Mitgefühl-Pädagogik: Warum sollten kleine Jungs mit Stöcken schießen dürfen?

Wie Kinder durch „aggressive“ Spiele Empathie erlernen, die Fähigkeit erwerben, mit anderen fühlen zu können und so ihr Selbstbewusstsein entwicklen. Der Entwicklungspsychologe Dr. Rüdiger Posth gibt Eltern eine Methode zur Mitgefühlserziehung an die Hand.
Titelbild
Das Spielen mit Spielzeugwaffen ist kein Problem.Foto: Istock
Epoch Times6. November 2017

Viele Eltern und auch Pädagogen in den westlichen Ländern wünschen sich, Kinder zum Frieden zu erziehen und die Welt zu einem besseren, lebenswerteren Ort zu machen. Eine beliebte Art, das zu versuchen, ist, Kindern jede Ausdrucksform von Aggression und Spiele mit Waffen zu verbieten und zu deckeln.

Doch wird es die Gesellschaft wirklich friedlicher machen, wenn man kleinen Jungen das Schießen-Spielen, Kräftemessen und Kämpfen verbietet?

Die Expertensicht auf kindliche Aggressionen

„Aggression kann man nicht aus dem Menschen ‚heraus erziehen'“, sagt der Entwicklungspsychologe und Kinderarzt Dr. Rüdiger Posth.

„Sie ist ein Trieb, der seine Bedeutung hat und keineswegs nur auf Zerstörung oder Schädigung ausgerichtet ist. Bei Jungen spielt aber das Konkurrieren um Stärke eine große Rolle, weil sich Jungen naturgemäß mit körperlicher Stärke attributiveren. Mädchen vollziehen dasselbe Konkurrieren im sozialen Bereich“, so Bindungsspezialist Dr. Posth.

Eine Methode für die Mitgefühlserziehung

Posth gibt Eltern, die ihr Kind zu einem mitfühlenden Menschen, der andere nicht mutwillig schädigt, erziehen möchten, eine Methode an die Hand, um die gewünschte Empathiefähigkeit zu erreichen.

Kinder mit etwa 2 ½ Jahren können bereits im Spiel durch Erprobung die Entwicklung und das Empfinden von Empathie lernen.

Die Eltern stellen dabei auf überzeichnende Art die Opferrolle dar.

Posth sagt, „Jetzt kann das Spiel ‚ich haue, kneife etc. dich (sanft)‘, ‚du weinst (theatralisch)‘ und ‚ich tröste und versorge dich (soweit es in meiner kindlichen Macht steht)‘ gespielt werden. Die Kinder lieben es so zu spielen und wiederholen den Vorgang zunächst immer wieder. Erstens lernen sie dabei, was sie wissen wollen, und zweitens entledigen sie sich auf diese Weise angestauter innerer Wut. Eltern sind gut berufen, diesen affektiven Austausch, soweit das Kind nicht über die Stränge schlägt, mitzumachen.“

Selbstbewusste Kinder spielen mal wild – und fühlen mit. Foto: Istock

Diese Methode nennt sich Induktion, das Ergebnis ist „die Ausbildung einer stabilen Empathie mit der Weiterentwicklung zu Mitleid und Moral.“

Der Nutzen und Sinn der Aggression

„Der Mensch aktiviert Aggression immer dann, wenn er sein ungetrübtes Lebensgefühl in Gefahr sieht oder wenn seine freiheitlich geprägten Persönlichkeitsrechte ungerechtfertigt beschnitten werden. Allgemeine Konventionen, die persönliche Lebensphilosophie und eine demokratische Rechtsprechung der Gesellschaftsordnung legen dabei den Maßstab fest, wie ein ungetrübtes Lebensgefühl zu verstehen und zu erhalten sei und ab wann das Persönlichkeitsrecht in unzumutbarer Weise eingeschränkt wird.“

Stellvertreter Kuscheltier und Entwickeln von Selbstbewusstsein

Der Bindungsspezialist betont, dass die Reifung des Gehirns nicht durch reines Anerziehen ersetzt werden kann. Um den 2. Geburtstag herum, manchmal sogar schon früher, zeigten Kleinkinder das Interesse, sich in die Gefühlslage ihrer Eltern oder anderer Kinder hineinzuversetzen. Diese soziale Regung ist die Empathie.

„Zunächst einmal zeigen die Kinder dieses Interesse als so genanntes Als-ob-Spiel bei ihren Puppen oder Teddybären, resp. anderen Tieren. Die Spielgefährten erleiden dann dasselbe Schicksal wie das Kind selbst und werden spielerisch bemitleidet. Viele Kinder gehen auch hin und fügen ihrer Puppe oder ihrem Bären gezielt unangenehme Dinge zu, um sie dann liebevoll versorgen zu können, z.B. durch Pusten auf die scheinbare Wunde, im Arm halten des Tieres mit Liebkosung oder ganz sachlich ein Pflaster aufkleben.

Diese Als-ob-Spiele stärken die innere Position des Kindes immens und lassen das Selbstbewusstsein wachsen. Verständige Eltern erkennen in den Spielhandlungen ihrer Kinder eigene Verhaltensweisen wieder.“

„Theo hat Aua!“, im Spiel üben und erproben. Foto: Istock

Die symbolische Gewalt

Aus dem Spiel mit den Puppen und Stofftieren entwickelt sich dann das Spiel mit den Eltern. Entweder finde sich eine reale Situation, die zur empathischen Reaktion Anlass geben kann, oder sie wird „simuliert“. Dabei kann das Kind kneifen, kratzen, schlagen – doch vollkommen bewusst ist ihm diese Handlung nicht. Das Kind kann in diesem Alter die Wirkung eigener Handlungen noch schlecht abschätzen. Auch eine negative Absicht sieht Posth in dieser Situation nicht.

Spiegel(neuronen): Kinder brauchen Interaktion mit dem Gegenüber, um fühlen zu können, was es fühlt. Foto: Istock

Alle diese beabsichtigten oder reaktiven Handlungen können die Wirkung haben, dem Kind beizubringen, „dass Gewaltausübung und Schmerzzufügung keine Methoden des Sich-Durchsetzens sind“.

Erziehen durch das Vorbild

Das ginge natürlich nur dann überzeugend, wenn das Kind sich keiner Gewalt durch die Erwachsenen in seinem Umfeld und seiner Familie ausgesetzt sieht. Solche Gewalt ist nämlich laut Posth geradezu eine Legitimierung für das Kind, seinerseits so zu handeln.

„Bis etwa zum Anfang des 3. Lebensjahres sind solche Spiele mit, sagen wir, symbolischer Gewalt noch schwer steuerbar und unterliegen oft spontanen Auseinandersetzungen im alltäglichen Trotzgeschehen. Für die Eltern ist es wichtig zu wissen, dass sie in diesen Fällen erst einmal ein eindringliches Ermahnen vor jede weitere spielerische Handlung setzen.“ (aw)

Hierzu auch:

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