Personalausfall wegen Atemwegserkrankungen: Kliniken verschieben Operationen

Eine Welle von Atemwegserkrankungen zwingt Kliniken zum Aufschub nicht dringlicher Operationen. Strittig sind die Ursachen geschwächter Immunsysteme.
Viele Menschen haben mit Atemwegserkrankungen zu kämpfen, manche müssen ins Krankenhaus.
Viele Menschen haben mit Atemwegserkrankungen zu kämpfen, manche müssen ins Krankenhaus.Foto: Bodo Schackow/dpa-zentralbild/dpa
Von 16. Dezember 2022

Nachholeffekt nach Corona oder vernachlässigte Immunabwehr? Inmitten einer Kältewelle haben mehrere Kliniken angekündigt, geplante, aber nicht dringliche Operationen aufzuschieben. Der Grund dafür ist ein massiver Personalausfall, den Einrichtungen des Gesundheitswesens flächendeckend beklagen. Häufig müssen Beschäftigte wegen einer Infektion mit Atemwegserkrankungen dem Arbeitsplatz fernbleiben.

Charité sagt nicht dringliche Operationen ab

Wie die „BZ“ berichtet, hat am Mittwoch, dem 14.12.2022, die Berliner Charité verkündet, dass alle bis zum Jahresende geplanten, aufschiebbaren Operationen vorerst ausfallen. Die Anordnung gilt für alle ab kommendem Montag angesetzten Termine. Charité-Sprecher Markus Heggen begründete den Schritt mit einem „anhaltenden und sich verstärkenden krankheitsbedingten Ausfall von Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften“.

Auf diese Weise will die Klinik die Durchführung dringlicher Eingriffe absichern. Zeitkritische Tumoroperationen, Transplantationen oder notfallbedingte chirurgische Interventionen finden statt.

Gleichzeitig hat die Charité Personal von anderen Stationen in die Kindermedizin verlegt. Diese sei zurzeit besonders stark von den Folgen grassierender Atemwegserkrankungen betroffen. Vor allem Kleinkinder litten häufig am Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV). Deshalb wolle man dort auch keine Kapazitäten abbauen.

Vor allem Kinder von Atemwegserkrankungen betroffen

Wie der „NDR“ berichtet, hat das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum in Neubrandenburg ebenfalls aufschiebbare Operationen abgesagt. Auch hier soll das noch einsatzfähige Personal die Kinderabteilung verstärken. Die Kinderklinik ist weitestgehend ausgelastet, erklärt Chefarzt Sven Armbrust.

Vor allem Kinder seien von Atemwegserkrankungen betroffen, bereits vier Kinder müsse man infolge einer Infektion mit dem Influenza-A-Virus intensivmedizinisch betreuen. Der Chefarzt rechnet nicht damit, dass die Belastung in den kommenden Wochen abflaut.

In Schwerin liegen 13 Kinder mit Influenza und zehn mit RSV in den Helios-Kliniken. Zwei sollen sogar eine Doppelinfektion zu verzeichnen haben. Die RSV-Welle bleibe auf hohem Niveau stabil, während die Fallzahlen bei der Influenza anstiegen. In Greifswald liege die Auslastung auf der Kinderstation bei 80 Prozent.

Bereits vor einigen Wochen hatte die Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) vor drohenden Engpässen in Kinderkliniken gewarnt. Zum Stichprobentag am 24. November seien deutschlandweit nur noch 83 Intensivbetten für Kinder frei gewesen. Von 110 Kliniken, die an einer Befragung teilgenommen hatten, hatten 43 keine Normalbetten mehr frei.

Kinderkliniken hätten Patienten abweisen und im Umkreis von zum Teil 100 Kilometern und mehr nach Ersatz suchen müssen. Mit Stand zum Donnerstagmorgen war die Belegung der Kinderintensivbetten seit der Vorwoche von 41 auf 51 gestiegen. Frei sind dem DIVI-Intensivregister zufolge nur noch 24 Betten – 12 weniger als zuvor.

Derzeit 9,5 Millionen Menschen von Atemwegsinfektionen befallen

Von der Welle an Atemwegserkrankungen sind nicht nur Kinder betroffen. Der Grippe-Bericht des Robert Koch-Instituts spricht von etwa 9,5 Millionen Menschen, die in der Kalenderwoche 48 in Deutschland einer akuten Atemwegsinfektion ausgesetzt waren. Dies entsprach einem Anteil von 11,4 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Das sei bereits ein höherer Wert als im Zusammenhang mit der starken Grippewelle des Winters 2017/18. Zwischen 2011 und 2019 lagen die Werte meist stabil zwischen sechs und sieben Prozent. Der Influenza-Statistik des RKI zufolge hatte es in der Zeit von 2001 bis 2019 nur in drei Jahren eine sechsstellige Zahl an gemeldeten Fällen von Influenza gegeben. Mit Ausnahme von 2009 ereigneten sich diese jedoch in den beiden Jahren unmittelbar vor der Corona-Krise.

Atemwegserkrankungen lichten auch die Reihen in Schulen und Kitas

Wie „News4Teachers“ schreibt, betrifft der Personalausfall infolge von Atemwegserkrankungen zunehmend auch die Bildungseinrichtungen. In Berlin spricht die Bildungsverwaltung von einer „angespannten“ Lage bezüglich der Krankmeldungen von Schul- und Kitapersonal. In Bremen betrage der Krankenstand an städtischen Kitas 20 Prozent der Beschäftigten. Gleichzeitig sei auch in Hamburg der Anteil der krank gemeldeten Lehrkräfte mit 16,3 Prozent höher als in den Vergleichszeiträumen der Vorjahre.

Seit Oktober habe es laut RKI insgesamt knapp 160 Ausbrüche von Influenza gegeben, davon rund 60 an Schulen. Bislang sollen 30 Todesfälle in diesem Jahr mit der Grippe in Verbindung stehen. Die Grippewelle in Deutschland habe dem RKI zufolge in der Woche bis zum 30. Oktober und damit früh begonnen. Demgegenüber habe sich das Corona-Infektionsgeschehen „weiter stabilisiert“.

Allerdings sorge insbesondere bei Kleinkindern unter zwei Jahren „die anhaltende RSV-Aktivität für Arztkonsultationen und Krankenhauseinweisungen“. Dieser Trend zeige sich auch in anderen Ländern in Europa.

Höhere Anfälligkeit wegen Corona – oder wegen der Maßnahmen?

Die Meinungen bezüglich der Ursachen für die starke Welle an Atemwegserkrankungen gehen unterdessen auseinander. Auch unter Medizinern ist die Einschätzung weit verbreitet, es handele sich beim derzeitigen Infektionsgeschehen um einen Nachholeffekt aus der Corona-Zeit.

Demzufolge hätten auch die Corona-Maßnahmen von Isolation über Masken bis hin zu den Abstandsvorschriften das Immunsystem vieler Menschen geschwächt. Auf diese Weise sei die Bevölkerung insgesamt anfälliger geworden – und komme mit den Folgen der Normalisierung des Kontakts zu Menschen schlechter zurecht.

Andere sehen hingegen gerade in der Durchseuchung mit Corona den Grund für geschwächte Immunsysteme. COVID-19 selbst habe demnach die Menschen anfälliger gemacht. Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, bestreitet gegenüber dem „WDR“, dass fehlender Kontakt zu Viren das Immunsystem schwäche:

Das Immunsystem ist nicht so wie ein Muskel, dass, wenn man es lange Zeit nicht braucht, es dann irgendwie weniger gut funktionieren würde.“

Nach Corona-Pause ist das Immunsystem wieder mit 200 grippalen Erregern konfrontiert

Allerdings habe bei vielen Menschen in den vergangenen beiden Jahren eine Auffrischung des Immunsystems nicht stattgefunden. Bei einigen Infekten und Erregern müsse dies jedoch regelmäßig stattfinden.

Arzt und Medizinjournalist Christoph Specht erläuterte im WDR, es gäbe 200 verschiedene grippale Infektionserreger. Diese seien im Alltag während der Corona-Jahre „ja quasi weg“ gewesen und nun erneut aufgetaucht.

Unser Immunsystem ist plötzlich erschrocken und sagt: Hoppla, das Virus ist ja immer noch da. Da muss ich wohl wieder was tun. Und das ist genau der Grund, weshalb wir jetzt so viele relativ starke Infekte sehen.“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt zudem auch noch vor einer zunehmenden Ausbreitung von Streptokokken A in Europa und vor Bakterien, die unter anderem Scharlach auslösen.

Grippe-Impfquote in Deutschland deutlich unter dem EU-Ziel

Die Landeschefin des Verbands der Ersatzkassen Vdek im Nordosten, Kirsten Jüttner, rät in Anbetracht der Lage zur Inanspruchnahme der Grippeimpfung. Dies gelte besonders für ältere Menschen, chronisch Kranke, Schwangere und medizinisches Personal. Es sei auch noch nicht zu spät, sich in diesem Jahr gegen Grippe impfen zu lassen.

Der Impfstatistik des RKI zufolge werde in Deutschland die EU-Zielvorgabe einer Grippe-Impfquote von 75 Prozent in Deutschland bei Weitem nicht erreicht. Auch unter älteren Menschen betrage diese trotz eines Anstiegs in den vergangenen Jahren immer noch unter 50 Prozent. Unter Erwachsenen mit impfrelevanten Grunderkrankungen liege die Quote bundesweit bei 39 Prozent. Bei Schwangeren sei sie seit 2016/17 von zehn auf 23 Prozent angestiegen.

In der Ärzteschaft war die Impfquote gegen Grippe mit 79 Prozent in der Saison 2019/20 am höchsten. Gegenüber der Saison 2017/18 war das ein Plus von zwanzig Prozentpunkten. Darüber hinaus liegt der Anteil an gegen Grippe Geimpfter am Gesundheits- und Pflegepersonal bei 47 bis 48 Prozent.

Unabhängig von der Frage des Grippe-Impfschutzes empfehlen Ärzte in jedem Fall den Verzehr von Obst und Gemüse sowie Bewegung, um das Immunsystem zu stärken.



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