Shitstorm gegen Winnetou

Der Ravensburger Verlag zieht nach Kritik Kinderbücher aus dem Verkehr – und wird dafür ebenfalls getadelt. Auch Weltliteratur scheint nicht vor Zensur sicher zu sein: Neben Winnetou (Karl May), stehen auch Jane Austen, Agatha Christie und Shakespeare sowie klassische Märchen auf den Abschusslisten.
Titelbild
Pierre Brice in seiner Paraderolle als Winnetou. (1982)Foto: Horst Ossinger/dpa
Von 24. August 2022

Eklat um Winnetou, den wohl berühmtesten Indianerhäuptling der Literaturgeschichte: Der Ravensburger Verlag hat zwei Kinderbücher zum Start des Films „Der junge Häuptling Winnetou“ aus dem Verkehr gezogen, nachdem es „viele negative Rückmeldungen“ gegeben habe. „Kolonialistisch“ oder „rassistisch“ lauteten die in sozialen Netzwerken geäußerten Vorwürfe, schreibt der NDR auf seiner Internetseite. Dem Bericht zufolge ist auch der seit dem 11. August über die Kinoleinwände flimmernde Film „hochumstritten“.

„Verharmlosende Klischees“

Der „Spiegel“ zitiert einen Unternehmenssprecher des Verlags, der angab, dass das Buch wegen „verharmlosender Klischees“ über die Behandlung indigener Völker vom Markt genommen wurde. Es handelt sich dabei um ein Kinderbuch (ab acht Jahren), ein Erstleser- und ein Stickerbuch sowie ein Puzzle. Nach „sorgfältiger Abwägung“ habe der Verlag sich entschieden, alle Titel aus dem Programm zu nehmen, wird der Sprecher weiter zitiert.

Ravensburger sei „zu der Überzeugung gelangt, dass angesichts der geschichtlichen Wirklichkeit, der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, hier ein romantisierendes Bild mit vielen Klischees gezeichnet wird“. Der Stoff um Winnetou habe zwar „viele Menschen begeistert“, sei aber „weit entfernt von dem, wie es der indigenen Bevölkerung tatsächlich erging“.

Der Verlag wolle daher „keine verharmlosenden Klischees wiederholen und verbreiten“. Das negative Feedback habe gezeigt, dass „wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben“, hatte der Verlag auf Instagram erklärt. Das sei nie seine Absicht gewesen, betonte Ravensburger und entschuldigte sich „ausdrücklich“.

May-Archiv kritisiert „kriecherische Haltung“

Von einer „kriecherischen“ Haltung spricht Michael Petzel vom Göttinger Karl-May-Archiv in einem Brief des Vereins an die Geschäftsleitung des Ravensburger Verlags. Darin heißt es laut NDR weiter: „Wir möchten Ihnen den Vorschlag machen, uns die Bücher – bevor sie vernichtet werden – als Werbegaben für die Besucher unserer regelmäßigen Karl-May-Feste zu spenden. So könnte man sie noch einem guten und sinnvollen Zweck zuführen – für Menschen, die diese Bücher (und Karl Mays Haltung gegenüber den Indianern) zu schätzen wissen.“

Der Karl-May-Experte Andreas Brenne hält die Entscheidung des Verlages, das Buch vom Markt zu nehmen, für falsch. Es sei nicht richtig, „ein solches Buch nur aufgrund eines Shitstorms aus dem Verkehr zu ziehen“, sagte Brenne der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Der Verlag hätte sich zunächst von Experten für das Werk Karl Mays (1842-1912) und das Genre des Kinder- und Jugendbuches beraten lassen sollen.

Politik: falsche Entscheidung, gefährliche Entwicklung

In die Diskussion hat sich auch die Politik eingeschaltet. Karin Prien (CDU), Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, schrieb auf Twitter: „Eine bedauerliche und falsche Entscheidung, die Auslieferung des Winnetou-Buches zu stoppen. ,Verletzte Gefühle‘ machen kontroverse Debatten, nicht mehr und nicht weniger.“

Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der AfD, nennt die Entwicklung „nicht nur absurd, sondern auch gefährlich“. Generationen von Kindern und Jugendlichen seien mit Winnetou aufgewachsen, ohne davon Schaden zu nehmen. „Wichtige Werte“ seien vermittelt worden, die immer noch von großer Bedeutung seien. Den Kindern die Freude an den Geschichten zu nehmen, sei falsch:

„Wir leben in einer Zeit, in der sich ständig jemand durch irgendetwas diskriminiert fühlt und ununterbrochen Rücksicht auf alles und jeden genommen werden soll. Das zerstört unser Zusammenleben und führt zu einer kranken Gesellschaft, in der keiner mehr etwas sagt – aus Angst einen Fehler zu begehen. Wir sollten uns auf das Wesentliche im Zusammenleben, nämlich gegenseitigen Respekt und eine offene Diskussionskultur konzentrieren, anstatt ständig auf irgendetwas zu verzichten. Das wäre für unser Zusammensein deutlich konstruktiver“, ließ er auf der Internetseite der Partei verlauten.

Feuerfeste Bestseller gegen Welle der Verbannung

Möglicherweise schwappt mit der Verbannung des Winnetou-Buches aus dem Verlagssortiment von Ravensburger eine Welle der Zensur nach Europa, die in den USA schon länger grassiert und bereits Großbritannien erreicht hat.

Wie die österreichische Zeitung „Der Standard“ berichtet, verschwindet im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ bereits seit geraumer Zeit Weltliteratur aus den Regalen von Schulen und Universitäten.

Auch preisgekrönte Werke sind vor der Aussortierung nicht sicher. So sprach sich eine Schulbehörde im US-Bundesstaat Tennessee Anfang dieses Jahres dafür aus, den Comic „Maus“ von Art Spiegelman (74) aus den Klassen zu verbannen. Grund sei die „anstößige Sprache“ im 1992 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Werk des Nachfahren von Holocaust-Überlebenden. „Maus“ handelt von der Nazizeit und ihren Opfern.

Um auf die Zensur literarischer Werke aufmerksam zu machen, ließ die Autorin Margaret Atwood (82) im Juni eine feuerfeste Version ihres 1985 erschienen Bestsellers „Der Report der Magd“ versteigern.

Studenten „emotional belastet“

Themen wie Suizid oder Sklaverei fallen in Großbritannien mittlerweile reihenweise in Ungnade, wie der „Standard“ weiter berichtet. Dabei spielen Anerkennung und Auszeichnungen offenbar keine Rolle mehr. Ein Beispiel ist der Roman „Underground Railroad“ von Colson Whitehead. Die Universität Essex verbannte das Werk, für das der 1969 geborene Autor im Erscheinungsjahr 2016 den „National Book Award“ und ein Jahr später den Pulitzer-Preis erhielt, von den Leselisten. Begründet wurde die Maßnahme mit der „drastischen Darstellungen von Sklaverei“.

In den Kursen der Uni Sussex sucht man vergeblich nach Kursen, in denen das Stück „Fräulein Julie“ des Schweden August Strindberg (1849-1912) behandelt wird. Weil es das Thema Selbstmord thematisiert, sollen sich Studenten über die „emotionale Belastung“ beschwert haben. Die Lehreinrichtung gehört wie Essex zur Russell Group, die 23 Unis betreibt.

Klassismus-Vorwurf gegen Klassiker

Fast 425 Jahre nach seiner Premiere steht auch der „Sommernachtstraum“ von William Shakespeare (1564-1616) wegen des Vorwurfs der sozialen Diskriminierung (Klassismus) im Fadenkreuz von Kritikern der Uni Aberdeen.

Klassiker von Jane Austen (1775-1817), Charlotte Brontë (1816-1855) und Agatha Christie (1890-1976) sind ebenso betroffen wie traditionelle Märchen, denen wegen Grausamkeit an Tieren die Verbannung aus Bücherregalen droht.

Eine weitere Berichterstattung zum Thema ist für die Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe 60 geplant, die am Samstag, 3. September, erscheint.



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