Masernimpfpflicht auf dem Prüfstand

Eine Impfung ist eine unabänderliche Entscheidung und damit ein unumkehrbarer Eingriff in die körperliche Integrität. Daran lässt das Oberverwaltungsgericht Magdeburg keinen Zweifel. Im Fall einer schwerkranken Schülerin sah das Gericht mit Verweis auf die minimalen Masernfälle keine Notwendigkeit dafür, dass sich das Mädchen gegen Masern impfen lassen muss.
Titelbild
Bei einer Masernimpfung wird immer ein Kombipräparat verabreicht.Foto: Astrid860/iStock
Von 10. November 2021

In Magdeburg hat das Oberverwaltungsgericht eine Grundsatzentscheidung zum sogenannten Masernschutzgesetz erlassen, die einige Eltern Hoffnung schöpfen lässt. Dabei bezog das Gericht auch die hohe Impfquote und die geringen Masernfälle in seine Entscheidung mit ein.

Seit dem 1. März 2020 gilt in Deutschland die Masernimpfpflicht für bestimmte Personengruppen. Wer Masern-Antikörper durch einen Labortest nachweisen kann, muss sich jedoch nicht impfen lassen. Eltern, die einen entsprechenden Nachweis nicht für ihre Kinder erbringen können, wird eine Aufnahme in die Kinderbetreuung verwehrt. Da es keinen einzelnen Masernimpfstoff gibt, greifen Ärzte auf einen Kombi-Impfstoff gegen Masern-Mumps-Röteln oder Masern-Mumps-Röteln-Windpocken zurück.

Im Fall eines achtjährigen schwer kranken Mädchens aus Magdeburg, die einen Immunitätsnachweis erbringen sollte, können die Eltern jetzt aufatmen. Die Eltern lehnten eine Zwangsimpfung ihrer Tochter ab. Aufgrund der bestehenden Schulpflicht war es den Eltern nicht möglich, das Kind einfach nicht mehr zur Schule zu schicken, um den Nachweis zum Masernschutz zu umgehen. Die Behörde schickte nur dem Vater den Bescheid, wonach das Kind einen Impfnachweis erbringen beziehungsweise sich impfen lassen müsse. Bei Weigerung wurden 2.000 Euro Zwangsgeld angedroht; ersatzweise war von Zwangshaft die Rede. Die Mutter erhielt eine solche Aufforderung nicht. Die Korrespondenz wurde nur über den Vater geführt.

Die Eltern des Mädchens legten beide gegen den Bescheid des Gesundheitsamtes Widerspruch ein und beantragten einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Magdeburg. Für das Mädchen wurde ein Nachweis über vorhandene Masern-Antikörper vorgelegt, der von der Behörde bestritten wurde. Dem erstinstanzlichen Gericht reichte dieser Nachweis aus, sodass es den Eltern recht gab. Auf die von ihrem Rechtsanwalt, Dr. Uwe Lipinski, vorgetragenen verfassungsrechtlichen Einwände gegen das Masernschutzgesetz ging das Gericht nicht näher ein.

Die Landeshauptstadt Magdeburg legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein, die nun in einer aktuellen Rechtsprechung vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Magdeburg zurückgewiesen wurde. Nach Aussage des Anwalts der Familie dürfte diese Entscheidung auch für Regionen außerhalb des Landes Sachsen-Anhalt bedeutsam sein.

Hohe Impfquoten vs. Impfpflicht

Bevor die Masernimpfpflicht in Deutschland zum 1. März 2020 eingeführt wurde, lagen die Impfquoten für die Erst- und Zweitimpfung bereits bei über 90 Prozent.

Impfquoten für die erste und zweite Masern- und Rötelnimpfung bei 4–7‑jährigen Kindern in den bundesweiten Schuleingangsuntersuchungen 1998 bis 2018 (in Klammern die Impfquote der zweiten MMR-Impfung), Screenshot RKI

Das OVG sah kein besonderes öffentliches Interesse, dass sich das schwerkranke Mädchen sofort impfen lassen muss, da damit erhebliche Einschränkungen seiner Rechte einhergehen. Eine Impfung lasse sich auch nicht rückgängig machen. Eine sofortige Vollziehung der Aufforderung, einen Nachweis bezüglich einer Masernimmunität vorzulegen, stelle einen Eingriff in das durch Artikel 6 II 1 Grundgesetz geschützte Elternrecht sowie den Schutz der körperlichen Unversehrtheit dar. Wenn sich das betroffene Mädchen nun zum Zwecke des Nachweises die als „ausreichenden Impfschutz gegen Masern angesehenen zwei Schutzimpfungen“ verabreichen lassen würde, ließe sich dieser Grundrechtseingriff im Fall eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren nicht wieder rückgängig machen.

Das Gericht konnte auch nicht erkennen, dass die mit dem sogenannten Masernschutzgesetz verfolgten Ziele ernsthaft gefährdet sind. „Vielmehr trägt die Antragsgegnerin [Behörde] im Beschwerdeverfahren selbst vor, dass Masernerkrankungen in den letzten Jahren aufgrund der hohen lmpfquoten in Sachsen-Anhalt fast gar nicht mehr aufgetreten seien“, heißt es vom Gericht weiter. Damit sei auch die von der Behörde vorgetragene „Gefährdung anderer Personen“, wenn die Schülerin sich nicht impfen lasse, pauschal und könne bei gegenwärtiger Betrachtung „die unumkehrbaren Folgen für die nicht minder gewichtigen Grundrechtspositionen“ des Mädchens bei einer Impfung nicht rechtfertigen.

Im Jahr 2020 gab es laut Robert Koch-Institut in ganz Deutschland lediglich 76 Masernfälle, davon waren acht Personen gegen Masern geimpft. Todesfälle wurden nicht gemeldet.

Bundesland Masernfälle 2020
BW 23
Bayern 12
Berlin 3
Brandenburg 0
Bremen 0
Hamburg 0
Hessen 9
MV 0
Niedersachsen 1
NRW 20
Rheinland-Pfalz 6
Saarland 2
Sachsen 0
Sachsen-Anhalt 0
SH 0
Thüringen 0
Gesamt 76

Masernschutzgericht infrage gestellt

Der Rechtsanwalt der betroffenen Familie begrüßte die Entscheidung des OVG. Nicht nur, dass ein Eilrechtsschutzantrag hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Zu Recht habe das Gericht auch die Unumkehrbarkeit einer durchgeführten Impfung betont und darauf hingewiesen, dass es gerade in Sachsen-Anhalt keine messbare Anzahl von Maserninfektionen gibt beziehungsweise gegeben habe.

„Damit wird der eigentliche Grund für das sogenannte Masernschutzgesetz zu Recht infrage gestellt“, so Lipinski. Denn wenn es keine nennenswerte Anzahl von Maserninfektionen gab und gibt, sei auch niemand konkret und in erheblichem Maße gefährdet – auch nicht diejenigen sehr wenigen Personen, die sich aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht impfen lassen können.

Das einzig Bedauerliche an der OVG-Entscheidung sei, dass sich das Gericht nicht zu der entscheidenden Frage der formellen oder materiellen Verfassungswidrigkeit des sogenannten Masernschutzgesetzes geäußert habe, so Lipinski. Eine diesbezügliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht hier noch aus.

Der Heidelberger Jurist hofft, dass sich auch andere Obergerichte der Auffassung des OVG Magdeburg anschließen. Eltern schulpflichtiger Kinder, die von der Gesundheitsbehörde aufgefordert werden, ihre schulpflichtigen Kinder zwangsimpfen zu lassen, rät der Jurist, einen Widerspruch gegen die Anordnung einzulegen. Nach Mitteilung des OVG ist zudem ein Bescheid, der nur einem Elternteil zugestellt wird, formell rechtswidrig und nicht vollziehbar. Eine Entscheidung über eine Impfung ist derart wesentlich, dass nicht ein Elternteil allein darüber entscheiden dürfe. Auch vor einem einstweiligen Rechtsschutzantrag bei Gericht sollten sich die Eltern nicht scheuen.

Eine „Übergangsfrist“, mit der im Jahr 2020 bereits eingeschulte Kinder eine Masernimmunität nachweisen müssen, wurde zunächst bis zum 31. Dezember 2021 verlängert. Eine weitere Verlängerung wurde von den Bundesländern angeschoben.



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