Noch wach? Warum jeder Vierte in Deutschland keine gute Nacht hat

Wenn auch Schäfchen zählen den ersehnten Schlaf nicht bringt, greifen viele Menschen über kurz oder lang auf Beruhigungsmittel zurück – nicht ohne Nebenwirkungen. Lernt man die Wurzel dieses Leidens zu verstehen, eröffnen sich womöglich neue Wege aus dem Dilemma.
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Viele Menschen werden von Schlafstörungen geplagt.Foto: iStock
Von 3. September 2023

Halb zwölf. Schlafenszeit. Der Wecker ist gestellt, die Uhr tickt. 00:30 Uhr. Schon eine Stunde vorbei. Der Körper ist erschöpft, doch der Geist will nicht zur Ruhe kommen. 02:30 Uhr. Die Gedanken kreisen immer noch. Ausgerechnet einen Tag vor der entscheidenden Prüfung bleibt der erholsame Schlaf aus.

Wer kennt diese qualvollen Nächte nicht? Schlafstörung ist ein weitverbreitetes Phänomen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) leidet etwa jeder vierte Bürger gelegentlich unter dieser Volkskrankheit. Bei rund 4,8 Millionen Menschen kann von einer Insomnie gesprochen werden – einer chronischen Schlafstörung mit weitreichenden psychischen und physischen Folgen für die Betroffenen.

Rein definitionsgemäß liegt eine Insomnie dann vor, wenn Einschlaf- oder Durchschlafprobleme mehr als dreimal pro Woche auftreten und länger als drei Monate andauern. Betroffene fühlen sich tagsüber oft müde, abgeschlagen und gereizt.

Doch warum können so viele Menschen trotz Müdigkeit nicht einschlafen oder durchschlafen?

Schlafstörungen – kein modernes Phänomen

Diese Fragen beschäftigten seit Jahrtausenden namhafte Mediziner im Reich der Mitte, in China. „Einer der frühesten Texte zum Thema Schlafstörung kommt aus dem alten chinesischen Medizinbuch ‚Der Kanon des Gelben Kaisers mit 81 schwierigen Fragen‘“, erzählte die TCM-Praktikerin Ken Jiao aus Zürich in einem Gespräch mit Epoch Times. Es wird gesagt, dass dieser Text von dem bekannten Mediziner Bianque um circa 206 v. Chr. geschrieben wurde.

Schlafstörungen hat es sicher auch schon vor der Zeitrechnung gegeben. Sie scheinen keinesfalls nur ein Phänomen der heutigen Gesellschaft zu sein. Wobei der moderne Lebensstil sicherlich auch seine Tücken birgt, gab die TCM-Ärztin zu bedenken. Wenn man zum Beispiel am Abend zu lange durch die Internetwelt surft, kann es den Schlaf beeinträchtigen.

Jiao erklärte dazu: „Aus der Sicht der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) liegt die Wurzel von Schlafstörungen im Ungleichgewicht zwischen der Yin- und Yang-Energie.“ Demnach steht das kühle, dunkle Yin für die Nacht, den Schlaf, die Passivität und Gefühle, während das feurige, helle Yang den Tag, die Aktivitäten und den analytischen Verstand symbolisiert.

Schlafprobleme treten nach diesem Verständnis dann auf, wenn die Yang-Energie in den Yin-Bereich eindringt. Dies wird durch eine Reihe von Faktoren ausgelöst.

Schlafmittel, keine Dauerlösung

Jiao selbst kann sich noch genau an die leidvollen Nächte erinnern, in denen sie keine Ruhe fand und der Schlaf ihr fernblieb. Hinzu kamen Begleitsymptome wie spontane Schweißausbrüche, nächtliches Schwitzen, ständige Müdigkeit tagsüber und eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Kälte und Wind.

Durch Schlaftabletten hatte sie zunächst etwas Linderung erfahren. Später wirkten die Medikamente nicht mehr. Auslöser für ihr Schlafproblem waren Leistungsdruck, Dauerstress sowie finanzielle Sorgen, stellte die TCM-Praktikerin in ihrer eigenen Diagnose fest.

Hintergrund ist, dass diese psychologischen Faktoren Einfluss auf unterschiedliche Organe ausüben, die für den gesunden Schlaf relevant sind. Anders gesagt, Angst, Sorgen oder Stress können allesamt den Schlaf stören.

In der traditionellen chinesischen Medizin sind auch Schlafstörungen das Resultat eines Mangels oder Überschusses an bestimmten Elementen oder Stoffen im Körper.

Negative Gedanken, schlechter Schlaf

Die TCM geht davon aus, dass bei einem Mangel-Syndrom nicht genug von einem bestimmten Element vorhanden ist. Man spricht hier auch von einem Leere-Muster. Bei der Diagnose chronischer Schlafstörungen unterscheidet Jiao unter anderem folgende Leere-Muster: Milz-Energie und Herz-Blut-Mangel, Nieren-Yin-Mangel und Leere-Hitze, Herz- und Gallenblasen-Energie-Mangel. Allesamt Begriffe, die für „westliche Ohren“ höchst befremdlich klingen. Jiao hilft westlichen Interessenten mit einer weitergehenden Erklärung aus.

Ein Energiemangel in der Milz komme „von vielen negativen Gedanken, Sorgen und unerreichten Wünschen, aber auch von einer schlechten Ernährung“, sagte die TCM-Ärztin. Milz-Energiemangel könne zu Herz-Blut-Mangel, einer Art Unterernährung des Herzens führen. Menschen mit diesem Syndrom haben demnach häufig Einschlaf- und Durchschlafprobleme, Herzklopfen, chronische Müdigkeit, beeinträchtigtes Gedächtnis sowie leichte Angstzustände.

Ein Nieren-Yin-Mangel und Leere-Hitze können verursacht sein durch Faktoren wie anhaltenden Stress, permanente emotionale Belastung, chronische Erkrankungen oder regelmäßige Einnahmen von chemischen Substanzen, einschließlich Antibiotika, Schmerzmittel und Drogen. Auch der übermäßige Konsum von „heißen“ Nahrungsmitteln könne das Nieren-Yin schwächen.

Kirschen sind heiß, Bananen kalt

Mit der Bezeichnung „heiß“ ist nicht die messbare Temperatur eines Gerichts gemeint. Vielmehr leitet er sich aus der Lehre von Yin und Yang ab, wobei Yin für Kälte und Yang für Wärme steht. Kaffee, Pfeffer, Walnüsse, Kirschen, Paprika und Fleisch gehören beispielsweise zu heißen Nahrungsmitteln, während Gurken, Tomaten, Salat, Bananen oder Joghurt zu den kalten Speisen zählen.

Die Folgen eines Nieren-Yin-Mangels reichen von Schlafstörungen, häufigem Aufwachen, Nervosität, Vergesslichkeit bis zu Tinnitus, Schwindel und Rückenschmerzen.

Das dritte Leere-Muster – Herz- und Gallenblasen-Energie-Mangel – entsteht häufig infolge chronischer Krankheiten, schwerwiegender Schocks oder Traumata. Die Auswirkungen manifestieren sich in Form von unruhigem Schlaf, intensivem Träumen und Schreckhaftigkeit, gekoppelt mit einem verminderten Selbstvertrauen und geringem Unternehmungsgeist.

Wird bei einem Patienten ein Mangel-Syndrom diagnostiziert, könnten je nach Krankheitsbild gezielte Akupunktur- und Kräutertherapien helfen, den Geist zu beruhigen, die Energie in den betroffenen Organen zu stärken beziehungsweise Yin und Yang zu harmonisieren.

Die TCM-Ärztin betonte jedoch, „dass man es in der Praxis oft mit nicht nur einer Ursache zu tun hat, sondern gemischten Ursachen“. In dem Fall müsse man die Kernursache herausfinden und daraus die Behandlung ableiten.

Die 70-Prozent-Regel beim Abendessen

Im Gegensatz zum Leere-Muster gibt es beim Fülle-Muster einen Überschuss eines bestimmten Elements im Körper. Die Folge sind oft akute Schlafstörungen.

Konkret können laut TCM beispielsweise folgende Symptome bei der Diagnose auftauchen: Leber-Qi-Stagnation, Nahrungsmittel-Stagnation und Schleim-Hitze. Qi steht in der chinesischen Sprache für Lebensenergie oder Lebenskraft. Ist diese Energie lange in der Leber gestaut, bildet sich mit der Zeit Hitze. Diese Hitze wandert nach oben zum Kopf und „bewirkt, dass der Geist unruhig wird“, erklärte die TCM-Ärztin. Dieses Problem tritt in der Regel auf, wenn Emotionen wie Ärger, Groll oder Frustration unterdrückt werden.

Wer außerdem zu viel am Abend isst oder sich zu fettig ernährt, kann eine Nahrungsmittel-Stagnation herbeiführen – eine Art Ansammlung von Nahrung im Verdauungstrakt. Langfristig können dadurch Schleim und Hitze im Magen entstehen. Diese sogenannte Schleim-Hitze steigt dann in den Kopf. Die Folgen davon sind Durchschlafprobleme, Magen-Darm-Beschwerden und ein Schweregefühl im Kopf.

Es gibt in der chinesischen Medizin einen Leitsatz. „Am Abend sollte man nur so viel essen, bis der Magen zu 70 Prozent gefüllt ist“, erklärte Jiao.

Wie Ruhe einkehrt

Theorie und Sichtweise der traditionellen chinesischen Medizin mögen im westlichen Kulturkreis ungewöhnlich erscheinen. Während die Schulmedizin noch über das Zusammenspiel zwischen Körper und Geist grübelt, ist diese Verbindung in der TCM längst ein fester Bestandteil der Diagnose und Therapie.

Ken Jiao selbst hatte zunächst Schulmedizin studiert und gehörte zu den Skeptikern der TCM. Nach vielen Jahren Erfahrung mit der chinesischen Medizin ist sie der Meinung, dass diese traditionelle Heilungsform die Schulmedizin sehr sinnvoll ergänzt.

Die schlaflosen Nächte hat die TCM-Ärztin schon lange hinter sich. Was ihr geholfen hat? Eine Kräutertherapie, eine schicksalhafte Lebensumstellung – und zum Schluss der beruhigte Geist und die Erkenntnis, dass das endlose Streben keine Freude bringt.



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