Nach Corona die Wirtschaftskrise: Häusliche Gewalt auch 2022 im Aufwind – täglich 432 Fälle

Auch im Jahr 2022 ist die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt angestiegen. Fast zwei Drittel der Vorfälle ereignen sich im Kontext einer Partnerschaft. Mehr als 70 Prozent der Opfer sind Frauen.
Immer mehr Männer müssen ausziehen oder Abstand halten, weil sie ihrer Partnerin Gewalt angetan oder angedroht haben.
Oft müssen Männer ausziehen oder Abstand halten, weil sie ihrer Partnerin Gewalt angetan oder angedroht haben.Foto: Fabian Sommer/dpa
Von 12. Juli 2023

Im Jahr 2019 hatten die Daten des Bundeskriminalamts zum Themenbereich „Häusliche Gewalt“ kurzfristig Hoffnung gemacht. Die Zahl der gemeldeten Fälle war gegenüber dem Jahr zuvor um 2,3 Prozent gesunken. Die Corona-Krise führte allerdings erneut zu einem deutlichen Anstieg. Wie der jüngst veröffentlichte Lagebericht berichtet, hat auch das Ende der Pandemiemaßnahmen einen weiteren deutlichen Anstieg nicht verhindert.

Im Vorjahr belief sich die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt dem Bericht zufolge auf 240.547 Betroffene. Gegenüber dem Jahr 2021 bedeutete dies ein Plus von 8,5 Prozent.

Häusliche Gewalt am häufigsten im Kontext von Partnerschaften

Wie das Bundeskriminalamt (BKA) erläutert, hat das Lagebild „Häusliche Gewalt“ die seit 2015 erhobene „Kriminalstatistische Auswertung Partnerschaftsgewalt“ fortgeschrieben. Nunmehr umfasst die Auswertung nicht mehr allein Gewalt im Kontext von Partnerschaften. Stattdessen bildet der Bericht Delikte der innerfamiliären Gewalt insgesamt ab.

Dennoch finden die meisten Akte der häuslichen Gewalt im Kontext von Partnerschaften statt. Anlässlich der Vorstellung des Lagebildes wies Bundesinnenministerin Nancy Faeser darauf hin, dass 65,5 Prozent der erfassten Fälle im Jahr 2022 Partnerschaften betrafen. Mehr als 70 Prozent der Opfer seien Frauen gewesen. Faeser sprach von Zahlen, die „jeden aufrütteln“ müssten.

Die Fälle von häuslicher Gewalt, die eine Partnerschaft betrafen, seien sogar um 9,4 Prozent auf 157.550 angestiegen. Pro Tag entspreche dies 432 Vorfällen dieser Art in ganz Deutschland. Für 133 Frauen und 19 Männer endete die häusliche Gewalt tödlich. Dazu kamen 135.502 Fälle vorsätzlicher einfacher und 28.589 Fälle schwerer Körperverletzung.

Tatverdächtige sind zumeist die Ex-Partner

Vor allem das Ende von Partnerschaften stellt einen enormen Risikofaktor bezüglich häuslicher Gewalt dar. In 39,5 Prozent der erfassten Delikte war es ein ehemaliger Partner, von dem diese ausging. Die Verteilung zwischen ehelichen und nichtehelichen Partnerschaften war dabei mit 31,1 beziehungsweise 29,1 Prozent der Fälle relativ gleich.

Die Polizeibehörden veranlassten gegen 6.587 Tatverdächtige Maßnahmen nach dem 2001 in Kraft getretenen Gewaltschutzgesetz. Von diesen waren 91,7 Prozent männlich, in 17 Fällen verfügten jene sogar über Schusswaffen.

Im Bereich der innerfamiliären Gewalt insgesamt ist das Risiko von Frauen und Mädchen, zum Opfer zu werden, in fast allen Altersgruppen deutlich höher als das von Männern und Jungen. Eine Ausnahme stellen Kleinkinder bis zum Alter von sechs Jahren dar: Hier wurden 3.192 Jungen zu Gewaltopfern – gegenüber 2.993 Mädchen.

BKA kündigt Dunkelzifferstudie an – 2025 sollen Zahlen vorliegen

In 35,3 Prozent der Fälle innerfamiliärer Gewalt waren Eltern oder Stiefeltern die Urheber. In knapp 17 Prozent ging diese von Geschwistern und in 18 Prozent von sonstigen Angehörigen aus. Gewalt von Kindern gegen Eltern war in 23 Prozent der Fälle der Ausgangspunkt von Anzeigen.

Zu den gemeldeten Fällen kommt nach Einschätzung des BKA jedoch noch eine Dunkelziffer nicht angezeigter Gewaltakte im häuslichen Bereich. Es ist grundsätzlich schwierig, eine verlässliche Aussage darüber zu treffen, ob die zahlenmäßige Entwicklung auf eine tatsächliche Zunahme der Gewalt oder auf eine höhere Anzeigebereitschaft zurückzuführen ist.

Auch deshalb will das BKA zeitnah eine Dunkelfeldstudie durchführen, deren erste Ergebnisse man 2025 präsentieren möchte. Deutschlandweit will man dazu etwa 22.000 Menschen befragen.

Corona-Lockdown ließ häusliche Gewalt in die Höhe schnellen

Ein Faktor, der nach dem Rückgang häuslicher Gewalt im Jahr 2019 zu einem deutlichen Wiederanstieg geführt hat, war die Corona-Pandemie. Dies bestätigte unter anderem eine Studie des Bundesfamilienministeriums. Demnach stieg die Anzahl der Anrufe beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 um fast 20 Prozent.

Das BKA sprach von einem Plus gemeldeter Fälle von häuslicher Gewalt während des ersten Lockdowns um fast zehn Prozent. Eine mögliche Untererfassung gebe es zudem bei Stalking oder Drohungen, die Bundesinnenministerin Faeser zufolge häufig im Vorfeld der Gewalt stattfänden.

Ein möglicher Faktor für steigende Gewalt in Partnerschaften und Familie könnte auch die Wirtschaftskrise sein. Inflation, hohe Energiepreise und steigende Kosten für Güter des täglichen Bedarfs hatten 2022 einen erheblichen Druck auf Familien entfaltet.

Frauenhäuser müssen Betroffene mangels Kapazitäten abweisen

Die Bundesregierung will mehr Frauenhäuser ermöglichen und deren Finanzierung sicherstellen. So steht es im Koalitionsvertrag der Ampelparteien. Wie prekär die Situation ist, zeigt etwa die Lage im Frauenhaus von Bernburg an der Saale in Sachsen-Anhalt auf.

Die „Mitteldeutsche Zeitung“ (MZ) berichtete jüngst, dass der Betreiberverein Rückenwind e. V. in diesem Jahr bereits 43 Frauen abweisen musste. Grund dafür sei das Fehlen von räumlichen und finanziellen Kapazitäten. Der Andrang wäre noch größer, wären nicht viele Frauen von der Aussicht abgeschreckt, einen Tagessatz von 15 Euro für den Aufenthalt bezahlen zu müssen.

Man müsse Betroffene dann an andere Frauenhäuser vermitteln, betont Einrichtungsleiterin Stephanie Wagner. Sie ruft die Öffentlichkeit zu Spenden auf, um Betroffenen einen Neuanfang zu ermöglichen. Besondere Gründe für die hohe Nachfrage konnte Wagner auf Nachfrage der MZ nicht benennen. Auch die „Klientel“ sei völlig gemischt. Offenbar ist häusliche Gewalt ein Problem, das vor keiner ethnischen oder sozialen Bevölkerungsgruppe haltmacht.

(Mit Material von dpa)



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion