Primärdaten zu Corona-Impfstoffen: Wissenschaftler fordern mehr Transparenz

Mehrere Forscher haben den Mangel an Zugang zu Primärdaten von Studien zu Corona-Impfstoffstudien beklagt. Einer von ihnen ist Mitglied der STIKO.
Der bislang verwendete Corona-Impfstoff von Moderna wird in einem Impfzentrum vorbereitet.
Der bislang verwendete Corona-Impfstoff von Moderna wird in einem Impfzentrum vorbereitet.Foto: Jörg Carstensen/dpa
Von 5. Oktober 2022


Mehrere zum Teil namhafte Forscher haben den Umgang von Pharmaunternehmen mit Primärdaten zu COVID-19-Impfstoffstudien beklagt. Gegenüber der „Welt“ werfen die Wissenschaftler den Konzernen mangelnde Transparenz und teilweise sogar „Geheimniskrämerei“ über relevante Daten vor.

STIKO: Primärdaten Voraussetzung für unverzerrten Informationsstand

Der Direktor des Forschungsnetzwerks Cochrane Deutschland, Jörg Meerpohl, fordert insbesondere die Herausgabe der entsprechenden Primärdaten von BioNTech und Moderna. Meerpohl ist gleichzeitig auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO).

Diese sei darauf angewiesen, dass es einen barrierefreien Zugang zu allen relevanten klinischen Studiendaten gäbe. Nur so könne sichergestellt werden, dass „die Evidenz, die die Grundlage für Entscheidungen bildet, nicht verzerrt ist und dem Stand der Wissenschaft entspricht“.

Bis dato stehen den Forschern mit Blick auf die Zulassungsstudien nur von den Unternehmen selbst interpretierte Daten zur Verfügung. Darüber hinausgehende Daten stünden unter Verschluss, berichtet die „Welt“. BioNTech verwies auf Anfrage bezüglich der Herausgabeforderungen auf die Europäische Arzneimittelbehörde EMA als Ansprechpartnerin.

Kekulé: Primärdaten sind „öffentliches Gut“

Kritik an der Informationspolitik der Hersteller kommt aber auch von anderen bekannten Wissenschaftlern. Charité-Immunologe Andreas Radbruch erklärte, die Behörden hätten die Pflicht, die Primärdaten anzufordern. Die Hersteller müssten diese liefern.

Auch Virologe Alexander Kekulé nannte die Primärdaten ein „öffentliches Gut“. Dies gelte vor allem bei einem Impfstoff wie den mRNA-Präparaten, die anders als „exotische“ Impfstoffe eine breite Bevölkerung tangierten.

Das restriktive Verhalten der Unternehmen auch gegenüber Fachleuten stachele Argwohn an. Radbruch äußerte:

Daten unter Verschluss zu halten oder den Zugang zu erschweren, lässt den Verdacht aufkommen, die Impfstoffe könnten nicht so sicher sein wie behauptet.“

Doshi-Studie wird zum Zankapfel

Epidemiologe Klaus Stöhr äußert sich in ähnlicher Weise. Mit offenen Karten zu spielen, sei insbesondere nach dem Bekanntwerden weiterer Risiken bezüglich Nebenwirkungen bei jüngeren Menschen besonders wichtig.

Stöhr brachte dabei insbesondere eine jüngst veröffentlichte Studie des Pharmazieprofessors Peter Doshi ins Spiel. Darin erklärte Doshi, es sei bezüglich der Nebenwirkungen von deutlich höheren Werten auszugehen, als das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sie ausweise. Allerdings erklärte Doshi auch, seiner Untersuchung könnte es an Aussagekraft mangeln, eben weil er keine Primärdaten zur Verfügung gehabt habe.

Doshi hatte bereits 2021 erklärt, es sei von einer geringeren Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe auszugehen als von diesen angegeben. Auch damals monierte er bereits die fehlenden Primärdaten. Demgegenüber werfen Kritiker wie Medienwissenschaftler Marko Kovic Doshi auf Twitter vor, in seinen Untersuchungen Rosinenpickerei mit Daten zu praktizieren.

Ärzte melden Nebenwirkungen manchmal nicht dem PEI

Unter Verweis auf eigene Recherchen schreibt die „Welt“ jedoch, es sei durchaus denkbar, dass die Zahl der tatsächlichen Nebenwirkungen höher sei als die vom PEI registrierten. Das Institut räumt selbst ein, keine für genauere Analysen substanziellen Daten zur Verfügung zu haben. Dafür benötigte man konkrete Patientendaten, etwa von Krankenkassen.

Bis dato sei man auf anekdotische Berichte von Personen angewiesen, die Nebenwirkungen angeben, sowie auf Meldungen von Hausärzten. Diese müssten pro Meldung jedoch 20 bis 30 Minuten Zeit für einen entsprechenden Bericht aufwenden – ohne dass dies vergütet würde. Diese, so die „Welt“, würden einige Ärzte eigenen Angaben zufolge nicht immer aufwenden. Fazit des Blatts:

Gut möglich also, dass die tatsächlichen Zahlen höher sind.“



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