Corona: Lauterbach drückte Angstkampagne in Expertenrat durch – Evaluation unterblieb

Minister Lauterbach hat seinen Einfluss im Corona-Expertenrat geltend gemacht, um eine Angstkampagne zu Long COVID durchzusetzen. Außerdem gehörte er zu jenen Akteuren, die eine kritische Aufarbeitung der Arbeit verhinderten. Eine Analyse.
Warnung vor Hitzewellen und Ausbau der Schutzmaßnahmen
Gesundheitsminister Karl Lauterbach spricht auf einer Pressekonferenz.Foto: Fabian Sommer/dpa
Von 30. August 2023


Noch Ende August 2022, als längst ein Ende aller noch verbliebenen Corona-Maßnahmen im Raum stand, hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für einen „Furchtappell“ plädiert. Im Corona-Expertenrat der Bundesregierung forderte er, Jugendliche und junge Erwachsene auf diesem Wege für Long COVID zu sensibilisieren.

Lauterbach gehörte zudem zu den Verhinderern einer kritischen Evaluation der Arbeit des Expertenrats. Allerdings war er damit nicht allein: Am Ende lehnten acht von zehn Mitgliedern des Gremiums, die sich dazu äußerten, ein zuvor entworfenes „Lessons Learned“-Papier ab. In der letzten Sitzung des Expertenrats am 4. April 2023 verzichtete dieser explizit auf eine solche Stellungnahme.

Begründet hatten Lauterbach und das Gremium die Entscheidung damit, dass für eine solche Bilanz die Zeit noch nicht reif sei. In einer Äußerung dazu hieß es, dass „die umfassende wissenschaftliche Bewertung innerhalb kurzer Zeit und mit den Ressourcen des Gremiums nicht möglich erscheint“.

Lauterbach setzte sich über kritische Stimmen im Expertenrat hinweg

Die „Welt“ hat Protokolle aus dem Bundeskanzleramt publiziert, die dokumentieren, wie Lauterbach den Expertenrat regelmäßig in seine Richtung lenkte. So hatte es in der Sitzung vom 29. August 2022 mehrfach Widerspruch gegen die geplante Kampagne des Ministers zur „Sensibilisierung“ junger Menschen gegeben.

Die Rede war von einem „Furchtappell“. Zwar seien alle Mitglieder des Expertenrats der Überzeugung gewesen, es sei notwendig, auch jüngere Menschen auf Gefahren durch Long COVID hinzuweisen. Die Art und Weise, wie Lauterbach dies kommuniziert habe, sei jedoch nicht konsensfähig gewesen.

Dennoch präsentierte der Minister nur wenige Wochen später die Kampagne „Ich schütze mich“. Die Autorin Margarete Stokowski und 83 weitere Betroffene äußerten sich darin zu ihren Erfahrungen mit Long COVID. Die Mitwirkenden appellieren an die Bevölkerung, den eigenen Impfschutz zu überprüfen, Maske zu tragen und aufeinander Rücksicht zu nehmen. Ziel der Kampagne sei es, so Lauterbach, zu verdeutlichen, dass die Pandemie „nicht nur Statistik, sondern vielmehr eine Summe von Einzelschicksalen“ sei.

Immunologe: Wirkungspotenziale der Impfung überschätzt

Gegenüber der „Welt“ äußerte sich Charité-Immunologe Andreas Radbruch kritisch zu der Kampagne. Er wies darauf hin, dass eine vierte Impfung für Heranwachsende nicht zwingend erforderlich sei. Immerhin seien fast 90 Prozent davon durch bereits erfolgte Impfungen geschützt, mindestens 50 Prozent zudem durch eine überstandene Infektion.

Außerdem schütze eine Impfung zwar regelmäßig vor schweren Verläufen einer Corona-Erkrankung, eine Ansteckung selbst verhindere sie jedoch nur begrenzt. Eine vierte Impfung entfalte kaum noch Wirkung, so Radbruch. Eher noch bestehe die Gefahr, dass „das Immunsystem sich an den Impfstoff gewöhnt und es eine erneute Immunantwort verhindert“.

Lauterbach zeigte wenig Interesse an „Lessons learned“

Der Expertenrat der Ampelkoalition bestand aus 19 Personen. Zu den bekanntesten gehörten die Virologen Christian Drosten und Hendrik Streeck sowie RKI-Präsident Lothar Wieler. Ein Jahr lang erörterten die Mitglieder auch, welche Bilanz sich aus der Arbeit der Kommission und aus der Corona-Politik der Bundesregierung ziehen lasse.

Ziel war es, einen kritischen „Lessons Learned“-Bericht zu erarbeiten, und schon im Mai 2022 soll es dazu bereits einen Entwurf gegeben haben. Zu einer Veröffentlichung kam es jedoch nicht. Beteiligte sprachen von einer „begrenzten zeitlichen Kapazität“. Sie erklärten, mit dem „vorhandenen Personalkörper“ sei „eine umfassende Lessons Learned Evaluation kaum möglich“.

Im Jahr 2023 gab es zudem noch einen Anlauf, um zumindest eine abgespeckte Variante eines solchen Berichts zu liefern. Es sollte zumindest zu einer Stellungnahme kommen, die „zentrale Stellschrauben in der Pandemiebekämpfung benennt“. Zu den treibenden Kräften gehörte Lauterbach nicht einmal in diesem Kontext.

Soziale Folgen der Corona-Maßnahmen wollte man gar nicht erst erörtern

Bis März sollte es zumindest eine „Checkliste aus den wichtigsten Entwicklungsschritten im Pandemieverlauf“ geben. Damit wollte man die „gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Pandemie befruchten“ und auf die Wichtigkeit bestimmter Faktoren hinweisen. Zu diesen zählte man unter anderem eine „fokussierte Test- und Impfstoffentwicklung“ oder eine „frühe gesellschaftliche Impfbereitschaft“.

Kritische Themen wie Schulschließungen, Einschränkungen von Grundrechten oder Maskenpflichten für Kinder hätte man von vornherein ausgespart. Stattdessen vermerkten Protokolle Klagen über eine „sehr subjektiv und oft stark verzerrt“ anmutende Wahrnehmung der Corona-Politik in der Öffentlichkeit. Diese sei häufig vom Impfstatus abhängig und offenbare „Aggressionspotenzial“.

Am Ende sprachen sich acht gegen zwei Mitglieder des Expertenrats bei einer Abstimmung gegen eine „Lessons learned“-Stellungnahme aus. Die übrigen äußerten sich gar nicht erst dazu. Für das Lauterbach-Ministerium sind die Lehren aus der Pandemie ohnehin längst gezogen. Gegenüber der „Welt“ verweist man auf eine verbesserte Früherkennung und digitalisierte Meldewege.
Außerdem habe man die Produktionskapazitäten für Impfstoffe aufgestockt und eine Long-COVID-Kampagne gestartet.



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