Die neue Nies-Etikette
Der Druck hinter den Augen steigt, das Kribbeln in der Nase nimmt zu und breitet sich über die Oberlippe, die zu zittern beginnt, nach vorne aus, die Augen schließen sich während noch versucht wird die Lippen geschlossen zu halten, der Kopf legt sich immer weiter in den Nacken als würde er Anlauf nehmen. Und dann? Dann ist es soweit: Ein befreiendes Niesen wird mit bis zu 160 km/h Geschwindigkeit meist ungewollt der Umgebung präsentiert.
Und was geschah noch? Fast reflexartig, weil über Jahrzehnte von Kindheit an zwingend antrainiert und zumindest bei uns als Höflichkeit verkauft zuckt die Hand vor die Nase und ist dann ganz schön nass bis klitschig, wenn sie in den Tiefen der Taschen verzweifelt nach einem Papiertaschentuch sucht. Ziemlich unappetitlich – aber gut gelernt – über die Jahre andressiert sozusagen.
Gewohnheit ändern?
In Zeiten der Schweinegrippe, bei der auch in Deutschland mehrere Schulen geschlossen wurden, wird nun auch immer mehr gemahnt, das „Richtige Niesen“ zu lernen oder zumindest immer Papiertaschentücher dabei zu haben und sie auch hinterher wegzuwerfen. Und noch viel wichtiger, sich bei allen Gelegenheiten die Hände zu waschen und zwar gründlich und mit Seife.
Wirkliches Niesen hat auch etwas Befreiendes, einen kleinen lustvollen Moment, den manche nicht missen möchten und deshalb prustend ihren Ausbruch genießen. In diesen heiklen Zeiten nur etwas für’s stille Kämmerlein.
Richtig Niesen, aber wie?
Die Empfehlungen der Gesundheitsbehörden sind einfach zu befolgen, und je früher man zu üben beginnt, umso eher kann man eine neue Gewohnheit schaffen. Wichtig ist immer noch, dass wenn man die ersten Anzeichen des Niesreflexes spürt, man daran denkt: „Hoppla, da war doch was!“ Und dann eben in den Ellenbogen, in den Mantelkragen oder in ein Schnupftuch niest und niemandem die Hand gibt.
Händeschütteln muss ein Tabu werden, und die Achtsamkeit vor Türklinken in Toiletten, an Haustüren, Telefonen, Bus und Bahn. Die Folge muss immer sein, dass man sich eben ausgiebig die Hände wäscht oder zumindest Einwegtücher dabei hat, was das Händewaschen aber nicht ersetzt. Besonders wichtig, dieses Verhalten den Kindern und den Leuten in der Umgebung beizubringen, denn vielen fehlt einfach nicht nur die Information sondern auch das Gespür für die Wichtigkeit, diese Gewohnheiten neu zu schaffen.
Richtig Niesen, aber warum?
Wir wollen uns ja schützen, das ist normal. Da könnte man ja auch erst mal auf den sichtbaren Atemschutz kommen. Dass diese Masken kaum wirken, das hat man zwar schon gehört, aber warum gäbe es sie sonst? Und die Bilder aus Japan und China mit den vielen vorzugsweise jungen Menschen im Gedränge mit diesen Masken, das muss ja Gründe haben, oder? Ja, sicher hat das einen Grund: Angst.
Die Vernunft und manchmal auch unser Herz sagen uns, dass wir keine Einsiedler sind und uns nur so gut schützen können, wie wir auch andere schützen und die wiederum uns – das Modell einer „funktionierende Gesellschaft“.
Das bedeutet mit gutem Beispiel voran gehen und „richtig“ niesen, husten, schnäuzen und spucken, damit die Ausbreitung der Viren besser verhindert werden kann. Denn wer hat schon so einen ausgeprägten Hygienewunsch, sich ständig nach dem Griff zur Türklinke oder einem Handschlag unter Kollegen die Hände zu waschen? Und wer weiß schon, ob derjenige sich nach dem Niesen die Hände gewaschen hatte, dem man gerade die Hand schüttelt. Interessant sind da eben auch Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser mit ihren Besuchern. Zumindest können wir uns bemühen.
Andere Länder, andere Sitten
Niesen ist ja etwas ganz ursprüngliches, ein tief sitzender Reflex, der genau wie das Gähnen schwer zu stoppen ist. Es gibt bei jedem Niesen einen kleinen Augenblick, über den der bewusste Mensch keine Kontrolle hat und der deshalb als gefährlich erscheint. Zeigt er etwa eine anschleichende Erkältung? Deswegen haben die Menschen Rituale erschaffen, die Segenswünsche oder magisches Denken beinhalten wie „Gesundheit“ oder „Bless you“, wofür sich der Niesende laut zu bedanken hat oder schüchtern unter sich blickt.
Vor Jahren und je nach Region war es auch üblich zu unterstellen, dass Niesen etwas Ausgesprochenes oder Gedachtes unbewusst bestätigt, eine frühe Variante eines Lügendetektors und ein eindeutiger Fall von magischem Denken. Der Hörer sagte dann: „Hülf Gott, dass es wahr ist!“. Auch wenn kein Gespräch stattgefunden hatte, sagte man in der Vorstellung, dass der Mensch denken muss solange er lebt: „Ja was denn?“ mit der ebenso symbolischen wie scherzhaften Antwort: „Was ich von dir gedacht habe.“
In diesem Sinne ähnlich ist es in Ostasien üblich zu unterstellen, dass an einem anderen Ort gerade jemand an den Niesenden denkt oder über ihn spricht. In China bedeutet die Ritualformel etwas Ähnliches wie „Jemand denkt an dich“ oder „Jemand vermisst dich“ (yǒu rén xiǎng nǐ – 有人想你). Ob im guten oder schlechten Sinne, bleibt offen, genauso ein offenes Feld für humorvolle Scherze wie überall sonst auf der Welt.
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