ALS: „Helft Tom“
Es ist Sonntagabend. Ich bin auf dem Weg zu Tom, der an ALS (Amyotrophischer Lateralsklerose) erkrankt ist. Immer wieder muss ich während der Fahrt an die Ice-Bucket-Challenge denken, an die Bilder, die damals um die Welt gegangen sind – Bilder von Menschen, die sich Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf gegossen haben, um einmal das Gefühl der Lähmung zu spüren, mit dem ALS-Kranke täglich leben.
Eine Lähmung, die sich nicht nur auf einen bestimmten, kleinen Bereich des Körpers begrenzt und für kurze Zeit bleibt und wieder vergeht, sondern immer weiter voranschreitet. Eine Lähmung, die Stück für Stück im Körper der Betroffenen hochkriecht, bis sie irgendwann das Atem- und Sprachzentrum erfasst und ihnen die Luft zum Leben raubt, sodass sie intubiert und beatmet werden müssen. ALS ist unheilbar.
Bei dem Gedanken daran wird mir schwindlig und ein flaues Gefühl in der Magengegend beschleicht mich. Wie kann ein Mensch mit solch einer tückischen Krankheit leben? Wie kann er – ohne den Verstand zu verlieren – damit leben, dass die Lähmung Stück für Stück immer mehr Besitz von seinem Körper ergreift und er all das bei vollem Bewusstsein und klarem Verstand miterlebt?
Ich parke meinen Wagen vor einem fünfstöckigen Hochhaus im Berliner Westend und klingele an der Tür der Wohngemeinschaft im dritten Stock, in der Tom gerade lebt. Ich habe meinen Dalmatiner Whiskey mitgebracht. Eine nette Pflegerin öffnet uns, und als ich Toms Zimmer betrete, sehe ich, dass er gerade von zwei weiteren Pflegern versorgt wird. Also nutze ich die Zeit und besorge eine Vase für die Sonnenblumen und die himmelblauen Agapanthus, die ich Tom mitgebracht habe. Lachen dringt aus seinem Zimmer zu mir herüber und als ich wenig später mit dem Blumen zu ihm hereinschaue, sehe ich einen fröhlichen jungen Mann, der mit den Pflegern scherzt und der trotz seiner unheilbaren Erkrankung seinen Humor nicht verloren hat.
Tom freut sich sehr, dass ich ihm diese prachtvollen Blumen mitgebracht habe, aber ganz besonders beglückt ist er über den Besuch von Whiskey. Schmerzlich vermisst er seine Charlotte, eine bildschöne Weimaraner-Hündin, die er leider nicht in diese WG mitnehmen durfte. „Stell doch die Blumen ins Fenster“ bittet er mich, „damit ich sie sehen kann“. Ich tue ihm gerne den Gefallen. Tom, das sehe ich an seinem Blick, genießt Pflanzen, er liebt das Zwitschern der Vögel und er liebt es, den Sonnenaufgang zu sehen, wie er mir später erzählt.
Ich setze mich so unter das geöffnete Fenster, dass er mich auf seiner „guten Seite“ besser sehen kann. Unterdessen macht es sich Whiskey am Fußende des Bettes gemütlich.
Während der nächsten knapp zwei Stunden, die Tom und ich gemeinsam verbringen, werden wir oft lachen, doch mindestens genauso häufig sind wir beide den Tränen nahe. Tom weint oft und ich glaube, dass es ihm gut tut, dass er seinen Emotionen freien Lauf lassen kann. „Die Erkrankung“, so erzählt er mir, „schreitet so schnell fort, dass ich mit meinem Kopf einfach nicht hinterher komme, um das alles zu verstehen und zu verarbeiten.“
ALS wurde bei Tom Mitte März 2015 diagostiziert: „Ich war total geschockt“, erzählt er, "dass ich so eine heftige Diagnose bekommen habe. Durch die Ice-Bucket-Challange wusste ich ja, was das für eine Erkrankung ist. Ich habe sofort angefangen zu weinen. Der Oberarzt hat mir dann alles ganz genau erklärt: Er hat mir meinen Körper aufgezeichnet und erklärt, was alles gelähmt sein wird und wie die Lähmungen eintreten werden. (Tom weint) Die unteren und oberen Extremitäten und der Rumpf, so hat er mir gesagt, werden irgendwann komplett lahm sein. Und obwohl ich seinen Ausführungen zugehört und seine Worte auch verstanden habe, konnte ich all das nicht begreifen.
Schließlich hat er mich dann auch gefragt, ob ich die Lebenserwartung hören will. Und das war dann doch zuviel für mich. ‚Stopp!‘, hab ich ihn angebrüllt. Ich war wütend und das letzte, was ich jetzt hören wollte, war, dass ich nur noch ein paar Monate zu leben hätte.“
Seither hat sich Toms Zustand rasant verschlechtert. Konnte er Ende April noch selbstständig mit dem Taxi zu seinen Arztterminen fahren und mit seinem Rollator auf die Station laufen, kann er heute ohne Hilfe nichts mehr tun. Vierzehn Tage vor unserem Gespräch hat ihm eine Lungenentzündung seine letzte Autonomie geraubt. „Damals konnte ich mich wenigstens noch anziehen oder Zähne putzen. Jetzt kann ich nichts mehr alleine machen.“ Seine Beine und Arme sind weitgehend gelähmt, sogar essen kann er nicht mehr selbstständig.
Das Fortschreiten seiner Erkrankung macht Tom keine Angst. „Ich möchte so lange leben, wie ich Lebensqualität empfinde. Und wie lange das sein wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich hatte beispielsweise schon gedacht, dass eigentlich bereits der Punkt gekommen ist: Ich kann nicht mehr selbstständig essen und trinken. Und wenn das Pflegepersonal mich füttert – und dann vielleicht noch mit nach Latex stinkenden Gummihandschuhen -, habe ich auch tatsächlich keinerlei Freude oder gar Hunger auf Frühstück. Aber wenn es Freunde für mich tun, so wie heute, kann ich das genießen.“
Aber das Schlimmste für ihn ist die Hilflosigkeit, dieses Ausgeliefertsein, das Gefühl, ohne die Hilfe anderer Menschen nicht mehr leben, nicht mehr existieren zu können. „Das ist verdammt hart,“ erklärt er mir, "und um das anzunehmen brauchst du viel Geduld mit dir selbst. Geduld, die ich erst lernen musste! Die Krankheit hat sie mich gelehrt.“
Als ich Tom frage, was er anderen ALS-Kranken mit auf den Weg geben möchte, antwortet er: „Dass jeder für sich seinen ganz eigenen Weg finden muss, mit dieser voranschreitenden, massiven Krankheit und dem ‚Nicht-mehr-Können‘ umzugehen. Wichtig ist, dass man bereit sein muss, sich in eine maximale Abhängigkeit zu begeben. Das ist eigentlich das Schwierigste an ALS. Jeder muss für sich einen Weg finden, das zu akzeptieren – und das ist verdammt schwer. Aber wenn man es tut, kostet es am wenigsten Kraft. Anfangs habe ich auch dagegen gekämpft, aber diese Kraft brauche ich für anderes. Und jeder sollte sich die eine, ganz entscheidende Frage stellen: ‚Was will ich noch?’“
Sein größter Herzenswunsch ist es, einige Zeit an der Ostsee zu verbringen, „am liebsten auf der Halbinsel Darß, direkt am Wasser. Aber dafür benötige ich natürlich Pflegepersonal (zwei Pfleger mindestens), die mich begleiten, denn ich bin rund um die Uhr auf Pflege angewiesen. Ich weiß ja auch gar nicht, wie viel Zeit mir bleibt, vielleicht geht es ja weiter so schnell wie bisher. Deshalb habe ich mit der Krankheit ein paar ernste Worte gewechselt und zu ihr gesagt, sie soll mal etwas das Tempo rausnehmen, weil ich noch etwas zu tun habe.
Und natürlich ist mein Herzenswunsch, meine geliebte Weimaraner-Hündin Charlotte wieder bei mir zu haben. Nach Ahrenshoop aufs Fischland zu kommen wäre so schön, ich sehe mich dort auch oft in meinen Tagträumen mit meinem Elektrorolli langjagen und Charlotte, die im Wasser spielt.“
Wenn Sie mithelfen wollen, Toms Traum Wirklichkeit werden zu lassen, dann können Sie hier Ihren Beitrag dazu leisten: ALS: Helft Tom
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