Resilienz: Geheimrezept für ein erfolgreiches und glückliches Leben

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Die Ergebnisse der Resilienzforschung zeigen, dass es unter bestimmten Voraussetzungen gelingt, das seelische Immunsystem aufzupäppeln. Zeichnung Christian Schlierkamp

Ja, es gibt sie wirklich: Menschen, die scheinbar nichts aus der Bahn werfen kann. Menschen, die nicht an ihrem Schicksal verzweifeln, ganz egal, wie traumatisch ihre Erfahrungen sein mögen. Doch was unterscheidet diese Menschen von denjenigen, die daran zerbrechen? Was ist ihr Geheimnis?

Die Antwort lautet Resilienz – eine Fähigkeit, die sie gegen Angriffe von außen widerstandsfähig macht. „resilire“ ist lateinisch und bedeutet „zurückspringen“ oder „abprallen“.

Das bedeutet, dass solche Menschen die Fähigkeit haben, negative Einflüsse von sich abprallen zu lassen und innerlich gesund zu bleiben. Doch wie wird man resilient? Haben sie einfach nur Glück gehabt, weil ihnen diese segensreiche Fähigkeit in die Wiege gelegt wurde, oder kann jeder lernen, resilient zu sein?

„Wir schaffen das schon…“

Entspannt sitzt der 39-jährige Max auf seinem Stuhl in der psychologischen Praxis. Er lehnt sich zurück, wirkt ausgeglichen und strahlt selbst dann noch Optimismus aus, als er seiner Ehefrau Silvia lauscht, die über ihre dunklen Phasen spricht. „Es gibt Tage“, erzählt sie, „an denen mir alles zu viel wird. Dann kann ich mich noch nicht einmal um unsere Zwillinge kümmern.“ Die junge Frau wirkt verletzlich. Ihre Stimme ist gedämpft und ihr Tonfall vermittelt eine Hoffnungslosigkeit, der man sich nur schwer entziehen kann. Tränen rinnen über ihre Wangen.

Silvia schluckt, bevor sie fortfährt: „Es sind Tage, an denen die Traurigkeit mich fest umklammert und das Depressionsmonster Einzug in mein Leben hält und alles verdrängt, was mir wichtig ist. Dann,“ so sagt sie leise, „möchte ich einfach nicht mehr leben, sondern ich will nur noch, dass es aufhört.“ Ihr Kopf ist gesenkt, sie wirkt wie eine Bergsteigerin, die den Halt längst verloren hat, nur noch an einem dünnen Sicherungsseil hängt und weiß, dass ihre Kraft nicht reichen wird.

Silvia hat aufgegeben. Doch Max kämpft. Er kämpft für seine Frau, und ihr gemeinsames Glück. Immer wieder legt er liebevoll seinen Arm um Silvias Schulter, nimmt ihre Hand, streichelt sie und flüstert: „Wir schaffen das schon, Liebling, ich bin ja bei dir. Mach dir keine Sorgen. Das wird schon wieder.“

Silvia leidet unter Depressionen und hat keine Hoffnung, dass es jemals aufhört. Sie leidet darunter, dass sie keine Lebensfreude mehr empfindet, keine Liebe, keine Begeisterung, kein Glück. Doch Max fängt sie auf, wenn es ihr schlecht geht, erzählt er liebevoll lächelnd. Er kümmert sich um die Zwillinge, geht mit ihnen in den Zoo oder ins Kino, macht mit ihnen Hausaufgaben und kocht für seine Familie.

Max, das Heimkind

Nicht immer war Max so ausgeglichen, optimistisch und in sich ruhend wie heute. Noch gut erinnert er sich an seine Zeit als Heimkind, an die Schikanen der Erzieher, an ihre Misshandlungen und an drakonische Strafen. Er erzählt von dem Tag, als er seine Eltern verlor, erzählt von seiner Kindheit im Heim, wie er damals mehr als drei Stunden im kalten, zugigen Flur des Schlosses „Fröhliche Wiederkehr“ stand und fror, wie er auf die nackten, weißen Wände des Flurs starrte.

Er erinnert sich, wie ein eiskalter Wind damals durch das offene Fenster im ersten Stock über die steinerne Wendeltreppe direkt auf ihn herab blies, während er dort stehen musste, dem Spott der anderen Kinder und „Aufseher“ ausgesetzt. Wie im Mittelalter hatte er sich gefühlt, als ob er an einem Pranger stand und Freiwild für jeden war. Tränen rannen damals über seine Wangen, aber er wusste, dass er durchhalten musste. Denn es gab niemanden, der für ihn da sein würde, niemanden, der kommen würde, um ihn zu trösten oder ihn in den Arm zu nehmen.

Max erzählt von Schlägen mit dem Schlüsselbund, dem Kleiderbügel der Hand oder dem Rohrstock, je nachdem, was die Erzieher gerade parat hatten. Er berichtet über seine Angst, etwas falsch zu machen, davon, wieder bedroht, bestraft und geschlagen zu werden, erzählt von Schmerzen, Trauer und Vereinsamung.

Nicht aufgeben, kämpfen!

Doch eines hat er nie getan: Aufgegeben. Er hat gekämpft, seinen mittleren Schulabschluss gemacht, sein Abitur nachgeholt und Modedesign studiert. Heute ist er Chef seines eigenen Modelabels mit Hauptsitz in New York und 140 Mitarbeitern. Ohne Frage ist Max ein besonderer Mensch, einer, den Stürmen des Lebens getrotzt und standgehalten hat.

Doch wie hat er geschafft, an seinem Schicksal als Heimkind nicht zu verzweifeln, sondern zu dem ausgeglichenen Menschen werden, der er heute ist? Was unterscheidet ihn von anderen, die es nicht schaffen, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten? Ist er einer der wenigen auserwählten Stehaufmännchen? Mitnichten. Max ist resilient und verfügt über die Fähigkeit, schmerzhafte Erfahrungen und Lebenskrisen zu überstehen und sich trotz dieser Schwierigkeiten weiter zu entwickeln.

Eine Vielzahl psychologischer Studien konnte bereits belegen, dass nicht alle Menschen mit traumatischen Erfahrungen dauerhaft psychisch geschädigt werden. Im Gegenteil: Weniger als 30 Prozent können Schicksalsschläge nicht verarbeiten, egal, ob es sich dabei um eine Umweltkatastrophe, um eine Scheidung, eine lebensbedrohliche Krankheit, den Tod eines Angehörigen oder Misshandlungen in Kinderheimen wie im Fall von Max handelt. Zu diesem Ergebnis kam zumindest der US-amerikanische Psychologe George A. Bonnano.

Was ist Resilienz?

Resilienz ist ein Begriff der eigentlich aus der Werkstoffphysik kommt. Dort gelten Materialen wie Gummi, die nach Momenten extremer Spannung wieder in ihren Ursprungszustand zurückkehren, als resilient. Bei Menschen funktioniert dieses Prinzip ähnlich: Resiliente Menschen besitzen eine hohe seelische Widerstandskraft und Beweglichkeit und sind deswegen psychisch weitgehend immun gegen Angriffe des Schicksals. Sie erholen sich nicht nur erstaunlich schnell von extremen Stresssituationen sondern gehen sogar gestärkt aus ihnen hervor.

Als Pionierin der Resilienzforschung gilt die Entwicklungspsychologin Emmy E. Werner. In ihrer 1971 vorgelegten Studie untersuchte sie über 40 Jahre hinweg die Entwicklung von 700 Kindern auf der Insel Kauai und beobachtete gerade diejenigen intensiv, die unter besonders schweren Bedingungen aufwuchsen. Im Ergebnis stellte sie fest, dass ein Drittel der Kinder über die Eigenschaft der Resilienz verfügte. Doch was war es, das diese Kinder von den anderen unterschied?

Die Forscherin erkannte, dass es vor allem eine stabile Beziehung zu einer Vertrauensperson gab, die ihnen Halt gab und als Vorbild diente. Diese Person konnte ein Familienmitglied oder jemand außerhalb der Familie sein, der sich besonders um das Kind kümmerte, beispielsweise ein Klassenlehrer, ein fürsorglicher Nachbar, Eltern von Freunden, ein Betreuer, Pastor, Pfarrer oder ein Jugendleiter.

Außerdem mussten diese Kinder früh Verantwortung übernehmen. Sie wurden also gefordert, waren aber offensichtlich den Anforderungen gewachsen. Im Alter von etwa zehn Jahren verfügten sie über bessere Fertigkeiten in der Lösung praktischer Probleme als nicht resiliente Kinder. Sie konnten besser lesen als diejenigen, die später Lernschwierigkeiten oder Verhaltensprobleme entwickelten. Außerdem hatten sie ein vergleichsweises hohes Selbstwertgefühl und waren sehr hilfsbereit.

Im fortgeschrittenen Jugendalter verfügten sie über einen hohen Grad an Selbstwirksamkeit, d. h. sie glaubten an sich selbst und waren davon überzeugt, dass sie Probleme, mit denen sie konfrontiert waren, durch eigenes Handeln bewältigen konnten. Schließlich spielte auch das Temperament eine Rolle: sie verfügten über eine eher ruhige, positive Wesensart, wurden als liebevoll, anschmiegsam, freundlich, „pflegeleicht" und aktiv beschrieben und verhielten sich offen gegenüber anderen Menschen.

Wie Resilienz funktioniert

Doch was ist es nun genau, das Menschen schicksalhafte oder traumatische Erfahrungen überwinden lässt? Fest steht: Resilienz ist keine Fähigkeit, die von heute auf morgen einfach da ist, sondern sie entwickelt sich. Auf dem Weg dorthin durchlaufen Menschen zunächst eine Phase der Revolte. Wie Max weigern sie sich, ihre Opferrolle anzunehmen und sich als zum Unglück Verurteilte anzusehen. Es geht darum, den harten Schicksalsschlag zu akzeptieren und unter Kontrolle zu bekommen, um ihn anschließend umzuwandeln und wieder ein normales Leben zu führen, auch wenn die Wunde nie vollkommen verheilen wird.

Haben sie ihren Entschluss erst einmal gefasst, folgt eine Zeit, in der sie ihre Träume verfolgen und sich Ziele setzen, die sie erreichen wollen. Diese Ziele nehmen sie als Herausforderung an und verfolgen sie beharrlich, konzentriert, fokussiert und ehrgeizig.

Natürlich spielt in diesem Prozess auch Humor eine Rolle: Resiliente Menschen wie Max entwickeln meist eine ganz eigene Form von Humor und können über sich selbst lachen. Viele Resiliente sind besonders kreativ, sie zeichnen, schreiben oder machen Musik, um ihr Unglück zu verarbeiten und aus vorgegebenen Wegen auszubrechen. Es ist ihre Art, ihr Anderssein zu leben und zu unterstreichen.

Auch genetische Faktoren tragen zur Resilienz bei. Manche Kinder sind schon von Geburt an psychisch stabiler als andere. Aber auch ein harmonisches, Sicherheit bietendes familiäres Klima, in dem sich das Kind in seinen ersten Lebensjahren entwickelt und ein engmaschiges soziales Netz, das sich das Kind außerhalb der Familie erschafft, sind wichtige Faktoren, die dazu beitragen, eine psychische Widerstandsfähigkeit aufzubauen. Statistisch gesehen ist ein Kind, das diese positiven Komponenten bereits in jungem Alter erlebt, besser gerüstet, um die Schwierigkeiten der Existenz ohne größeren Schaden zu überstehen.

Ist Resilienz erlernbar?

Die Ergebnisse der Resilienzforschung zeigen, dass es unter bestimmten Voraussetzungen gelingt, das seelische Immunsystem aufzupäppeln. Resilienzforscher sind überzeugt, dass Widerstandsfähigkeit sowohl in der Kindheit als auch im Erwachsenenalter erlernbar ist. Dabei ist es für Kinder wichtig, dass sie gelobt werden, wenn sie etwas geleistet haben. So lernen sie, Vertrauen in ihre eigene Kompetenz zu entwickeln. Kinder sollten außerdem wissen, dass es immer verschiedene Sichtweisen auf eine Situation gibt und dass es wichtig ist, Freundschaften zu finden und diese auch zu pflegen.

Erwachsene, die resilient werden wollen, sollten üben, nicht in selbstschädliches Grübeln verfallen. Denn die Gedanken, die sie sich zu einem Geschehen machen, verursachen Gefühle, die ihr Handeln leiten. Wenn sie also glauben, vom Pech verfolgt zu sein, macht sie das zum verzweifelten Opfer und lähmt ihre Handlungsfähigkeit. Denken sie hingegen positiv, nach dem Motto „Dieses Mal hatte ich Pech, aber ich bin zuversichtlich, dass es vorrübergeht“, haben sie Hoffnung, die Situation beherrschen und verbessern zu können.

Wichtig ist, dass sie lernen, für sich selbst zu sorgen, an sich und ihre eigene Leistungsfähigkeit zu glauben, soziale Kontakte aufzubauen und zu pflegen, realistische Ziele zu entwickeln und die Opferrolle zu verlassen.

Grenzen der Resilienz

Auch wenn die Forschung gezeigt hat, dass Resilienz erlernbar ist,  hat die Erlernbarkeit auch Grenzen. So ist ein Leben nach dem Motto „Glaube an dich und deine Fähigkeiten! Sei kein Opfer!“ sicher nur schwer jemandem vermittelbar, der von Kindheit an die Erfahrung gemacht hat, nichts wert zu sein und auf der Verliererseite zu stehen.

Wege zur Resilienz

Es gibt verschiedene Wege, Resilienz zu lernen. Dazu gehören vor allem das Training einer optimistischen Lebenshaltung, zu lernen, Schicksalsschläge anzunehmen und zu akzeptieren, lösungsorientiert an Probleme heranzugehen, die Opferrolle hinter sich zu lassen, Verantwortung zu übernehmen, und die Fähigkeit, sich ein funktionierendes soziales Netzwerk aufzubauen sowie die Zukunft zu planen.

Menschen, die resilient sind, sind überzeugt, dass ihre  Krisen zeitlich begrenzt sind, überwunden werden können und langfristig gesehen eine positive Lernerfahrung darstellen. Sie sind optimistisch, nehmen ihr Leben in die Hand, setzen auf ihre eigenen Ressourcen, sind zielstrebig und effektiv.

Sie richten ihre Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf andere Personen oder Umstände, sondern vielmehr auf sich selbst. Sie verlassen die Opferrolle, setzen sich mit der bestehenden Sachlage auseinander und schauen, welchen eigenen Anteil sie an der jetzigen Situation haben. Sie lassen sich nicht zum Sündenbock machen, sind bereit, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen und die Konsequenzen zu tragen. Die Fähigkeit, sich anderen Menschen zu öffnen, sich mitzuteilen und offen miteinander umzugehen gehört ebenso zu diesem Lernprozess wie die Zukunft zu planen, sich über Wahlmöglichkeiten bewusst zu sein und Visionen zu haben.

Krisen sind überwindbar

Auch wenn wir Schicksalsschläge nicht verhindern können, so können wir doch beeinflussen, wie wir sie einordnen und mit ihnen umgehen. Wichtig ist, dass wir Krisen nicht als unüberwindbare Hindernisse ansehen, sondern akzeptieren, dass Schicksalsschläge zu unserem Leben gehören.

Es gibt wohl keinen Menschen, der nicht schon einmal in einer Krisensituation gewesen wäre, die ihn zunächst überfordert hat. In solchen Situationen ist es wichtig, zu akzeptieren, was nicht zu verändern ist, um sich auf das zu konzentrieren, was wir ändern können. Wir sollten nach vorne schauen, und uns kleine, aber realistische Ziele setzen.

Literatur: Sandra Maxeiner, Hedda Rühle (2014), Dr. Psych’s Psychopathologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Band 1 und Band 2, Jerry Media Verlag



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