Umfrage: Schulleitungen am Limit – großer Wechselwille
Viele Schulleiterinnen und Schulleiter fühlen sich einer Umfrage zufolge stark belastet, arbeiten mehr als 50 Wochenstunden – und jede vierte Kraft ist bereit, der eigenen Schule den Rücken zu kehren. Zu diesen Ergebnissen kommt der „Schulleitungsmonitor Deutschland“, den ein Forscherteam im Auftrag der Wübben Stiftung Bildung in Düsseldorf erstellt hat.
Rund 57 Prozent empfinden ihr Arbeitstempo demnach „oft“ oder „sehr oft“ als belastend. Das Vertrauen in die Bildungsadministration ist weiter gesunken, wie die Untersuchung auf Basis einer repräsentativen Forsa-Befragung von 1007 Schulleitungen in allen Bundesländern zeigt. Die Führungskräfte gelten als Schlüsselakteure im Schulsystem.
Verwaltungsaufgaben beanspruchten einen „signifikanten Anteil“ (29 Prozent) der Arbeitszeit von Schulleitern, sagte Bildungswissenschaftler Pierre Tulowitzki, einer der Studienautoren. Die Befragung an den allgemeinbildenden Schulen im Herbst 2022 ergab auch, dass vielfach kaum noch Raum für Schulentwicklung gesehen werde. Die große Mehrheit gibt an, in den vergangenen drei Monaten „oft“ oder „sehr oft“ länger gearbeitet zu haben als laut Vertrag (89 Prozent) und auch vielfach in der Freizeit erreichbar gewesen zu sein (78 Prozent).
Warten auf bessere Möglichkeiten
Rund jede vierte Führungskraft kann sich vorstellen, ihre Schule zu verlassen: Rund 19 Prozent gaben an, sie wollten so lange bleiben, bis sich „eine bessere Möglichkeit bietet“. Weitere 6 Prozent planen, aus ihrer Schule „so schnell wie möglich“ auszusteigen. Im Vergleich zu 2019 sei der Anteil der Wechselwilligen um zusammen 8 Prozentpunkte gestiegen. Zudem wies die Studie darauf hin, dass in den nächsten sechs Jahren mindestens ein Fünftel der Schulleitungen altersbedingt in den Ruhestand gehen werde. Das am häufigsten genannte Motiv für einen Wechselwillen sei mangelnde Unterstützung.
Ein Blick in den Schulalltag: Grundschulleiter Klaus Hagge aus Duisburg schilderte, er nehme seine Aufgabe sehr gerne wahr. „Aber es ärgert mich, dass wir nicht die Rahmenbedingungen haben, die wir brauchen. Ich habe volles Verständnis, wenn Kollegen sagen: Es reicht“. An seiner Schule im Stadtteil Marxloh lernen 372 Kinder, von denen 93 Prozent einen Migrationshintergrund haben. „Die Not an unserer Schule ist groß“, sagte Hagge der Deutschen Presse-Agentur. Vor allem beim Personal. Unter seinen 32 Lehrkräften seien 40 Prozent „nicht grundständig ausgebildet“, es handele sich vor allem um Lehramtsstudenten. „Wir sind völlig überlastet mit den vielen verschiedenen Anforderungen.“
Hohes Vertrauen in Mitarbeiter
Co-Autor Marcus Pietsch hob aber auch positive Befunde in der Studie hervor. Die Mehrheit habe ein gutes Vertrauensverhältnis zu den Mitarbeitenden, nehme die Lehrkräfte als kompetent und zuverlässig wahr. Ein Großteil der Leitungen versuche zudem, das Kollegium mitzunehmen, „um die Schulen fit für die Zukunft zu machen“.
Trotz Belastung gaben 82 Prozent an, dass sie Freude an ihrer Arbeit haben und sogar 92 Prozent sind eher froh oder sehr froh, an ihrer Schule zu arbeiten. Zugleich fühle sich aber rund ein Viertel der Befragten morgens „nicht fit und tatkräftig“. Das könne womöglich ein Indikator für Burnout sein, mahnte Pietsch. Die Bedingungen für die „eigentlich erfüllende“ Tätigkeit müssten verbessert werden.
Und wie sieht es mit der Ausbildung aus? Ein kleinerer Teil (12,5 Prozent) der Schulleitungen hat eine beruflich relevante Qualifizierung an einer Hochschule durchlaufen. 57 Prozent der Befragten hatten eine formale Qualifikation an einem Landesinstitut erworben. Zugespitzt müsse man sagen, dass etwa ein Drittel der Schulleitungen „engagierte Amateurinnen und Amateure sind“, meinte Tulowitzki. Für sie sei es „so viel schwerer“, sie müssten sich auch noch im Job autodidaktisch weiterbilden. Die Lage sei in den Bundesländern unterschiedlich, nicht überall sei eine formale Qualifizierung für den Führungsposten zwingend. Laut Studie nutzen viele Leitungen individuelle Möglichkeiten für ihre Fort- und Weiterbildung.
Leitungsfunktion? Nein danke
Der Wübben Stiftung zufolge gibt es immer weniger Menschen, die eine Schule leiten möchten. Statistiken über die Zahl der fehlenden Kräfte würden aber in fast keinem Bundesland erhoben. Vor allem Schulen in ländlichen Regionen, kleinere Schulen und Grundschulen seien betroffen, hieß es dazu vom Allgemeinen Schulleitungsverband. Sei der Chefposten vakant, werde üblicherweise kommissarisch eine Lehrkraft aus dem Kollegium benannt oder ein Konrektor oder eine Konrektorin, sagte die Verbandsvorsitzende Gudrun Wolters-Vogeler auf dpa-Anfrage. Manchmal müsse eine Person auch zwei Schulen leiten.
Drei Viertel der Befragten an der Schulspitze wünschen sich mehr Unterstützung von Schulbehörden oder -ministerien und zwei Drittel geben das in Bezug auf den Schulträger an. Aus Sicht des schleswig-holsteinischen Bildungsministeriums in Kiel geben einige Ergebnisse Anlass zur Sorge, sagte der dortige Abteilungsleiter für Schulaufsicht, Alexander Kraft, bei der Ergebnis-Präsentation. Schulleitungen müssten sich besser auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können.
Als Leiterin einer Düsseldorfer Realschule berichtete Sünke Rieken: „Ich laufe dem Tagesgeschäft eigentlich immer hinterher.“ Sie sei überrascht, dass so viele Schulleitungen bleiben wollten, denn sie höre immer wieder Klagen über Überlastung, Schlafstörungen, fehlende Zeit fürs Essen. Sie selbst wolle ihre „wertvolle Aufgabe“ fortführen, brauche aber mehr Personal, da sie neben vielen Verwaltungsaufgaben auch Hausmeister- und Sekretärinnenjobs übernehme und die Schule zudem etwa bei der Digitalisierung alleingelassen werde.
Auf Schulleiter Hagge aus Duisburg kommen im nächsten Schuljahr zehn unbesetzte Lehrerstellen zu. „Damit fehlen uns 280 bis 300 Wochenstunden Unterricht für die Kinder. Und das in einem sozialen Brennpunkt, wo man doch alles reinstecken müsste.“ Er brauche zudem dringend eine Verwaltungskraft für den Berg von administrativen Aufgaben, betont auch Hagge. „Meine Kollegen und Kolleginnen arbeiten im Grunde sehr gerne, sind aber absolut am Limit. Wir fangen alles irgendwie auf und die Kinder kommen mit Freude. Aber eigentlich ist das System kollabiert.“ (dpa)
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