Missbrauch in der Erzdiözese Freiburg: Alt-Erzbischof Zollitsch schwer belastet

Ein Bericht zur Vertuschung von Missbrauchsfällen durch Priester im Erzbistum Freiburg belastet den ehemaligen Erzbischof Robert Zollitsch schwer. Ihm wird vorgeworfen, beschuldigte Priester geschützt zu haben und keine kirchenrechtlichen Strafverfahren eingeleitet zu haben. Eine Anzeige gegen ihn wurde in Rom eingereicht.
Der ehemalige Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch nach einer Bischofsweihe im Juni 2019.
Ein Missbrauchsgutachten belastet Alt-Erzbischof Robert Zollitsch schwer.Foto: Patrick Seeger/dpa
Von 20. April 2023

In dieser Woche hat die eingesetzte Kirchen-Kommission ihren Bericht zum Umgang mit dem Missbrauch Minderjähriger durch Priester im Erzbistum Freiburg vorgestellt. Die Vorwürfe wiegen schwer. So schwer wie in kaum einem anderen Missbrauchsbericht bisher.

Besonders Freiburgs emeritiertem Erzbischof Robert Zollitsch werden erhebliche Versäumnisse vorgeworfen. Zollitsch, heute 84 Jahr alt, war von 2008 bis 2014 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. In seine Amtszeit fiel die Aufdeckung der Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg in Berlin 2010. Diese Aufdeckung brachte damals den Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche ins Rollen.

Massive Vertuschung von Missbrauchsfällen

In dem 591-Seiten-starken Bericht taucht der Name von Erzbischof Zollitsch insgesamt 681-mal auf. Ihm und seinem Vorgänger im Amt, Oskar Saier, wird vorgeworfen, eine „massive Vertuschung“ von Missbrauchsfällen begangen zu haben.

Zollitsch soll als Personalchef und später als Erzbischof alles getan haben, um beschuldigte Priester zu schützen. Mehr als 250 Priester werden als mögliche Täter identifiziert, die sich an mindestens 540 Kindern und Jugendlichen vergangen haben sollen. Es wird vermutet, dass das Dunkelfeld noch viel größer ist. Saier, der 2008 bereits verstorben ist, wird ebenfalls beschuldigt, die Taten der Priester nicht weiter verfolgt zu haben. Beschuldigte Priester wurden oft einfach in andere Gemeinden versetzt oder beurlaubt, ohne dass die Gemeinden, wo die Priester vorher Dienst taten, informiert wurden. Auch wurde Opfern seitens der Erzdiözese nie Hilfe angeboten. „Sie wurden allein gelassen“, heißt es im Missbrauchsbericht.

„Es wird Wunden geben, die nicht verheilen“

„Dieser Tag ist von vielen Menschen lange erwartet worden.“ So begann gestern der Vorsitzende der Kommission zur Aufklärung des Missbrauchs in der Erzdiözese Freiburg, Magnus Striet, die Pressekonferenz in der katholischen Akademie. Der heutige Tag sei kein Ende, sondern der Anfang, betonte Striet. „Es ist noch viel zu tun, und wer glaubt, dass es einen Schlussstrich geben könnte unter diesen Aufarbeitungsprozessen, der hat nichts verstanden. Es wird Wunden geben, die nicht verheilen.“ Im veröffentlichten Bericht ginge es nur um das „Hellfeld“, die bekannten Fälle. „Das Dunkelfeld dürfte erheblich größer sein.“ Striet lobte die „hartnäckige und akribische“ Arbeit der beiden Berichtsautoren Eugen Endress und Edgar Villwock.

Eugen Endress erklärte den zentralen Aspekt der Untersuchung folgendermaßen: „Es ging um Vertuschung durch Führungskräfte.“ Der Begriff „Vertuschung“ wurde in einem sehr weiten Sinn interpretiert, so dass auch mangelnde Überwachung oder Informationsweitergabe als Vertuschung betrachtet wurden. „Es gab keine Beeinflussung unserer Arbeitsgruppe von außen“, betonte Endress. Die Untersuchung konzentrierte sich auf die Amtszeiten der Erzbischöfe Saier, Zollitsch, Wehrle und Burger – insgesamt über 65 Jahre. Die unabhängige Arbeitsgruppe „Machtstrukturen und Aktenanalyse“ hat analysiert, wie die führenden Mitarbeiter der Erzdiözese Freiburg mit Fällen von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche umgegangen sind. Laut dem Abschlussbericht der Arbeitsgruppe haben die beiden Autoren massive Vertuschungen von Missbrauchsfällen durch den ehemaligen Erzbischof Zollitsch nachgewiesen.

Zollitsch hat Kirchenrecht völlig ignoriert

Der Bericht besagt, dass Zollitsch trotz schwerer Vorwürfe gegen Tatverdächtige es lediglich bei Ermahnungen, „pastorale Herangehensweisen“ oder „therapeutische Modelle“ belassen hat, anstatt ein kirchenrechtliches Strafverfahren einzuleiten. Zollitsch habe zudem falsche und lange zurückliegende Fallzahlen aus der Zeit, bevor er ein Führungsamt innehatte, öffentlich gemacht, obwohl er richtige beziehungsweise aktuellere Zahlen vorliegen hatte. Auch habe der Alt-Erzbischof von einer „hohen Zahl von Falschbeschuldigungen“ gesprochen, die laut Bericht nicht existierten. Die Personalien von Priestern, die des Missbrauchs beschuldigt wurden, wurden verschleiert und es gab keine innerkirchlichen Kontrollsysteme für die rückfallgefährdeten Täter. Zollitsch hat somit massiv Missbrauchsfälle vertuscht und unangemessen auf Verdachtsfälle reagiert.

Laut dem Abschlussbericht der Arbeitsgruppe hat Zollitsch während seiner gesamten Amtszeit als Erzbischof keine obligatorischen Voruntersuchungen eingeleitet, wie es das Kirchenrecht und die Leitlinien vorsehen. Zudem hat er auch bei Erhärtung des Verdachts keinen einzigen Fall an die Glaubenskongregation in Rom gemeldet, was im Bericht als „ausnahmslose Nullbilanz“ bezeichnet wird. Im Vergleich dazu hat das ähnlich große Bistum Münster 17 Fälle im selben Zeitraum gemeldet.

Brisant ist weiter, dass der Erzbischof noch 2010 die verschärften Handlungsanweisungen für Missbrauchsfälle vom damaligen Papst Benedikt XVI. lobte, um sie dann im eigenen Erzbistum einfach nicht umzusetzen.

Trotz der Bitte von Mitarbeitern wie dem damaligen Offzial (Kirchenrichter der Erzdiözese) hat Zollitsch keine Fälle nach Rom gemeldet. Als das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, der Zollitsch damals vorsaß, von den 27 deutschen Bistümern eine Liste ihr bekannter Fälle verlangte, kam ausgerechnet Zollitschs Freiburger Ordinariat der Forderung nicht nach, wie die Arbeitsgruppe recherchierte. Als die Staatsanwaltschaft das Ordinariat durchsuchte, rief Zollitsch intern dazu auf, „neue Möglichkeiten der Unterbringung der Spezialakten in unserem Haus zu finden“, anstatt mit den Ermittlern von Polizei und Staatsanwaltschaft zu kooperieren. Dies geht aus einem Protokoll einer Ordinariatssitzung hervor.

„Die Herzenskälte von Zollitsch hat mich schockiert“

Gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) äußerte sich der Kirchenrechtler Thomas Schüller aus Münster zu dem Bericht. Inhaltlich überraschen den Experten die Ergebnisse jedoch kaum. „Aber erschreckend ist die völlige Ignoranz von Zollitsch, der als einer der dienstältesten Personalchefs schlimmste Missbrauchsfälle gedeckt und Täter geschützt hat.“ Die Juristen sprachen bei der Vorstellung des Berichts vom „Vollbild einer Vertuschung“.

Der renommierte Kirchrechtler bezeichnete das Verhalten von Erzbischof Zollitsch als „beschämend“. Und Schüller weiter: „Die Herzenskälte von Zollitsch hat mich schockiert.“

Zollitsch in Rom angezeigt und könnte seiner bischöflichen Rechte enthoben werden

Der heutige Erzbischof Stephan Burger hat Zollitsch inzwischen in Rom angezeigt. Für ihn habe der Bericht das „Versagen der kirchlichen Strukturen“ aufgezeigt. Burger gab sich tief betroffen von den Ergebnissen. Der Experte Schüller bewertete die Meldung von Burger als eine „neue Qualität, da der Vatikan möglicherweise Zollitsch seine bischöflichen Rechte entziehen könnte“. Allerdings wies er darauf hin, dass das Kirchenrecht des Vatikans in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich angewendet wird.

Aufgrund der ernsthaften und langjährigen Missachtung des Kirchenrechts durch Zollitsch, könne sich Schüller jedoch vorstellen, dass Rom Zollitsch die öffentliche Ausübung seiner Rechte aus der Bischofsweihe verbietet. Obwohl die aktive Vertuschung im Kirchenrecht ein Straftatbestand ist, sieht es keine Entlassung aus dem Klerikerstand vor, es sei denn, Zollitsch selbst wäre an Missbrauch beteiligt gewesen. Daher hätte eine Entscheidung gegen Zollitsch hauptsächlich symbolische Wirkung, zum Beispiel die Einschränkung seiner öffentlichen Auftritte, obwohl er ohnehin nicht mehr im Amt ist.

Zollitsch selbst möchte sich zu den Vorwürfen nicht mehr äußern. Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa vom Montag, habe ein Sprecher des Alt-Erzbischofs mitgeteilt, dass Zollitsch „sich Schweigen auferlegt“ habe. Der frühere Freiburger Oberhirte hatte bereits im Oktober in einem Video schwerwiegende Fehler und persönliche Schuld eingeräumt.



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