Klinische Studien im Kreuzfeuer

Nicht immer ist es Schwindel, wenn eine Arznei mehrmals untersucht wird.
Von 21. Dezember 2008

In Medizinerkreisen machen in jüngster Zeit Publikationen die Runde, in der die Pharmaindustrie an den Pranger gestellt wird. Die Anschuldigung: jede vierte klinische Studie zum Wirksamkeitsnachweis bei der Zulassung von neuen Medikamenten werde unterschlagen. Dass die Pharmaindustrie ihre Resultate gerne beschönigen würde ist jedoch nur eines der Gründe für diesen Missstand. Ein guter Teil dieser Misere liegt jedoch beim Verbraucher selbst und seinen überzogenen Anforderungen an die Medikamente.

Nicht nur sollen die Medikamente gut wirken, sie dürfen auch keine starken Nebenwirkungen aufweisen. Das Ganze muss zudem preiswert sein und soll obendrein keine Sicherheitsbedenken aufweisen. Dass die Umsetzung auf harte Grenzen stößt, ist dabei vorprogrammiert.

Um eine gute Wirksamkeit mit minimalen Nebenwirkungen zu vereinen, investiert die Pharmaindustrie durchschnittlich 730 Mio. € pro Medikament. Laut Angabe des Pharmakonzerns Novartis erhält von 2 Millionen geprüften Substanzen nur ein Wirkstoff die Zulassung für den Verkauf in der Apotheke. Um die grundsätzliche Sicherheit für den Menschen zu garantieren, wird jede Substanz in einer Vielzahl von Versuchen zunächst im Reagenzglas und an Tieren getestet. Erst danach wird die Substanz an einer kleinen Gruppe von Probanden auf ihre Verträglichkeit geprüft, bevor sie an einer hinreichend großen Anzahl an Patienten getestet wird, um die Ergebnisse auf die Bevölkerung übertragen zu können.

Eine Studie mit negativem Ergebnis bedeutet nicht, dass die Substanz unwirksam ist

Anders sieht die Situation jedoch aus, wenn bei einer Studie keine Wirkung nachgewiesen werden konnte. In diesem Falle kann nicht von einem definitiven Ergebnis gesprochen werden: Es kann sein, dass das Medikament wirklich wirkungslos ist. Es ist aber auch möglich, dass das Medikament trotzdem eine gute Wirkung hat, die Anzahl der Probanden war jedoch nicht groß genug, um diese Wirkung zu belegen. Die Statistiker reden von einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent, dass die Wirkung durch eine größere Anzahl von Probanden doch belegt werden kann.

In diesem Fall liegt die Entscheidung in den Händen der Pharmaindustrie: Wenn bei einem Präparat der Hersteller besonders große Interessen hat, wird er sich dafür entscheiden, eine weitere Studie zu finanzieren, um das Präparat näher zu untersuchen. In einem von fünf Fällen wird es dem Konzern statistisch gesehen tatsächlich gelingen, die Wirksamkeit der Substanz nachträglich zu belegen.
An dieser Stelle werden die allgemeinen Erwartungen an das Arzneimittel ganz besonders zum Problem: Würden sie ein Medikament kaufen, auf dessen Verpackung „Wirksamkeit wissenschaftlich widerlegt“ steht? Der Patient braucht die Beziehung zum Arzt und das Vertrauen in die Therapie für seine Genesung. Dabei nehmen sie selbst vielleicht seit Jahrzehnten eines dieser Medikamente, deren Wirksamkeit erst bei der zweiten Studie nachgewiesen werden konnte, und sind mit dem Medikament zufrieden. Möglicherweise wechseln die meisten zu einer anderen Substanz, wenn sie aus den Medien hören, dass ihr Medikament auch zu diesen 20 Prozent der beim zweiten Versuch belegten Medikamenten zählt. Dabei hat es keine statistische Aussagekraft, ob die Wirksamkeit einer Substanz bei der ersten oder bei der zweiten Studie nachgewiesen wird.

Der Erfolgsdruck und die öffentliche Meinung drängen zu unsauberer Wissenschaft

Dennoch werden viele Menschen stark beeinflusst, wenn eine Zeitung nach der anderen eine Substanz wie zum Beispiel das Antidepressivum Prozac angeprangert. Es ist bekannt, dass die meisten Antidepressiva nur bei schweren Depressionen gut wirken und bei schwachen Depressionen keine starke Wirkung zeigen. Trotzdem erscheinen immer neuere Presseartikel über diese eine Substanz, es profitieren die Hersteller der alternativen Substanzen aus diesem Anwendungsbereich – und werden vielleicht dafür Sorge tragen, dass in Zukunft nicht eines ihrer Produkte in die Schlagzeile der Zeitungen gerät und die internen, unveröffentlichten Ergebnisse über ihr Produkt in den Medien groß herausgebracht werden.

Eben diese aus dem Erfolgsdruck heraus gesetzten Maßnahmen führen dann dazu, dass in den Medien von Betrug und Schwindel die Rede ist, wenn die unveröffentlichten Ergebnisse dennoch veröffentlicht werden. Diese Schutzmaßnahmen waren allerdings nicht nur einfach die Idee von einem hochbegabten Unternehmer, zu einem guten Teil waren sie der verzweifelte Versuch, die hohen Erwartungen der Verbraucher zu bedienen.

Wenn man Anforderungen stellt, die keine Arznei realistischerweise erfüllen kann, dann wird die Lösung entweder scheitern oder die Ehrlichkeit verloren gehen. Die Wissenschaft ist nur bedingt ein Heilsbringer. Der allgemeinen Erwartungshaltung des Verbrauchers gerecht zu werden ist in der Realität nicht möglich, deshalb herrscht bei vielen Pharmaherstellern große Geheimniskrämerei.
Was geändert werden muss, ist jedoch die Erwartungshaltung selbst. Ein Medikament kann nicht bei jedem gleich gut wirken, es zählt das Vertrauen, die Zuversicht und die Hoffnung sowie die ärztliche Beratung. Man muss der Realität ins Auge sehen, um für jedes Individuum eine bestmögliche Lösung zu finden und dabei selbst die Verantwortung für die Zweifel übernehmen, die mit wissenschaftlichen Mitteln nicht lösbar sind.

Erschienen in The Epoch Times Deutschland Nr. 50/08



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