“ lautet. Das ist bei beiden laut Verordnung geschehen.

Der Antrag für die Zulassung der Hausgrille als Lebensmittel hatte das vietnamesische Unternehmen „CricketOne“ bereits 2019 gestellt. Es ist laut EU-Reglement in den kommenden fünf Jahren als einzige Firma vertriebsberechtigt. „CricketOne“ wirbt auf seiner Internetseite mit „klassischen Proteinen für eine moderne Welt“.

Mehrkornbrot, Pizza, Teigwaren, Schokolade

Bereits im vergangenen Jahr ist ein Gutachten erschienen, auf das das Amtsblatt der Europäischen Union folgendermaßen Bezug nimmt.

„In ihrem wissenschaftlichen Gutachten gelangte die Behörde zu dem Schluss, dass teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) unter den vorgeschlagenen Verwendungsbedingungen in den vorgeschlagenen Mengen sicher ist.“

Demnach genüge „teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) bei Verwendung in Mehrkornbrot und -brötchen, Crackern und Brotstangen, Getreideriegeln, trockenen Vormischungen für Backwaren, Keksen, trockenen gefüllten und ungefüllten Erzeugnissen aus Teigwaren, Soßen, verarbeiteten Kartoffelerzeugnissen, Gerichten auf Basis von Leguminosen und Gemüse, Pizza, Erzeugnissen aus Teigwaren, Molkenpulver, Fleischanalogen, Suppen und Suppenkonzentraten oder -pulver, Snacks auf Maismehlbasis, bierähnlichen Getränken, Schokoladenerzeugnissen, Nüssen und Ölsaaten, Snacks außer Chips sowie Fleischzubereitungen“ für die allgemeine Bevölkerung den Bedingungen für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2015/2283.

Untersuchungen zur Verträglichkeit

Immerhin soll es noch einige Untersuchungen zur Verträglichkeit etwa bei Menschen mit Eiweißallergien geben. So heißt es in Absatz 8:

„In ihrem Gutachten kam die Behörde außerdem auf der Grundlage einiger weniger veröffentlichter Erkenntnisse zu Lebensmittelallergien im Zusammenhang mit Insekten im Allgemeinen, die den Verzehr von ‚Acheta domesticus‘ nicht eindeutig mit einer Reihe anaphylaktischer Ereignisse in Verbindung brachten, sowie auf der Grundlage von Daten, die nachweisen, dass ‚Acheta domesticus‘ eine Reihe potenziell allergener Proteine enthält, zu dem Schluss, dass der Verzehr dieses neuartigen Lebensmittels eine Sensibilisierung gegen Proteine von ‚Acheta domesticus‘ auslösen kann. Die Behörde empfahl, die Allergenität von ‚Acheta domesticus‘ weiter zu erforschen.“

Bis zu einer Bewertung aufgrund gewonnener Erkenntnisse aus der Forschung sind jedoch keine „spezifischen Kennzeichnungsvorschriften“ vorgesehen (Absatz 9). Das bezieht sich auf den direkten Verzehr des entfetteten Grillenpulvers.

Wer gegen Krebs- und Weichtiere sowie Hausstaubmilben allergisch ist, könnte auch beim Verzehr des Grashüpferpulvers entsprechend reagieren, heißt es wiederum in Absatz 10: „Ferner befand die Behörde, dass weitere Allergene in das neuartige Lebensmittel gelangen können, wenn diese Allergene in dem Substrat enthalten sind, das an die Insekten verfüttert wird. Daher ist es angezeigt, dass Lebensmittel, die teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus enthalten, gemäß Artikel 9 der Verordnung (EU) 2015/2283 entsprechend gekennzeichnet werden.“

Von der Leyen unterschreibt Verordnung

Den höchsten Anteil an Grashüpferpulver dürfen Getreideriegel, Vormischungen für Backwaren (trocken) und Molkenpulver haben. Drei Gramm je 100 Gramm sind erlaubt. Es folgen Mehrkornbrot und -brötchen mit zwei je 100 Gramm. Der Anteil sinkt bei anderen Produkten auf bis zu ein viertel Gramm.

Die Verordnung tritt am 23. Januar 2022, 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt, in Kraft. Unterschrieben hat sie Ursula von der Leyen (CDU), ihres Zeichens Präsidentin der Europäischen Kommission.



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