Illegal: Diagnosen aufbauschen, um die Krankenkassen zu finanzieren
Wenn Ärzte ihren Patienten Depressionen, Herzerkrankungen oder andere Volkskrankheiten aus rein finanziellen Gründen diagnostizieren, ist das illegal: Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung hervor, über die die „Welt am Sonntag“ berichtet.
Genau das ist jedoch laut Kritikern wie dem Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, das Ziel vieler der sogenannten Betreuungsstrukturverträge zwischen Ärzten und Krankenkassen. Demnach entstehe aus den Diagnosen häufig kein weiterer erkennbarer Behandlungsaufwand für den Arzt.
Auch andere Tricks, die Krankenkassen offenbar anwenden, um ihre Patienten möglichst krank erscheinen zu lassen, sind demnach illegal: Externe Dienstleister zu beauftragen, die Patienten anrufen, damit diese zum Arzt gehen oder eigene Kassenangestellte, sogenannte Kodierberater, in die Arztpraxen zu schicken, und Diagnosen nachträglich zu ändern.
Viele Krankenkassen zahlen Boni dafür, Patienten Volkskrankheiten zu bescheinigen
Die Fraktion hatte die Anfrage an die Regierung nach einem Bericht der Zeitung im September gestellt. Demnach zahlen viele gesetzliche Krankenkassen niedergelassenen Ärzten über sogenannte Betreuungsstrukturverträge Boni dafür, dass diese den Patienten in ihren Praxen zusätzliche Diagnosen von Volkskrankheiten bescheinigen.
Es geht dabei um solche Krankheiten, die für einen gigantischen Umverteilungsmechanismus relevant sind.
Der sogenannte „morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich“ bewirkt, dass die Kassenbeiträge der gesetzlich Versicherten, gut 200 Milliarden Euro pro Jahr, abhängig davon verteilt werden, welche Kasse wie viele Kranke mit Diagnosen wie Diabetes, Arthrose, Depressionen oder Alkoholabhängigkeit versichert.
Für den finanziellen Strukturausgleich relevante Diagnosen steigen überproportional an
Das Bundesgesundheitsministerium betont nun in seiner Antwort, dass eine „differenzierte Bewertung“ der einzelnen Betreuungsstrukturverträge erfolgen müsse, um zu prüfen, ob diese tatsächlich dazu führen, dass die Patienten durch Diagnosen besser versorgt werden.
Aus der Antwort geht auch hervor, dass die Zahl der Diagnosen, die für den Strukturausgleich zwischen den Kassen relevant sind, deutlich gestiegen sind, seit es die umstrittenen Verträge gibt. Von 2013 bis 2015 legte die Zahl dieser Diagnosen demnach um 4,6 Prozent zu und damit um 53 Prozent stärker als der Durchschnitt aller Krankheiten.
„Offenbar treibt der Kassenwettbewerb nicht nur wenig patientenfreundliche, sondern auch kriminelle Blüten. Wenn Kassen und Ärzte zusammen vereinbaren, Mittel der Solidargemeinschaft zu verschwenden, ist das für mich eine Form der Korruption“, sagte der Sprecher für Krankenhauspolitik und Gesundheitsökonomie der Linken-Bundestagsfraktion, Harald Weinberg.
Die Aufsichtsbehörden seien den bekannten Praktiken bisher „sehr unzureichend nachgegangen“. (dts)
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