„Impfunwillige bequem melden“

Anschwärzen, denunzieren, auflauern: Auf der Seite „Nichtimpfgegner.in“ wird die Gesellschaft um Mitarbeit gebeten – die Menschen werden aufgefordert, Impfgegner zu melden. 
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In Hamburg im Dezember 2021.Foto: Markus Scholz/dpa/dpa
Von 29. März 2022

„Helfe jetzt mit und melde dir bekannte Impfverweigerer*innen dem jeweils zuständigen Gesundheitsamt“, fordert die Website „Nichtimpfgegner.in“.

Bei der Meldung sind Name und Adresse der Person wichtig und ob diese gefälschte Impf- oder Genesenendokumente verwendet. Zudem soll durch die meldende Person eine Priorisierung und eine Einordnung in eine Gefahrenstufe erfolgen. Personen mit der Gefahrenstufe sehr hoch werden als „gewaltbereite Querdenker oder Reichsbürger“ eingeordnet, während die niedrige Gefahrenstufe „gute Menschen“ auszeichnet, die „Aufklärung“ bräuchten, „besorgt“ seien und „Angst vor einer Injektion“ hätten.

Wer betreibt diese Website? Im Impressum wird der „Bundesservice Telekommunikation“ (BST) als Verantwortlicher angegeben. Ein direkter Ansprechpartner fehlt, AGB und Datenschutzerklärung gibt es ebenfalls nicht.

Lilith Wittmann, IT-Sicherheitsexpertin, wirft der Website vor, eine Tarnfirma für den Verfassungsschutz zu sein. Im Januar 2022 berichtet sie in ihrem Blog, dass sie durch Zufall auf die Bundesbehörde BST stieß und herausfand, dass es sich um eine Tarnorganisation des Verfassungsschutzes handeln müsse. Die Bundesregierung leugnet die Existenz der Behörde.

Was ist das BST? Der „Bundesservice Telekommunikation“ steht im Verdacht, für das Bundesamt für Verfassungsschutz zu arbeiten. Der Verfassungsschutz beobachtet Reichsbürger und Querdenker. Nach vorliegenden Recherchen verwendet der Verfassungsschutz womöglich die auf der Seite des BST gemeldeten Informationen, um seine Ermittlungen auszuweiten und zu konkretisieren.

Daten gehen an Gesundheitsämter

Eigene Recherchen und Telefonate ergaben, dass die Daten tatsächlich an das zuständige Gesundheitsamt der gemeldeten Person weitergeleitet werden. Auf Nachfrage bei ausgewählten Gesundheitsämtern ist die Website aber nicht bekannt.  

Ein Mitarbeiter versicherte, dass keine personenbezogenen Daten weitergegeben würden. Im nächsten Satz sagte er allerdings, dass sie auch „keine Sachen erfahren“ würden und nicht wüssten, „was mit den Daten effektiv passiert“. Andererseits bestätigte er: „Meldungen von Menschen mit gefälschten Impf- oder Genesenendokumenten werden zur Strafanzeige geführt“.

Betreibt der Verfassungsschutz eine Website gegen Ungeimpfte?

Dass Tarneinrichtungen von Verfassungsschutz oder Geheimdiensten existieren, ist grundsätzlich bekannt. 2014 teilte die Bundesregierung auf eine Anfrage von Abgeordneten der Linken (Drucksache 18/2552) mit, dass sich neben dem Einsatz von V-Personen bzw. Informanten die Nachrichtendienste des Bundes auch Tarneinrichtungen in Form von Firmen oder Vereinen bedienen würden. 

Weiter antwortete die Bundesregierung: „Bei der Anmeldung einer Tarnfirma oder -einrichtung werden die betroffenen Institutionen und Kammern nicht über den beabsichtigten nachrichtendienstlichen Zweck in Kenntnis gesetzt.“ Seit 2011 soll es den Bundesservice Telekommunikation (BST) geben. Informationen über die Aufgaben und Funktion des BST gibt es kaum.

Bundesservice Telekommunikation als Bundesbehörde gelistet

Im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums (BMI) gebe es laut Marek Wede, Sprecher des BMI, keine Behörde mit dem Namen des „Bundesservice Telekommunikation“.

Recherchen ergeben jedoch, dass der BST auf der Online-Serviceseite des Bundes als Behörde gelistet wurde. Die Adresse Heidelberger Str. 63-64 in Berlin, eine Telefonnummer und die E-Mail [email protected] sind zu finden. Die Telefonnummer gehört zum BMI, ist weiterhin vergeben und anwählbar, die Mitarbeiter dort negieren die Existenz des Bundesservice Telekommunikation. 

Auf eine Anfrage von Abgeordneten der Linken über die „Aufgaben und Arbeit des Bundesservice Telekommunikation“ (Drucksache 20/929) gibt die Bundesregierung am 9. März 2022 allerdings zu: „Auf der Plattform service.bund.de findet sich eine Liste aller Bundesbehörden. Sie führte bis Anfang Januar 2022 unter anderem eine Behörde mit dem Namen ‚Bundesservice Telekommunikation‘ in Berlin auf.“ Dieser Verweis sei Anfang Januar 2022 gelöscht worden, merkt die Bundesregierung an. 

Laut IT-Sicherheitsexpertin und Aktivistin Lilith Wittmann soll es noch vor wenigen Wochen ein Briefkastenschild an dem Gebäude gegeben haben. Eigene Recherchen ergaben, dass dieses nicht mehr vorhanden ist.

Finale Antwort ist Verschlusssache

Die Frage, zu welchem Zweck der BST wann gegründet wurde und welche Zuständigkeiten er seit seiner Gründung hatte, wurde in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken nicht beantwortet: „Gegenstand der Frage sind solche Informationen, die in besonderem Maße das Staatswohl berühren. Die VS-Einstufung [Verschlusssache] der Antwort ist erforderlich, da sie Informationen enthält, die im Zusammenhang mit der Arbeitsweise und Methodik des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) stehen.“ 

Ist die Antwort der Bundesregierung die Bestätigung der Vermutung Lilith Wittmanns, dass der BST eine Tarnorganisation des Verfassungsschutzes ist?

Eine Mitarbeiterin des BMI, die unter der ehemaligen Telefonnummer des BST zu erreichen war, teilte auf Nachfrage mit, dass es keine Internetseite der Bundesregierung gebe, um Impfverweigerer zu melden. Da die Bundesbehörde allerdings schon die Existenz des BST leugnet, bleibt die Frage nach der Authentizität der Antwort über die Seite unbeantwortet.

Der Artikel erschien zuerst in der Wochenzeitung, Ausgabe 36, am 25. März 2022.



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