Ziegenhirtin gibt Schlachtung auf: Jedes Tier will leben

Eine erfahrene Ziegenhirtin entscheidet sich, keine Tiere mehr zur Schlachtung zu geben. Ihr Interesse gilt einer neuen Beziehung zwischen Mensch und Tier.
Titelbild
Ziegenhirtin Elisabeth Sandach in ihrer Herde.Foto: H. Sauerbrey
Von 21. Oktober 2023

Elisabeth Sandach ist Hirtin. Ihre Herde mit 200 Ziegen steht auf der bayrischen Hochrhön, einem Mittelgebirge im Herzen Deutschlands. Mit ihren blitzblauen Augen und einem gewinnenden Lachen möchte man ihr stundenlang zu hören.

Sie erzählt vom Leben mit den Tieren, dem Draußensein, dem „Inmitten-allem-anderen-Sein“, wie sie es formuliert, und „das, was ich an Gedankenkonstrukten habe, wortlos zu fühlen.“ Ihre Hände zeugen von der harten Arbeit, die sie dafür verrichtet.

Um zur Ziegenherde zu kommen, müssen die Dörfer hinter uns gelassen werden. Wir passieren am Ortsausgang die Straße „Zu den Wolfsäckern“, dann führt die Straße steil nach oben ins UNESCO Biosphärenreservat.

Landschaftspflege betreibt sie hier mit ihren Ziegen. Denn deren Lieblingsspeise sind frische Triebe und Blätter. Auch vor dornentragenden Hecken wie Schwarzdorn, Weißdorn und Heckenrose schrecken sie nicht zurück, denn im oberen Gaumen tragen Ziegen keine Zähne, sondern eine Hornplatte, die sie mit stacheliger Nahrung gut klar kommen lässt. Zusätzlich fegen sie mit ihren Hörnern die Dornen weg.

Weitreichende Entscheidung

Die ersten zehn Jahre als eigenständige Ziegenhirtin, von 2001 bis 2011, habe sie auch noch für die Verpaarung gesorgt. „Für die Herdenhygiene ist es das Beste, aus der eigenen Herde heraus zu remontieren, das heißt die Verstorbenen nachzustellen durch junge“, erklärt Sandach in ihrer Fachsprache. Der andere Teil der Lämmer wurde zur Schlachtung verkauft. Doch dies tue sie bewusst nicht mehr.

„Von Herzen geliebt habe ich Tiere immer und sie dennoch für ihr Fleisch getötet, sei es als Jägerin oder als landwirtschaftliche Betriebsinhaberin. Ich durchlebte den Raum der Gemeinsamkeit mit ihnen, vollzog dann aber den Bruch, indem ich Leben nahm. Viele Jahre grenzte ich eine Wahrheit aus, das Gewahrsein des Bruches mit mir“, schreibt Elisabeth Sandach in einem Text, der ihre Entwicklung als Hirtin reflektiert. (Heimkehr in das Paradies, PDF)

So gespalten wurde sie krank. „Alles Nichtauthentische klebte gewichtig, energisch verlangten meine Lebensgeister nach Aufklärung.“

Hinzu kamen drei aufeinanderfolgende entsetzliche Erlebnisse mit zwei Metzgern und einem Schlachthof, die an Brutalität kaum zu überbieten waren. Ihr Körper wehrte sich, sie musste sich erbrechen, aber es brachte ihr die Klarheit für eine Entscheidung. Seither verzichtete sie jährlich auf rund 20.000 Euro Einnahmen. Und muss nicht mehr mitansehen, „wie die Lämmer auf einen der typischen Lkw mit Schlitzen geführt werden, mit dem Scheck in der Hand Tschüss zu sagen – und sich mit den verbleibenden Müttern zu trösten.“ Denn das habe sie zuvor jahrelang gemacht.

Im Dialog – das neue Mensch-Tier-Bündnis. Foto: H. Sauerbrey

Verantwortungsvolle Regentschaft

„Zumindest in meinem Umfeld bin ich in der Situation, das Töten von Tieren für den Profit zu beenden“, konstatiert die Hirtin. Dabei betont sie immer wieder, niemandem Vorwürfe machen zu wollen oder gar dem veganen Lebensstil einen Heiligenschein aufsetzen zu wollen.

Auch gehe es nicht darum, Mensch und Tier auf eine Stufe zu stellen. Vielmehr ist es die Verantwortung, die wir als Menschen tragen, mit der uns anvertrauten Schöpfung respektvoll umzugehen.

„Der verdichtende Moment war die Erkenntnis meiner Verantwortung als Mensch für diese Tiere. Weil ich die Verpaarung steuerte, waren sie hier“, erklärt sie. Doch sie seien als domestizierte Tiere auch nicht mehr in der freien Wildbahn überlebensfähig. Sie erzählt weiter: „In der Beziehung zu Tieren und gemeinhin zur Schöpfung durchlaufe ich in meinem Leben ein bisschen die Evolution des Menschen und bin weiter auf dem Weg.“

Ihrer Meinung nach habe die Menschheit heutzutage zu viele Nutztiere. Mittlerweile kommen, bezogen auf das Gewicht, auf ein Säugetier in freier Wildbahn 15 Nutztiere. Andere Studien kommen gar zu dem Schluss, dass 94 Prozent der Säugetiere inzwischen als Nutztiere leben. Also nicht um ihrer selbst willen atmen, sondern nur so lange, wie es für den Menschen rentabel ist.

„Ich bin nicht mehr Hirtin, die Tiere hütet zum Nutzen der Menschheit, wie sie noch ist. Vielmehr wandle ich mich zur Hirtin, die die Tiere behütet auf ihrem Lebensweg, ihnen den Frieden bringen will“, ist zu lesen in Sandachs Text.

So dient auch die betriebene Landschaftspflege vielmehr den Tieren selbst. Hier schafft Elisabeth Sandach einen Raum – materiell aber auch geistig –, in dem die Ziegen in Ruhe leben können. Ganz im ursprünglichen Sinne des guten Hirten, der behütet. Das beinhaltet auch, viele Nächte in traditioneller Weise bei der Herde zu wachen, wenn Wölfe ihr Unwesen treiben wie jüngst geschehen.

Neue Mensch-Tier-Beziehung

Seit der Entscheidung, kein Tier mehr zur Schlachtung zu geben, sind die meisten Ziegen aus dieser Zeit verstorben, dem natürlichen Lauf folgend. „Da muss ich oft sehr plötzlich alle anderen Arbeiten liegen lassen und absagen, um meinen Teil zum Abschied beizutragen. Es sind stille Momente der Verbundenheit und Heilung zwischen Mensch und Tier. Ein Frieden, der auch im Jenseits von der geistigen Welt als Zeichen des Friedens angenommen wird“, ist sich Elisabeth Sandach sicher.

Ihre Herde, wie sie jetzt da steht, besteht aus Ziegen, die sie aus anderen Höfen herauskauft. Diese Tiere waren für die Schlachtung bestimmt, leben jedoch hier auf der Rhön weiter.

Dieser Prozess des Eingliederns in die Herde ist nicht immer einfach. Es kostet die Hirtin viel Zeit und Aufmerksamkeit, soziale Rangordungskämpfe oder auch schlichtweg Mobbing unter den Ziegen zu befrieden.

„Es ist ein starkes Signal, wenn Menschen aus der traditionellen Landwirtschaft die Hände heben und vermitteln, dass sie nicht mehr hinter dem Konzept der Nutztierhaltung stehen“, schreibt Sandach. Es sei auch deshalb ein starkes Signal, da ihr Berufsfeld Traditionen mit Leben erfülle, der Gesellschaft Sicherheit und Kontinuität vermittle.

Ein gemeinsamer Prozess

Doch möchte Elisabeth Sandach Menschen aus der unternehmerischen Nutztierhaltung ermutigen, auf ihre innere Stimme zu hören, sollte sie nach Veränderung rufen. Denn die Kompetenz der Menschen, die bisher professionell mit Tieren gearbeitet haben, brauche es gerade.

„Die Höfe, die den Raum halten für ein neues Mensch-Tier-Bewusstsein, dürfen nicht allein gelassen werden mit der veränderten Arbeitssituation“, wünscht sich Elisabeth Sandach. Ein Tier, welches zu viel Aufwand an Zeit und Geld benötigt, wird üblicherweise dem Betrieb entnommen, sprich geschlachtet. Es wird an seiner Wirtschaftlichkeit gemessen.

In der neuen Situation, die Elisabeth Sandach bereits lebt, verbleibt es, wird umsorgt und die Beziehung gehalten. Ein Betrieb mit 300 Kühen oder 1.000 Schafen oder 500 Sauen könne dies nur leisten mit einer Gemeinschaft, die an der Entwicklung aktiv teilhaben will und dafür Verantwortung übernimmt, fasst die visionäre Hirtin zusammen.

Dass dieser Prozess nicht von heute auf morgen vonstattengeht, ist Elisabeth Sandach bewusst.

Elisabeth Sandach 2017 mit ihrer Herde auf der bayrischen Hochrhön. Foto: M. Möldner

Selbstfürsorge als Voraussetzung der Empathiefähigkeit

Auf die Frage, was denn jeder einzelne Mensch zu einer verantwortungsvollen Mensch-Schöpfung-Beziehung beitragen könne, antwortet Elisabeth Sandach: „Ich glaube, dass ganz viele Menschen sich erstmal um sich selbst kümmern und ihre eigenen Bedürfnisse gut erkennen müssen. Sie müssen lernen, diese von Bedürftigkeiten zu unterscheiden.“

Die Art und Weise, wie oft mit sich selbst umgegangen werde, schließe beinahe aus, sich auch noch um die Welt zu kümmern. Für sie sei es klar, dass Menschen in den westlichen Industrieländern, die gewohnt seien, acht Stunden und mehr in Betonbauten eingesperrt zu sein, kein besonderes Mitgefühl Tieren gegenüber entwicklen würden, die unter den gleichen Umständen leben.

Wichtig sei ihrer Meinung nach, dass ein anderes Handeln für jeden einzelnen aus einem inneren Bedürfnis entspringe, einem natürlichen Antrieb folge. Denn sonst sei es nur ein Getriebensein und Sich-schlecht-Fühlen nach dem Motto: „Ich habe schon wieder nicht richtig eingekauft, keine soziale Verantwortung gezeigt und bio ist es auch nicht.“ Und dieses Gefühl – falsch oder schlecht zu sein –, könne nicht zu einem fröhlichen, freundlichen, emphatischen Menschen führen.

„Alle Gedanken und Gefühle an Schuld erkenne ich als den Kleister, der mich am nächsten Schritt hinderte, mich im Alten verortet“, fügt Elisabet Sandach hinzu.

In-Verbindung-Sein

Die offensichtliche Freude, mit der Elisabeth Sandach zwischen ihren Ziegen steht, spricht dabei mehr als Tausend Worte. Nähert sie sich dem Zaun, kommen die Tiere ihr entgegengelaufen.

Mit der Beweidung für den Vertragsnaturschutz erhalte ich den finanziellen Rahmen des Mensch-Tier-Bündnisses. Den fehlenden Fleischerlös ersetze ich durch Waldarbeit, Bäume pflanzen und deren Pflege. Und manuelle oder maschinelle Einsätze im Naturschutz. Die Führung von Schulklassen und Erwachsenengruppen an die Herden tragen einen weiteren Teil dazu bei und ich kann die Idee vom Frieden zwischen Mensch und Schöpfung mit vielen Menschen diskutieren“, fächert Elisabeth Sandach ihr Arbeits- und Lebensmodell auf.

Tiere und alle Schöpfung diene dem Menschen, damit dieser sich in der Beziehung zu ihr entfalten kann. Das Höhere, der Mensch, sei dann dazu berufen, wiederum den Tieren und der Schöpfung zu dienen. Zum höchsten Wohle aller. Im Dienste aller.

Elisabeth Sandach: „Ich fühle Gott in allem Sein. Füge ich der Schöpfung Leid zu, füge ich es Gott zu.“

Verschiedene Rassen und individuelle Namen: ein Ausschnitt der Ziegenherde von Elisabeth Sandach. Foto: Silke Ohlert/ Epoch Times



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