Meditationsforschung im Aufwind

Die Epoch Times sprach mit Prof. Dr. Dieter Vaitl auf dem Kongress für „Meditation & Wissenschaft 2010“ unter dem Motto „Neue Perspektiven für unser Wissen über uns selbst“. Es herrschte Aufbruchstimmung, denn für die Forschung auf diesem Gebiet wird die EU in den nächsten Jahren umfangreiche Mittel zur Verfügung stellen. Ein Glück nicht nur für den bis dato vernachlässigten Forschungsbereich, sondern ebenso für unsere stressgeplagte Gesellschaft in Europa.
Titelbild
Prof. Dr. Dieter Vaitl ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates des Kongresses und Direktor des Bender Instituts für Neuro-Bildgebung der Universität Gießen.Foto: Jason Wang/The Epoch Times
Epoch Times23. Februar 2011

Epoch Times: Ich erfuhr von Ihrer langjährigen Meditationserfahrung. Welche Erlebnisse haben Sie dabei persönlich gemacht?

Prof. Vaitl: Ich begann mit der transzendentalen Meditation. Dann entwickelte ich eine Kombination aus den beiden Oberstufenübungen des Autogenen Trainings und den Übungen der Selbsthypnose. Alle diese Verfahren der Entspannung und Selbstbeeinflussung habe ich beim Lehren vertreten und auch selbst persönlich angewandt.

Epoch Times: Üben Sie diese Verfahren täglich?

Prof. Vaitl: Nein, das mache ich nicht jeden Tag – je nachdem: bei Stresssituationen zum Beispiel nutze ich dies, um mich etwas herunterzufahren. Ich verwende es sozusagen situationsabhängig, wenn ich es brauche. Dazu ist dieses Verfahren auch angelegt. Anders ist es in der eigenen Phase des Lernens, da muss man das täglich üben.

Epoch Times: Wann haben Sie mit Meditation begonnen?

Prof. Vaitl: Das kann ich gar nicht mehr genau sagen. Es war in den Siebzigerjahren, als die transzendentale Meditation aufkam; dann kam das Autogene Training hinzu und dann die anderen Verfahren, danach habe ich pausiert. Nun meditiere ich nur noch gelegentlich.

Epoch Times: Als Leiter des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) in Freiburg und des wissenschaftlichen Beirates haben Sie wahrscheinlich einen stressigen Tagesablauf. Sie wirken allerdings ganz gelassen. Hat das etwas mit der Meditation zu tun?

Prof. Vaitl: Nein. Das hat vermutlich weniger mit der Meditation zu tun als mit einer guten Tagesorganisation und mit meinem sehr guten kooperativen und kollegialen Umfeld. Da hatte ich vermutlich immer mehr Momente der Freude beim Kontakt mit den anderen, als dass ich mich da in die Meditation zurückziehen und mit mir selbst beschäftigen wollte. Ich bin sozusagen mehr in Kontakt mit anderen Leuten als in mir drin.

Epoch Times: Es ist selten, einen so ausgewiesenen Experten im Gespräch zu haben, deshalb bitte ich Sie um eine Definition des Begriffes Meditation – was bedeutet Meditation?

Prof. Vaitl: Der Begriff ist sehr, sehr schillernd. Ursprünglich aus dem Lateinischen übersetzt bedeutet es „in die Mitte kommen“. Diese Übersetzung ist schon ganz brauchbar – man kommt dabei sozusagen in die eigene Mitte. Allerdings ist es heute ein sehr ambivalenter Begriff geworden, bei dem man alles, was zum Beispiel mit mentalem Training oder Achtsamkeit zusammenhängt, gleich als Meditation bezeichnet. Wenn ich die Meditationspraktiken aus dem fernen Osten betrachte, so sind diese dort Lebensschulungen und Selbsterziehungsmethoden, welche in das ganze Leben integriert sind. Im Westen hingegen werden sie aus dem Zusammenhang des Lebens herausgerissen verwendet. Ich habe da in gewisser Weise schon teilweise Befürchtungen, dass wir, verwöhnt wie wir sind, unserem Konsumgedanken folgend, einfach nur konsumieren. Das heißt, wir wollen dabei wieder nur etwas bekommen, wo wir eigentlich etwas geben müssten, um mit der Welt zurechtzukommen.

Epoch Times: Gestern sprachen Sie über die Geschichte der Meditationsforschung in Europa – wie ist hier die augenblickliche Situation?

Prof. Vaitl: Im Augenblick erscheint es so, als wären sehr viele Leute in Europa daran interessiert. Im Vergleich mit Amerika sind wir jedoch ganz weit hinten dran. Bei uns beginnt sich das Interesse erst zu entwickeln. So wie es halt häufig ist: was die Amerikaner machen, gefällt uns nach einer Zeit – und zwei, drei Jahre später beschließen wir, es nachzumachen. In der europäischen Geschichte selbst findet man das Autogene Training und die Hypnoseforschung. Das sind Dinge, die eigentlich kompatibel wären, aber dieses ganze Feld der Selbstbeeinflussungsmethoden ist mager bestückt. Es fehlen Instanzen, welche sich systematisch damit auseinandersetzen und systematisch klinisch anwenden sowie Forschungen in Einrichtungen. Dieser Kongress ist erst mal ein Anfang und eine Bestandsaufnahme dazu.

Epoch Times: Seit wann betreiben Sie diese Forschung in Ihrem Institut?

Prof. Vaitl: Unser Institut existiert seit zehn Jahren. Seit Beginn arbeiten wir mit Methoden der bildgebenden Verfahren in der Gehirnforschung im Bereich der Meditation, Schmerzbewältigung und Emotionskontrolle.

Epoch Times: Zehn Jahre ist eine lange Zeit. Gestern wurden auch Studien Ihres Institutes vorgestellt. Können Sie uns ein paar wesentliche Ergebnisse dieser Studien nennen?

Prof. Vaitl: Wir haben hauptsächlich die morphologischen Veränderungen der Gehirnsstruktur festgestellt. Dies ist ein Ergebnis, das wir so nicht erwartet hatten: Menschen, die lange Zeit ein solches Training durchlaufen haben, zeigen eine veränderte Gehirnsstruktur. Es gibt dort bestimmte Areale, die stärker ausgeprägt sind. Diese Hirnareale haben eine Bedeutung bei der Emotionsregulation. Das ist uns aus unserer Psychotherapieforschung bekannt. Wenn Menschen über eine lange Zeit und systematisch ca. 5000 bis 7000 Stunden meditiert haben, findet sich in diesen Arealen, die etwas mit der Verhaltenskontrolle zu tun haben, ein Zuwachs an sogenannter grauer Substanz. Das ist wohl einer der wesentlichsten Befunde.

Epoch Times: Gibt es andere Haupt- oder Nebenwirkungen? Im Vorwort zu dem Kongress beschrieben Sie Wirkungen wie innere Klarheit oder eine Steigerung der Sozialkompetenz. In Europa dominiert eine quantitative Wissenschaft, wie lassen sich solche Wirkungen beschreiben?

Prof. Vaitl: Bei solchen Fragestellungen benutzt man normalerweise Fragebögen, um die Leute nach ihrem Erleben und Befinden zu befragen. Oder man benutzt Tests zur Erfassung der mentalen Funktionen wie z.B. Konzentration und Aufmerksamkeit usw. Wir haben ein ganzes Arsenal von psychologischen Verfahren, welche uns Auskunft über solche Veränderungen geben.

Epoch Times: Noch einmal zu den morphologischen Veränderungen: bringen diese auch einen Zuwachs an Wohlbefinden?

Prof. Vaitl: Über einen solchen Zusammenhang wissen wir nichts. Die Probanden berichten zwar von Veränderungen wie mehr Wohlbefinden, mehr Gelassenheit und Kontrolle, was ein komplexes Erlebnisfeld ist. Nach unserer heutigen Vorstellung des Gehirns geht man allerdings nicht mehr von isolierten Lokalisationen bestimmter mentaler Funktionen oder Emotionen aus. Man geht heute eigentlich davon aus, dass das Gehirn über verschiedene Instanzen mit sich selbst im Dialog steht, also von mit sich kommunizierenden Gehirnarealen. Diese Dialogstruktur oder das Profil dieses Dialoges erzeugt also dann die erlebten Emotionen.

Epoch Times: Können Sie unseren Lesern noch ein wenig umgangssprachlicher den Zuwachs an grauer Substanz erklären?

Prof. Vaitl: Die graue Substanz besteht aus den Nervenzellkörpern im Gehirn, an denen die Synapsen sitzen. Dort wird die eigentliche Übertragungsarbeit – das Denken und Erleben – geleistet; die weiße Substanz sind die Fasern in ihren Isolationsschichten.

Epoch Times: Kommen wir zur Praxis einer aufgeklärten Anwendung von Meditation: Hat diese einen Einfluss auf Teile unserer Gesellschaft wie zum Beispiel Schule oder Berufsleben – z.B. im Management?

Prof. Vaitl: Ich sehe ein großes Ziel, welches man damit verfolgen kann: es ist die Rücknahme unserer exzentrischen Selbstbezogenheit. Bei uns steht das Individuum im Mittelpunkt. Das muss aber nicht immer so bleiben. Es muss nicht immer nur meine Biografie die wichtigste in der Welt sein, sondern ich muss wissen, dass ich mich immer in einem großen Lebenskontext aufhalte und von diesem auch ernährt werde. Dabei brauche ich auch immer eine gewisse Passung zu den Menschen um mich herum. Diesbezüglich glaube ich, kann man Menschen ein wenig sensibilisieren und ein wenig von der Ich-Bezogenheit loslösen. Dies bedeutet allerdings nicht die Auflösung des „Ich“, sondern die Fähigkeit, sich in bestimmten Situationen zurückzunehmen und auf die Informationen der Umwelt zu hören. Dies beinhaltet auch, Kontakte zu Mitmenschen liebevoll und rücksichtsvoll zu gestalten.

Epoch Times: Sehen Sie einen Zuwachs der Anwendung von Meditation in unserem Berufsleben?

Prof. Vaitl: Ja sicher. Man kann selbstverständlich im Berufsleben ganz kurze Pausen machen, in denen man sich dann mental wieder regeneriert. Heutzutage macht man ja Pausen, in denen man dann wieder mit anderen Leuten spricht, eine Zigarette raucht oder Kaffee trinkt – dabei drehen sich die Themen allerdings oft wieder nur um den Beruf.
Interessant ist, dass das Gehirn oft nur kurze Pausen für eine Regeneration braucht. Wenn der Betrieb es gestattet, dann sind kurze Pausen, in denen man sich für die Regeneration ganz zurücknimmt, von der Physiologie des Gehirns her eine ganz fantastische Sache. Dass diese Effekte existieren, weiß man. Man muss das jetzt nur noch gestalten, das heißt in den Tagesablauf einbauen.

Epoch Times: Das Gesundheitswesen in Deutschland kostet den Staat und Bürger sehr viel – könnte ein Zuwachs an Meditation hier hilfreich sein?

Prof. Vaitl: Ich kenne mich im Finanzgebaren von Krankenkassen nicht so speziell aus. Aber wir haben immer wieder auch viele andere Methoden gehabt, von denen behauptet wurde, sie würden Kosten sparen. Im Endeffekt war es dann aber nicht so. Deshalb gehe ich davon aus, dass Meditation – zumindest im momentanen Anfangsstadium – noch keine Änderung herbeiführen würde.

Epoch Times: Vielen herzlichen Dank für das Interview!

Prof. Vaitl: Ja, bitte sehr!

Das Interview führte Lea Zhou

Prof. Dr. Dieter Vaitl ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates des Kongresses und Direktor des Bender Instituts für Neuro-Bildgebung der Universität Gießen.

 



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