Studie offenbart Endzeitstimmung in Deutschland

Psychologen warnen vor alarmierenden Entwicklungen. Von der Politik erwartet fast niemand mehr etwas.
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Keine Hoffnung mehr.Foto: iStock
Von 3. August 2023


Rückblickend betrachtet erscheint uns Corona vor dem Hintergrund der darauffolgenden Krisen ja beinahe nostalgisch-verklärt als eine Art „Wellness-Krise“. So sehen es die Verfasser einer Studie des rheingold Instituts, die sich mit den gesellschaftlichen Folgen der seit Anfang 2020 kaskadenartig über uns ausschüttenden Bedrohungen befasst haben. Auftraggeber der Studie war die Identity Foundation, eine gemeinnützige Stiftung für Philosophie aus Düsseldorf.

Erlebtes wird wie ein Trauma verdrängt

Eine Aufarbeitung der Pandemiejahre hat es bislang nicht gegeben – weder gesellschaftlich noch psychologisch. Dabei haben die Autorinnen und Autoren bei einer Umfrage von 1.000 Männern und Frauen herausgefunden, dass viele das Erlebte wie ein Trauma aus ihrem Gedächtnis schieben. Dabei ringen fast alle immer noch mit den Auswirkungen der Pandemie.

Festgefahren zwischen Klimawandel und Krieg ist ein Großteil der Bevölkerung mit Blick auf Politik und Gesellschaft desillusioniert und reagiert auf die gespürte Aussichtslosigkeit mit einer Flucht ins Private. Das sind die zentralen Erkenntnisse der tiefenpsychologischen Untersuchung.

Das Fazit ist insgesamt niederschmetternd: „Die Erkenntnisse der Studie kann man als dramatisch bezeichnen. Eine tiefe Resignation gegenüber der Politik und unseren Zukunftsmöglichkeiten, wie sie sich hier zeigt, bedroht unser nationales Zusammenleben. Wir sehen zu, wie ein ganzes Land vor der Wirklichkeit in Deckung geht, während sich die Verantwortlichen in der Berliner Politik in klein-klein verheddern“, fasst Paul J. Kohtes, Vorsitzender der Identity Foundation zusammen.

Suche nach Zuversicht im privaten Umfeld

Dass die Menschen von den Regierenden nichts mehr erwarten, zeigt sich in der Beantwortung der Frage, woher die Probanden ihre Zuversicht schöpfen. Die Politik spielt dabei quasi so gut wie keine Rolle mehr. Nur drei Prozent schöpfen aus ihr noch Zuversicht.

Am wichtigsten ist hingegen das private Umfeld. Familie, Freunde, Bekannte sind für 40 Prozent immens wichtig. Doch der Rückzug etwa der Hälfte der Bevölkerung in private Welten hat einen Preis, sagt der Psychologe, Studienleiter und Gründer des Rheingold Instituts, Stephan Grünewald. Denn er geht einher mit einer resignativen Haltung in Bezug auf die eigenen gesellschaftlichen Einwirkungsmöglichkeiten.

„Den Deutschen gelingt die Maximierung ihrer Zuversicht durch die Minimierung ihres Gesichtskreises.“ Auf der Strecke blieben durch diesen Umgang mit den Krisen „gesellschaftliche Verantwortungsübernahme wie auch eine konstruktive Gesprächskultur“, so Grünewalds Analyse.

Klimawandel spielt eine untergeordnete Rolle

Die Verengung der persönlichen Sicht manifestiere sich vor allem in einer weitgehenden Verdrängung der globalen Krisen. Den Krieg in der Ukraine, Klimawandel oder Migrationskrise blendeten die meisten Menschen in ihrem Alltag aus.

So gehöre für 57 Prozent der Deutschen der Klimawandel nicht zu den fünf wichtigsten Krisen. Bald jeder Zweite (44 Prozent) ist der Meinung, dass die Politik genug oder sogar zu viel für das Klima tue. „Das wirkt wie ein Vorhang der Verdrängung, der das private Leben zusehends von der öffentlichen Sphäre trennt.

Lediglich die für den persönlichen Alltag relevanten Themen wie Inflation, die Energiekrise oder die zunehmende Entzweiung der Gesellschaft kommen noch in die Wahrnehmung. Die Bereitschaft vieler Bürger, sich über die Nachrichtenlage zu informieren, lässt nach“, hat Grünewald beobachtet.

Politische oder gesellschaftliche Debatten werden vermieden, der Kontakt zu unbequemen Freunden und Bekannten abgebrochen.

Keine Aufbruchsstimmung in Sicht

So werde zwar eine hohe private Zuversicht möglich. Diese begleite jedoch ein „diffuses Grundgefühl der Bedrohung und Endzeitstimmung“. Die Deutschen befänden sich psychologisch betrachtet nicht in einer (visionären) Zeitenwende, „sondern in einer gedehnt wirkenden Nachspielzeit“.

Grünewald weiter: „Sie hoffen, dass die Verhältnisse, die sie kennen und schätzen, wenigstens noch eine gewisse Zeit fortbestehen.“ Eine von Ideen getragene Aufbruchsstimmung bleibe allerdings weitgehend aus. Der Fokus richte sich auf die Stabilisierung der eigenen Lebenswelt. Die meiste Angst hätten die Menschen daher vor einem persönlichen Autonomieverlust.

„Die am Beginn der Coronakrise und des Ukrainekrieges erlebten Ohnmachtsgefühle sollen sich nicht wiederholen. Die Angst vor dem sozialen Klimawandel und einer Spaltung der Gesellschaft ist bei vielen größer als die Angst vor dem ökologischen Klimawandel. 84 Prozent machen die Erfahrung zunehmender Aggressivität in ihrem Umfeld“, erläutert der Psychologe.

Düstere Zukunftsvisionen

Groß sei auch die Furcht vor einem Systemverlust. „Der einst so stolze Blick auf Deutschland weicht düsteren Zukunftsvisionen“, fährt Grünewald fort. Zwei Drittel fürchteten, dass wir unseren Lebensstandard nach unten werden korrigieren müssen.

Hingegen vertraue nur ein Drittel auf die Kraft, die wirtschaftlichen Verhältnisse im Lande wieder zu verbessern. Und nicht einmal jeder Fünfte könne sich vorstellen, dass sich das Gemeinschaftsgefühl in Deutschland und Europa künftig positiv entfalten wird.

Stimmungsbild hat sich seit 2021 weiter verschlechtert

Das rheingold Institut hatte schon 2021 versucht, ein Stimmungsbild der Gesellschaft in Krisenzeiten zu zeichnen. Während der Corona-Pandemie deutete sich schon damals an, wie sehr die verängstigte Bevölkerung ins Schneckenhaus drängt und das Vertrauen in Staat sowie Politik verliert, schreibt die „Welt“.

Dass die Pandemie mittlerweile überstanden ist, hat jedoch nicht zu einem Stimmungswandel beigetragen. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. 2021 hatten sich noch 41 Prozent optimistisch gezeigt, dass sich das „Miteinander in Deutschland“ positiv entwickeln werde. Aktuell sind es zehn Prozent weniger.

Zugleich glauben aber weiterhin – wie schon vor zwei Jahren – mehr als zwei Drittel, dass sich ihr eigenes Leben samt Familie, Wohnen, Arbeitsplatz und Freunden positiv entwickeln wird.

Viele hoffen auf einen „Messias“

Somit stelle sich die Frage, warum die optimistische Haltung dem eigenen Leben gegenüber so wenig in den öffentlichen und politischen Raum hinübergerettet werden kann. Die Forscher von Rheingold haben mehrere „Transformationshemmnisse“ entdeckt, dazu gehört etwa die „Erlösungshoffnung“: Ein „Messias“ – sei es in Form von moderner Technologie oder einer neuen Partei – werde die Probleme schon lösen.

Er werde bewirken, dass das bisherige Leben ohne großen Verzicht und Umstellungen weitergeführt werden kann. Auch der „Ablasshandel“ sei beliebt: Dabei werde die eigene Passivität durch Opferleistungen unterstützt. Dazu gehört zum Beispiel der Verzicht auf das Auto, Flugreisen oder Fleisch.

Doch halte all das die Menschen im Privaten gefangen. Für rheingold und die Identity Foundation ist das ein alarmierendes Signal. Die Krisenverdrängung führe, so Grünewald, fatalerweise auch dazu, dass eine Mehrheit für einen übergreifenden Wandel gar nicht mehr ansprechbar sei. „Auf der Strecke bleiben die Bereitschaft, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, ebenso wie eine konstruktive Gesprächskultur.“

 

 



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