Hirnforscher: „Weil so viele Menschen lieblos mit sich selbst umgehen, werden so viele von ihnen krank“
Maskenpflicht, Corona-Test, Abstandhalten. Die vergangenen Monate haben vor allem Familien stark in ihrem Alltag und der Beziehung eingeschränkt. Kinder durften sich nicht mehr mit Freunden in der Schule treffen und mussten zu Hause ihre Schulaufgaben erledigen. Eltern haben sie dabei – je nach ihren Möglichkeiten – mehr oder weniger unterstützt. Um wieder ein lebenswertes Leben zu gelangen, bedarf es einem inneren Wandel vom „Spalierobst“, zu dem wir herangezogen wurden, hin zu einem selbstbestimmten Wesen, das sein Leben aktiv gestaltet, erklärt der Hirnforscher Professor Dr. Gerald Hüther. Doch wo fängt man da an?
„Stellen Sie sich vor, Sie sind jetzt die Eltern von so einem gebeutelten Kind, das versucht, es allen recht zu machen, das im Homeschooling zu Hause den ganzen Tag herumhockt und schon die Lust auf alles verloren hat“, schildert Hüther. Da könne es leicht vorkommen, dass auch Eltern leicht die Geduld verlieren und die „Schnauze voll“ haben.
Als Erwachsener kann man in einer solchen Situation ein klein wenig liebevoller zu sich selbst sein. „Einfach mal ab jetzt nichts mehr machen, was einem nicht guttut“, schlägt der Hirnforscher vor. Er lädt die Menschen ein, mehr Achtsamkeit zu üben – keine Dinge mehr essen, die einem nicht guttun; sich nicht an Orten aufhalten, die einem nicht guttun und auch kein schlechtes Gewissen mehr zu erzeugen.
Eigene Erkenntnis führt zu Wandel
Hüther erklärt das am Beispiel eines billigen Steaks, „über das ich mich früher immer gefreut habe, weil es so kostengünstig und das Preis-Leistungs-Verhältnis so toll war“. Dabei wisse man, wie die Schweine gehalten wurden, die zu einem solchen billigen Steak verarbeitet wurden. „Das schmeckt mir nicht, das tut mir nicht gut. Ich mag nichts essen mit schlechtem Gewissen.“ Wer zu einer derartigen Erkenntnis komme, könne sich dazu entscheiden, so etwas zukünftig nicht mehr zu essen.
Hüther geht allerdings noch einen Schritt weiter, in Richtung Medienfasten. „Bescheuerte Diskussionen, wo die dauernd dasselbe sagen“ und „eine Expertenrunde nach der anderen“ tun nicht gut. „Ich guck mir auch im Fernsehen diesen ganzen Schrott nicht mehr an“, sagt der Hirnforscher und empfiehlt: „Abschalten! So, dann habe ich plötzlich Zeit.“
Diese gewonnene Zeit kann man auf vielfältige Weise gestalten. Dann könne man sich dem Partner oder der Partnerin widmen und mit ihm/ihr durchs Wohnzimmer tanzen, Musik hören oder sich etwas anderes Gutes tun. „Und am Ende werden wir sagen: Wow, was sind wir für Helden!“
Wer das tut, wird bemerken, dass er sein Leben selbst gestaltet. Dann findet man das tiefe Grundbedürfnis wieder, das man einmal hatte, bevor man zum „Spalierobst“ gezogen wurde. „Selbst wenn ich irgendwo angebunden bin, mach ich das dann nicht mehr mit,“ erklärt Hüther.
Tagsüber lasse ich mich anbinden, aber abends und in meiner Freizeit und wenn mal gerade Corona nicht angesagt ist, dann mach ich doch, was ich will.“
Sogar in einer Gefängniszelle könne sich ein Häftling entscheiden, ob er seinen Kopf gegen die Wand knallt oder sich auf seine Pritsche setzt und darüber nachdenkt, was ihm guttut. „Selbst im Knast kann man sich seine Freiheit wieder beschaffen, obwohl man gefangen ist.“
Eine andere Betrachtungsweise auf die Pest
„Krank werden wir nicht davon, dass uns von außen etwas Krankmachendes überfällt oder ereilt. Krank werden wir deshalb, weil wir das, was uns krank macht, für etwas halten, das uns glücklich machen soll“, erklärt der Hirnforscher in seinem neuen Buch „Lieblosigkeit macht krank“.
Im Mittelalter gab es die Pest, heute gibt es chronische körperliche und psychische Erkrankungen. Diese Krankheiten entstehen laut Hüther dadurch, dass zu viele Menschen Freude, Lebendigkeit und alle spielerische Leichtigkeit nachhaltig und über viele Jahre hinweg unterdrücken – „um so perfekt wie möglich zu funktionieren“, sei es in der Schule, im Beruf oder im Privatleben. „Weil so viele Menschen lieblos mit sich selbst umgehen, werden so viele von ihnen krank.“
Der Autor nennt die katastrophalen, unhygienischen Verhältnisse in den Städten des Mittelalters als Ursache für die Pest. Sie seien ein idealer Nährboden, auf denen sich Ratten ungehindert ausbreiten und prächtig gedeihen konnten.
Weil die religiösen Anführer damals meinten, Katzen seien Verbündete des Teufels, wurden diese natürlichen Rattenbekämpfer nun auch noch massenhaft umgebracht“, schildert er.
Auch die Hausbewohner haben sich nicht darum gekümmert, ihre Behausungen von Ungeziefer freihalten – „weil ihnen etwas anderes viel wichtiger war: den Reichen all das, wovon sie glaubten, dass es sie mehr glücklich macht, und den Armen die Vorstellung, in diesen mittelalterlichen Städten besser und glücklicher leben zu können als in den Dörfern, aus denen sie kamen.“
„Krank werden wir deshalb, weil wir unser Leben nach Vorstellungen gestalten, die uns krank machen“, so Hüther. Um gesund zu bleiben, müsse man sich also von diesen Vorstellungen befreien. Dazu muss man in sich etwas finden, dass bedeutend wichtiger und anziehender ist als all die bisher „verfolgten, verwirklichten und krankmachenden Vorstellungen“ – Liebe.
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