Glasmalereien: Leuchtende Geschichten gegen das Vergessen

Glasmalereien erzählen Geschichten über das Leben und die Gedanken der Menschen der jeweiligen Zeit. Sie sind nicht nur in Sakralbauten, sondern auch in Privathäusern zu finden.
Titelbild
Bunte mittelalterliche Glasmalerei in der Peterskirche Basilika Luzern, SchweizFoto: iStock
Von 24. August 2023

Seit der römischen Antike sind Glasmalereien wegen ihrer Schönheit geschätzt. Im Mittelalter erreichte diese Kunstform mit der Schaffung sakraler Fenster in Gotteshäusern, die die Gläubigen mit leuchtenden Geschichten inspirierten, ihren Höhepunkt. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Glasmalerei zu einem festen Bestandteil von Privathäusern, erlebte später eine Renaissance und gelangte schließlich in die Sammlungen von Museen auf der ganzen Welt.

Glas entsteht aus Sand und Holzasche. Mit dem Erhitzen entsteht eine Flüssigkeit, die nach dem Abkühlen zu Glas wird. Um farbiges Glas zu erhalten, werden dem geschmolzenen Gemisch bestimmte Metalle in Pulverform zugesetzt. Zur Herstellung einer Glasmalerei legen Künstler die farbigen Glasstücke über ein auf eine Platte gezeichnetes Muster. Bei der weiteren Montage werden die Glasränder in Kämme (Bleistreifen) eingepasst und zur Verstärkung des Fensters miteinander verlötet.

Erinnerungen an St. Germain

Die mittelalterliche Glasmalerei stammt aus der Abtei Saint-Germain-des-Prés. Diese mächtige Pariser Benediktinerabtei wurde im 6. Jahrhundert gegründet und später nach dem Heiligen Germain benannt. Germain wurde in Burgund geboren und später zum Bischof von Paris ernannt.

Eine seiner bedeutendsten Leistungen bestand darin, den weltlichen Merowingerkönig Childebert I. zu einem christlicheren Leben zu ermutigen. So bewegte Germain Childebert, den Bau der großen Abtei zu finanzieren.

Die Schutzheiligen der Abteien werden häufig in Glasgemälden dargestellt. Dieses Fenster gehört zu einem Zyklus von Szenen aus dem Leben und den Wundern des heiligen Germain. Es entstand zwischen 1245 und 1247 und befand sich in der Marienkapelle der Abtei. Die Kapelle existiert nicht mehr, aber die Abteikirche steht noch immer am berühmten Boulevard Saint-Germain.

„Vision des Heiligen Germain von Paris“, 1245–1247, von unbekanntem französischem Künstler. Hüttenglas, glasartige Farbe; 64 cm x 40 cm. The Cloisters Collection, The Metropolitan Museum of Art, New York. Bild: Gemeingut

Die „Vision des Heiligen Germain von Paris“ stellt ein posthumes Wunder des Heiligen Germain dar. Germain, die Gestalt mit dem roten Heiligenschein, erscheint darin einem Mönch im Traum, um ihn vor einer bevorstehenden normannischen Invasion der Abtei zu warnen – und um ihm zu versichern, dass seine Reliquien unversehrt bleiben werden.

Der Mönch wendet sich mit aschfahlem Gesicht von der Figur ab. Die Komposition der Tafel wird von den beiden Figuren und dem satten Blau des Hintergrundes dominiert, das durch rote Linien und Flächen kontrastiert wird. Der Rest der Szene ist nur spärlich detailliert, was ihr einen unwirklichen Charakter verleiht.

Historische Entwicklungen

Die Invasion, vor der der Heilige warnt, fand tatsächlich statt. Doch die Abtei von Saint-Germain-des-Prés überlebte und florierte das ganze Mittelalter hindurch. Bis zur Französischen Revolution wurde sie zu einem der reichsten und mächtigsten Klöster Frankreichs.

Erst im Jahr 1791 verwüsteten die Revolutionstruppen die merowingischen Gräber der Abtei – darunter auch das Grab des Königs Childebert. Die Sakralbauten, die die Plünderungen überstanden, wurden als Büros des Regimes, Gefängnisse und Kasernen genutzt oder an Unternehmen vermietet. Die Abtei Saint-Germain-des-Prés wurde geschlossen und in eine Salpeterraffinerie umgewandelt.

Der Lagerraum für dieses Material explodierte 1794 auf dramatische Weise und beschädigte mehrere Fenster der Marienkapelle. Es ist unklar, ob die Glasmalereien vor oder nach der Explosion entfernt wurden. Auf jeden Fall überlebten sie und wurden in ein Lager gebracht, das speziell für Kunstwerke aus Sakralbauten eingerichtet worden war. Einige Glasfenster der Abtei Saint-Germain-des-Prés gelangten später wieder in Kirchengebäude oder in private Sammlungen und Museen.

Dieses Fenster ist heute Teil der Sammlung von The Met Cloisters.

„Die Jungfrau Maria und fünf stehende Heilige über Predella-Tafeln“, 1440–1446, von einem unbekannten deutschen Künstler. Hüttenglas, Weißglas, Glasmalerei, Silberbeize; jedes Fenster 377 cm x 72 cm. Die Klostersammlung, Metropolitan Museum of Art, New York City. Bild: Gemeingut, http://www.metmuseum.org/art/collection/search/474431

Die Innenarchitektur der Renaissance

Eine weitere Blütezeit erlebte die Glasmalerei im Europa der Renaissance. Als Glas gegen Ende des 14. Jahrhunderts erschwinglicher wurde, fanden Glasfenster zunehmend Eingang in die häusliche Architektur, wo sie als dekoratives Element beliebt waren. Beispiele solcher Glasfenster zeichnen sich durch den Einsatz von Farbe, Licht und sogar Humor aus. Typische Motive sind Tierkreiszeichen, sakrale Szenen, Porträts und Wappen.

Die Schweizer „Wappentafel mit dem Wappen der Familie Eberler“ aus dem späten 15. Jahrhundert, die sich heute in der Sammlung des J. Paul Getty Museums befindet, wurde wahrscheinlich für ein Privathaus angefertigt.

Die Tafel ist aufgrund der komplexen technischen Fertigkeiten zur Herstellung des Glases und der hervorragenden künstlerischen Anwendung von Silberbeize und Glasmalerei sehr anspruchsvoll. Diese spezielle Farbe besteht aus Glaspartikeln in einem flüssigen Bindemittel, das beim Brennen mit der Glasplatte verschmilzt.

„Wappentafel mit dem Wappen der Familie Eberler“, um 1490, von unbekanntem Hersteller. Hüttenmetall, überfangenes und farbloses Glas, glasartige Farbe und Silberbeize, Bleikamm; 44 cm x 33,5 cm. J. Paul Getty Museum, Los Angeles. Bild: Gemeingut

Die Tafel zeigt ein Familienwappen und eine schöne junge Frau mit einem Dolch in der Scheide. Sie trägt ein gemustertes blaues Kleid, lange Handschuhe, einen goldenen Gürtel, eine Halskette, Ringe und einen langen weißen Schleier, der an einem prächtigen Kopfschmuck befestigt ist.

Ähnlich wie in der „Vision des Heiligen Germain von Paris“ zeigt die Komposition eine Figur, die sich von einer anderen abwendet. In diesem Bild besteht das Figurenpaar jedoch aus einer Jungfrau und einem bedrohlichen roten Eber – dem Wappentier der Basler Familie Eberler. Sie sind auf einem damastartig gemusterten Hintergrund angeordnet, der sehr viel detaillierter ist als der mittelalterliche Minimalismus der Tafel von Saint-Germain.

Das Familienwappen im unteren Teil der Tafel besteht aus einem Schild mit dem symbolischen Wildschwein auf gemustertem Goldgrund, einem Helm und einem dichten Dekor aus roten und goldenen Kräuselblättern. Ein Fries im oberen Teil der Tafel zeigt eine Landschaft mit einer Gruppe junger Männer und Frauen bei der Falknerei – einem Jagdsport mit Greifvögeln, der mit höfischen Flirts verbunden war. Die Seiten der Tafel sind mit dekorativen Vögeln geschmückt, die die verschiedenen Teile der Landschaft miteinander verbinden.

Viktorianische Neogotik

Im viktorianischen England (1837–1901) erwachte das Interesse an mittelalterlicher Architektur und Kunst wieder, und der entsprechende Gothic-Revival-Stil in der Architektur belebte den Markt für Glasmalerei neu. Einer der bedeutendsten Künstler dieser Epoche war Sir Edward Burne-Jones, Mitglied der Präraffaeliten und ein hervorragender Maler religiöser, mythischer und literarischer Szenen.

Die Präraffaeliten ließen sich von Künstlern aus der Zeit vor Raffael inspirieren, insbesondere von mittelalterlichen Handwerkern und deren Naturdarstellungen. William Morris, ein führender Vertreter der englischen Bewegung Arts and Crafts, übertrug diese Ideen auf das Kunstgewerbe und gründete mit seinem Oxforder Freund Burne-Jones eine Firma, die Buntglasfenster, Wandteppiche, Tapeten und andere Objekte herstellte.

Burne-Jones schuf in seinem Leben schätzungsweise 750 Entwürfe für Glasmalereien. Sein berühmter Entwurf der Heiligen Cäcilia oder auch Cäcilia von Rom aus der Zusammenarbeit von Burne-Jones und Morris war besonders beliebt – fast 30 Fenster entstanden daraus über viele Jahre. Die Version, die sich heute in der Sammlung des Kunstmuseums der Princeton University befindet (um 1900), war ursprünglich möglicherweise in einem privaten Esszimmer oder einem Salon angebracht.

„Heilige Cäcilie“, um 1900, von Sir Edward Burne-Jones. Gefärbtes und bemaltes Glas; 214 cm x 76 cm. Kunstmuseum der Universität Princeton. Bild: Gemeingut

Letzteres wäre ein klangvoller Rahmen gewesen, da die Heilige Cäcilia die Schutzpatronin der Musik ist und das Attribut einer Orgel hat. Sie war eine frühchristliche römische Märtyrerin. In diesem Fenster stellt sie Burne-Jones dar, wie sie eine tragbare Orgel aus dem 15. Jahrhundert spielt.

Leuchtende Farben verwenden

Das Museum vermerkt in seinem „Handbuch“, dass „der flache, abstrahierte, lineare Stil und die schlanke Pose der ungewöhnlich großen, anmutigen Frau auf das Werk Botticellis verweisen, […] während der gobelinartige Schirm aus Granatapfelbäumen und Früchten und der reich gemusterte Brokatstoff an die spätgotische Zeit der italienischen Kunst erinnern“.

Satte Farben, gemusterte Stoffe und Blattmotive werden mit schillernder Wirkung eingesetzt – wie in der „Heraldischen Tafel mit dem Wappen der Familie Eberler“. Burne-Jones schafft es meisterhaft, den Charakter der Glasmalerei des Mittelalters und der Frührenaissance in seinem innovativen Stil wiederzugeben. Die Fachwelt lobt Burne-Jones‘ besondere Begabung, trotz der Beschränkungen des Mediums Emotionen und Persönlichkeit in der Glasmalerei zu vermitteln.

Die heilige Cecilia veranschaulicht Morris‘ Maxime, bei allen Glaskunstwerken unbedingt leuchtende Farben zu verwenden. Dieses Fenster verdeutlicht seine Überzeugung, dass die Figuren einfach komponiert sein sollten, damit sie vom Betrachter aus großer Entfernung erkannt werden können. Das Werk spiegelt auch die Ansicht des Künstlers wider, dass die Bleikämme zur allgemeinen Schönheit eines Glasfensters beitragen.

Alle drei Glasmalereien sind repräsentativ für ihre Entstehungszeit und zugleich exemplarische Kunstwerke. Wenn man sich mit ihren Glasfacetten beschäftigt, entdeckt man neben den üppigen Farben und Formen auch ihre Bezüge zu religiösen Bräuchen, wissenschaftlichen Techniken und Neuerungen sowie künstlerischen Stilrichtungen. Sie sind Fenster, die die Geschichte beleuchten und auch heute noch den Betrachter mit ihrer Schönheit und ihren Anekdoten inspirieren.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „Stained Glass Works and the Stories They Tell“ (deutsche Bearbeitung jw)



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