Stehen bald Kalorienangaben auf der Speisekarte?

Wer ein paar Kilo zugelegt hat, achtet oft stärker auf die Kalorien beim Essen. In England müssen viele Ketten diese Angabe jetzt auf ihre Speisekarten drucken. Hilft das gegen Übergewicht?
Angaben zu Kalorien und Nährwerten auf einem Hinweisschild.
Angaben zu Kalorien und Nährwerten auf einem Hinweisschild.Foto: Michael Kappeler/dpa
Epoch Times26. April 2022

Wer ins Restaurant geht, möchte sich verwöhnen lassen – oder einfach schnell satt werden. Doch wollen sich Gäste bei der Auswahl von Fisch, Fleisch oder Nudeln Gedanken machen über den Kaloriengehalt? Haben sie Lust, Energiewerte auf der Speisekarte zu studieren und sich gegen Kalorienbomben zu entscheiden?

In England glaubt die Regierung, dass Kalorien-Angaben auf der Karte im Kampf gegen das grassierende Übergewicht helfen. Seit April müssen größere Ketten dort diese Zahlen im Menü ausweisen. In Deutschland gibt es diese Pflicht nicht. Aber Berlin prüft, ob sie Sinn ergibt. Die Gegner der Kalorien-Listen im Lokal protestieren schon im Vorfeld.

Das reine Kalorienzählen werde von Wissenschaftlern als Methode zum Fördern der gesunden Ernährung schon „seit Jahrzehnten als Humbug abgetan“, warnt etwa die als Köchin bekannt gewordene Sarah Wiener (59). „Ich habe das Gefühl, bei derartigen Vorschlägen wird immer noch so getan, als wären Menschen Otto-Motoren: Kraftstoff rein, Energie raus. Ernährung ist aber wesentlich komplexer“, sagt die Unternehmerin und österreichische Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament.

Mit anderen Worten: Wem und wofür hilft es bei der Auswahl auf der Speisekarte zu lesen, dass mancher Salat kalorienmäßig schwerer wiegt als einige Pasta-Gerichte?

Das Bundesministerium prüft

„Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) prüft derzeit, ob eine verpflichtende Angabe der Kalorien in der Außer-Haus-Verpflegung möglich und sinnvoll ist“, erläutert eine Sprecherin des Ministeriums mit Blick auf das britische Modell. Dazu müssten die rechtliche Umsetzbarkeit ebenso untersucht werden wie die praktischen Aspekte für Verbraucher und Unternehmen. „Eine Bewertung kann deswegen zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgen.“

Anders als im Lokal sind in Deutschland die Pflichten für den Handel bereits eingeführt: Essen in Fertigverpackungen wird im Laden mit Kalorien-Angaben ausgezeichnet. Egal ob Chips, Quark oder Marmelade, auf der Ware stehen meist klein gedruckt die Nährwertangaben. Diese Pflicht ist Teil der Lebensmittelinformationsverordnung der Europäischen Union (EU).

Die Verbraucher sollen damit die Chance haben, bewusst auszuwählen. Das wiederum soll helfen, Übergewicht, Adipositas (Fettleibigkeit) und andere Krankheiten wie Diabetes in der Gesellschaft zurückzudrängen. Dieses Argument spielte auch in England bei neuer Speisekarten-Regel eine Rolle.

2.000 Kilokalorien am Tag

In Deutschland stufen Fachleute rund zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen als übergewichtig ein. Zugleich sind Kalorien-Angaben in Lokalen bisher freiwillig – und selten. Einige Ketten nennen sie zum Beispiel in ihren Internet-Auftritten. Verbraucher können sich damit vor dem Besuch schlaumachen: Ein „Big Mac“ von McDonald’s hat rund 500 Kilokalorien, wie man dort lesen kann. In einem Block-House-Restaurant kommt ein „Mr. Rumpsteak“ ohne Beilagen demnach auf etwa 350 Kilokalorien. Für Erwachsene gilt, stark vereinfacht, ein Bedarf um die 2.000 Kilokalorien am Tag als Regel.

„Wir stellen unseren Gästen die Allergene und Nährwerte der Block-House-Gerichte seit gut zehn Jahren zur Verfügung“, berichtet Markus Gutendorff, Vorstand der Block House Restaurantbetriebe AG, zu den Internet-Infos. „Tatsächlich haben wir in den Block-House-Restaurants kaum Anfragen zu den Energie- und Nährwerten unserer Gerichte.“ Wobei eine Sprecherin erläutert, dass die Webseiten der Steakhaus-Kette aus Hamburg gut genutzt würden.

Argumente dagegen

Freiwillige Netz-Infos sind das eine – ein gesetzlicher Zwang zu Energiewerten auf Karten wäre aus Sicht des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) der falsche Weg. „Der Dehoga spricht sich deutlich gegen die verpflichtende Angabe von Kalorien auf Speisekarten in heimischen Restaurants aus“, stellt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes, klar. „Das neue Gesetz ist in Großbritannien umstritten – und das nicht ohne Grund.“

Für sie sei das Konzept kein geeignetes Mittel gegen Übergewicht. „Das alleinige Zählen von Kalorien ersetzt keine ausgewogene, gesunde Ernährung und Bewegung“, führt Hartges aus. Sie verweist auf Erfahrungen im Handel: „Es ist bekannt, dass Kunden im Supermarkt trotz der Angaben zu Lebensmitteln greifen, die besonders hohe Kalorien aufweisen.“

Zudem führt der Verband die Mehrarbeit für Lokale an: „In unserer Branche geht es um Genuss. Man stelle sich den bürokratischen Aufwand für die Betriebe vor mit zum Teil täglich wechselnden Angeboten, die für jedes Gericht die Kalorien für die einzelnen Zutaten in der jeweiligen Menge berechnen müssten.“

Ähnlich argumentiert Antje Gahl, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn: „Kalorien-Angaben auf Speisekarten stehen aus unserer Sicht nicht im Fokus, wenn es um gesunde Ernährung geht.“

Das Zählen der Energiewerte könne wichtig sein, wenn stark übergewichtige Menschen im Rahmen einer Therapie gezielt Kalorien reduzieren müssten. Aber im Alltag, auch beim Restaurantbesuch, zähle ein viel breiteres Verständnis, etwas Gesundes zu essen: Es gehe um Genuss, Geschmack, Qualität, Frische, Vielfalt, Ausgewogenheit, Freude beim Essen in angenehmer Atmosphäre.

In ausgewählten Bereichen sei das Kochen mit der Kalorientabelle umsetzbar – aber nicht überall. „Denn dazu müsste nach exakten Rezepturen immer genau gekocht werden.“ In kleineren Restaurants und in der gehobenen Gastronomie könnte so die Kreativität von Köchin oder Koch leiden, sagt die Ernährungsfachfrau. „Er kann dann seine Rezepte nicht nach Gefühl verfeinern, etwa mit Sahne oder einem Schuss Alkohol, weil sich dann der Kaloriengehalt ändert.“ (dpa/red)



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