Fachkräftemangel: 182.000 Ausbildungsplätze blieben unbesetzt – Abiturienten verdrängen Hauptschüler

Die Rufe nach einer Ausbildungsgarantie werden lauter. Der Grund: Immer weniger Hauptschüler finden eine Ausbildung – wegen mangelnder Qualifikation.
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„Wir bilden aus!“ – Jedoch nur Abiturienten? Unternehmen haben mehr Ansprüche an Auszubildende als nur schulische Qualifikationen.Foto: iStock/monkeybusinessimages
Von 26. Januar 2023

Dem Abitur folgt in den meisten Fällen ein Studium – möchte man meinen. Eine Studie zeigt allerdings, dass nahezu die Hälfte der Abiturienten eine Ausbildung anfängt. Die größte Konkurrenz für Hauptschüler sind demnach auf dem Arbeitsmarkt junge Erwachsene mit Abitur. Die Forderungen einer Ausbildungsgarantie werden daher lauter. Diese könnte allerdings enorme wirtschaftliche Folgen haben.

Insgesamt nimmt der Fachkräftemangel in Deutschland weiterhin zu. Vergangenes Jahr blieben 182.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. 2021 wurden im Vergleich zu 2011 zehn Prozent weniger Ausbildungsverträge unterzeichnet.

Hinzu kommt, dass einige Hauptschüler durch die niedrige Bildung die Qualifikationsanforderungen von Lehrstellen verfehlen würden und somit schlechtere Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben. Auf dieses Ergebnis kommt eine Studie des FiBS Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erfolgte.

Die Akademisierung ist nicht das Problem

„Menschen mit niedriger Schulbildung sind besonders gefährdet, keinen Berufsabschluss zu erzielen. Trotz vieler unbesetzter Ausbildungsstellen bleibt laut Statistik mehr als ein Drittel der Personen mit Hauptschulabschluss zwischen 20 und 34 Jahren ohne Ausbildung. Bei Jugendlichen ohne Schulabschluss sind es sogar fast zwei Drittel, die ungelernt bleiben“, schrieben die Forscher in der Studie.

Diese Zahlen seien beunruhigend und Grund genug, um die Frage zu stellen, wie die Chancen in unserem Ausbildungssystem verteilt sind. Außerdem ist eine berufliche Ausbildung für die meisten die einzige Möglichkeit einer beruflichen Weiterbildung nach der Schule.

So schreiben die Forscher in den Ergebnissen: „Nicht die Akademisierung ist das Problem des Ausbildungssystems, sondern die mangelnde Integration von Jugendlichen mit niedriger Schulbildung.“ Trotz unbesetzter Ausbildungsstellen und Fachkräftemangels würden Jugendliche mit niedriger Schulbildung auf dem Ausbildungsmarkt ins Abseits geraten.

Mehr Abiturienten machen Ausbildung

Ihre Einschätzung begründen die Forscher mit drei Ergebnissen: Erstens sei in den vergangenen zehn Jahren der Anteil derer, die mit Abitur eine Ausbildung beginnen, deutlich gestiegen. 47,4 Prozent der Abiturienten strebt demnach eine Ausbildung an.

In einer Umfrage unter Studenten stellte auch die Epoch Times fest, dass sich ein Großteil von ihnen eine Ausbildung vorstellen könne. Der Direktor des FiBS Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie und Autor der Studie, Dieter Dohmen, führt ebenfalls aus: „Von einer mangelnden Attraktivität der Berufsausbildung für Abiturientinnen und Abiturienten kann keine Rede sein.“

Zweitens würden immer weniger Personen mit Hauptschulabschluss (Abschluss mit der 9. Klasse) einen Ausbildungsplatz bekommen. 2021 fanden 84,4 Prozent nach dem Abschluss einen Ausbildungsplatz – ein Fünftel weniger als 2011. So wurden im Jahr 2021 706.000 duale und schulische Ausbildungsverhältnisse neu gegründet – 140.000 weniger als im letzten Rekordjahr 2007 (844.000).

Es muss allerdings erwähnt werden, dass der Anteil der Personen, die nach dem mittleren Schulabschluss (Abschluss mit der 10. Klasse) eine Ausbildung machen, in den letzten 15 Jahren relativ stabil bei 80 Prozent geblieben ist (2021: 82 Prozent). Der mittlere Schulabschluss liegt in der Wertigkeit höher als der Hauptschulabschluss. Insofern wird deutlich, dass sich Unternehmen bei der Vergabe für Ausbildungsplätze nicht per se für Abiturienten und gegen Personen ohne Abitur entscheiden.

Besonders dramatisch sei laut den Forschern drittens, dass die Zahl derer zunehme, die sich weder in einer Ausbildung, in der Schule noch in einem Arbeitsverhältnis befinden. 2019 waren es knapp 500.000 Personen im Alter von 15 bis 24 Jahren. Für 2021 steigt die Zahl um 130.000 Personen an (auf 630.000).

„Viel zu viele Jugendliche gehen auf dem Ausbildungsmarkt leer aus oder fallen ganz aus dem System. Wir müssen die Integrationsfähigkeit des Ausbildungssystems wieder deutlich erhöhen“, erklärt Dohmen.

Perspektive schlecht: Dauerarbeitslosigkeit befürchtet

Für die Zukunft stellen die Forscher kein allzu positives Bild fest. Die Experten gehen davon aus, dass sich die Perspektiven für Jugendliche mit niedriger Schulbildung in den nächsten Jahren weiter verschlechtern werden. So befürchten einige, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte abnehmen und die Qualifikationsanforderungen auch in Ausbildungsberufen steigen werden.

Kurz gesagt: Die Qualifikationsanforderungen werden höher, während Geringqualifizierte seltener für Ausbildungen angenommen werden. Aus unternehmerischer Sicht dürfe es aber nicht verwunderlich sein, auf Qualität in den Auszubildenden zu setzen.

Corona habe dem hinzukommend die Orientierungsmöglichkeiten von jungen Erwachsenen erschwert. Denn: Praktika, Berufsmessen und Beratungsgespräche haben gefehlt.

Die Forscher kommen daher zu der Schlussfolgerung, dass es zu einer steigenden Ungelerntenquote kommen könne. Dies ist „sowohl aus individueller als auch aus sozialer und ökonomischer Perspektive dramatisch und unter keinen Umständen tragbar.“

Auch der Ausbildungsexperte der Bertelsmann Stiftung, Clemens Wieland, warnte vor einer Dauerarbeitslosigkeit: „Für diese jungen Menschen ist die Gefahr besonders groß, ohne berufliche Qualifizierung zu bleiben und damit in prekären Beschäftigungsverhältnissen oder Dauerarbeitslosigkeit zu landen.“

Ausbildungsgarantie gefordert

Um junge Menschen vor der drohenden Arbeitslosigkeit zu schützen, werden die Forderungen um eine Ausbildungsgarantie zusehend lauter. Wieland unterstützt die Pläne.

Die Initiative „Ausbildungsgarantie“, initiiert von der Bertelsmann Stiftung, betont, dass die Umsetzung einer Garantie zur Ausbildung junger Menschen im Koalitionsvertrag festgeschrieben sei. Dort steht: „Wir wollen eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb.“ Wie genau die Ausbildungsgarantie organisiert werden soll, ist jedoch nicht geregelt.

Die positiven Effekte einer solchen Ausbildungsgarantie seien enorm. So stünden laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung der deutschen Wirtschaft jedes Jahr bis zu 20.000 ausgebildete Fachkräfte mehr zur Verfügung. Dadurch würde das Bruttoinlandsprodukt deutlich wachsen. Bereits nach acht Jahren würden die zusätzlichen Staatseinnahmen die Kosten für die Maßnahmen hinsichtlich Ausbildungsgarantie übersteigen – vorausgesetzt, die Personen finden nach der Ausbildung einen Job.

Die 20-jährige Sophie erzählt der Epoch Times in einem Gespräch, dass sie eine abgeschlossene Ausbildung als Erzieherin habe. Trotz Mangel an Erziehern finde sie in Hamburg keinen Kindergarten, in dem sie arbeiten könne. Der Grund: „Es fehlt mir an Erfahrung“.

Zudem besteht die Gefahr, dass die staatliche Ausbildung attraktiver wird als die Ausbildung von Unternehmen. Daher müssten die Ausbildungsvergütungen für die staatliche Ausbildung niedriger sein als in der Wirtschaft, meint Wieland.

Außerdem wird befürchtet, dass manche Unternehmen keine Ausbildung mehr anbieten, wenn es eine staatliche Ausbildung gibt. Denn: Unternehmen bilden junge Menschen in der Regel nur aus, wenn sie davon profitieren. Wenn sich die Ausbildung für Betriebe nicht oder nur dann lohnt, wenn sie die Lehrlinge nach der abgeschlossenen Ausbildung übernehmen, würden sich die Unternehmen eher für bereits ausgebildete Arbeitskräfte entscheiden – und keine Ausbildung anbieten. Die Gefahr, dass sich Betriebe aus der Ausbildung zurückziehen, hält Wieland allerdings für gering.

Laut Plänen solle die Staatsausbildung auf ein Lehrjahr befristet werden. Dadurch soll verdeutlicht werden, dass es nur eine Brücke in die betriebliche Welt ist. Wenn die Lehrlinge allerdings trotz massiver Bemühungen keinen Betrieb für eine Ausbildung finden, solle die staatliche Ausbildung verlängert werden können. Wichtig sei hierfür, dass die staatliche Ausbildung bei einem Wechsel in ein Unternehmen angerechnet werde.



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