Mehr Übergewicht bei Kindern: Sitzen und Süßes, Fernsehen und Fettiges

Foodwatch fordert ein weitgehendes Verbot von TV-Werbung für ungesundes Essen. Auch im Internet sollten entsprechende Lebensmittel, die sich an Kinder richten, nicht mehr beworben werden dürfen.
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Werbung für ungesunde Nahrungsmittel wirkt – Tobias Efferts von der Uni Hamburg fordert ein gesetzliches Verbot von Kindermarketing.Foto: iStock / Monkeybusinessimages
Von 17. Januar 2023

Die Verbraucherorganisation Foodwatch hat ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel für Kinder gefordert. Grund dafür ist ein allgemein hoher Anteil von Kindern unter den Fernsehzuschauern. Laut Foodwatch sollen Werbespots für zucker- und fetthaltige Lebensmittel, die hauptsächlich an Kinder gerichtet sind, von den Fernsehsendern gestrichen werden.

Eine Auswertung der Universität Hamburg habe ergeben, dass Kinder, die regelmäßig fernsehen, insbesondere im Abendprogramm viele Werbespots für ungesunde Snacks und Süßigkeiten sehen. Konkret seien es durchschnittlich fünf Werbespots für ungesunde Lebensmittel ab 20 Uhr, erklärte die Organisation Ende letzter Woche.

Deshalb fordert Foodwatch jetzt ein generelles Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel zwischen 6 Uhr und 23 Uhr.

Werbung wirkt – Werbung verleitet

Foodwatch begründet die Forderung mit der gezielten Verleitung von Kindern und Jugendlichen durch die Werbung zum Konsumieren ungesunder Lebensmittel. Dies führe zu Gewichtszunahme und damit einhergehenden gesundheitlichen Problemen wie Diabetes, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen – wenn nicht sofort, dann perspektivisch.

Derzeit arbeitet die Bundesregierung an einem Gesetzentwurf zur Beschränkung der auf Kinder abzielenden Werbung.

Beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ist zu lesen: „An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt kann sich negativ auf das Erlernen eines gesundheitsförderlichen Ernährungsstils auswirken. […] Werbung hat einen nachweislichen und vor allem auch langfristigen Einfluss gerade auf die Altersstufen unter 14 Jahren.“ Deshalb bereite das BMEL den Entwurf für eine gesetzliche Regelung vor.

Das geht Foodwatch nicht weit genug, der gemeinnützige Verein, der sich mit der Qualität von Lebensmitteln auseinandersetzt, kritisiert dies als unzureichend. Sehr süße oder fetthaltige Lebensmittel sollten nach Ansicht der Organisation generell zwischen 6 und 23 Uhr von der Mattscheibe verbannt werden. Denn „fast die Hälfte der Werbung für ungesunde Lebensmittel, die Kinder im Fernsehen wahrnehmen, läuft zur abendlichen Primetime“. Dies habe eine Auswertung des Experten für Kindermarketing der Universität Hamburg, Tobias Efferz, ergeben.

Kinder mit Junkfood-Werbung „überschüttet“

Die Verbraucherschützer verweisen zudem auf Daten der AGF Videoforschung, wonach „jede dritte der unter Kindern beliebtesten TV-Sendungen kein klassisches Kinderformat, sondern eine zur Primetime ausgestrahlte Unterhaltungssendung, ein Familienfilm oder eine Sportübertragung“ ist.

Louise Rolling von Foodwatch erklärt dazu: „Gerade in dieser Hauptsendezeit am Abend überschüttet die Lebensmittelindustrie Kinder mit Junkfood-Werbung.“

So waren zwischen 2019 und 2021 29 der 75 von Kindern meistgesehenen Sendungen (39 Prozent) keine klassischen Kinderformate, sondern Sportsendungen, Unterhaltungsformate und Nachrichten. 2021 waren es sogar 18 von 25, darunter mehrere Übertragungen der Fußball-Europameisterschaft, die unter anderem von Coca-Cola gesponsert wurde.

Auch im Internet sollten ungesunde Lebensmittel, die die Kinder ins Visier nehmen, nicht mehr beworben werden dürfen. Tobias Efferts von der Uni Hamburg schreibt dazu in seiner 2021 erschienenen Studie, dass im Vergleich zu 2007/8 „hinsichtlich der Internetwerbung (…) eine zunehmende Integration von Marketing und Kinderalltag offensichtlich geworden (ist). Soweit Vergleiche mit früheren Untersuchungen möglich sind, lässt sich zeigen, dass sowohl soziale Medien wie Facebook und Instagram relativ wichtiger geworden sind. Die stärkere Integration von Produktmarketing in den Kinderalltag durch personalisierte Social‐Media‐Posts und Content charakterisieren die jüngsten Entwicklungen des Kindermarketings im Internet.“

Und er schließt zusammenfassend, wobei sein Fazit über die Forderungen von Foodwatch hinausgeht: „Da dieses Ausmaß an Kindermarketing ungesunde Ernährungsweisen der Kinder kausal begünstigt, sollte Kindermarketing gesetzlich verboten werden.“

Ärzte, Krankenkassen und Verbände für Beschränkungen

Der Verbraucherzentrale Bundesverband macht ebenfalls Druck für Beschränkungen bei der Werbung, die sich gezielt an die Kleinen richtet. Es brauche „100-Meter-Bannmeilen“ für Plakate mit Werbung für ungesunde Lebensmittel rund um Kitas, Spielplätze und Schulen, aber auch Verbote für Fernsehen, Radio und Influencer, fordert Vorstand Ramona Pop.

Auch Kinder- und Jugendärzte sowie Krankenkassen sprechen sich für ein Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel aus. AOK-Bundesverbandsvorsitzende Carola Reimann verlangte eine verpflichtende Verringerung des Zuckergehalts in Fertigprodukten.

Mehr dicke Kinder seit der Pandemie

„Werbung beeinflusst nachweislich die Präferenzen und das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen“, hieß es in einem Alarmruf von 38 Akteuren – von Foodwatch bis zur AOK – vom November 2022. Aktuell würden Menschen in dieser Altersgruppe doppelt so viele Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse essen wie empfohlen. Ungesunde Ernährung sei eine der Hauptursachen für die Ausbreitung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern.

Werbewirtschaft und Lebensmittelbranche hingegen verweisen darauf, dass es für Übergewicht bei Kindern zahlreiche Faktoren gebe – beispielsweise Bewegungsmangel. Hier wird argumentiert, dass Eltern die Verantwortung für die Ernährung ihrer Kinder tragen und ein Werbeverbot nicht die Lösung für das Problem der Übergewichtigkeit bei Kindern sei. Zudem sei Werbung für ungesunde Lebensmittel bereits jetzt stark reguliert und man halte sich an die geltenden Regeln.

Nach einer repräsentativen Eltern-Umfrage von Forsa vom Mai 2022 zeigen sich auch in Hinblick auf das Körpergewicht von Kindern Folgen der Corona-Zeit. Jedes sechste Kind ist demnach dicker geworden. In der Altersgruppe der 10- bis 12-Jährigen ist das Umfrage-Ergebnis besonders alarmierend, hier ist jedes dritte Kind dieser Altersgruppe dicker geworden. Als Grund werden weniger Bewegung durch fehlenden Sport, ausgefallenen Schulunterricht inklusive Sitzen vorm Rechner und ein höherer Süßwarenkonsum angegeben.

Vor der Pandemie hatte das Robert Koch-Institut das Körpergewicht von Kindern und Jugendlichen bundesweit zwischen 2014 und 2017 messen lassen: Damals waren rund 15 Prozent übergewichtig, etwa sechs Prozent aller Kinder waren adipös. In den 1980er- und 1990er-Jahren waren nur zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig und drei Prozent adipös.

Viele adipöse Kinder werden später zu adipösen Erwachsenen. Der volkswirtschaftliche Schaden beziehungsweise die Kosten von starker Übergewichtigkeit samt Folgeerkrankungen, Arbeitsausfall und Frühverrentung wurden im Jahr 2015 auf etwa 63 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.



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