Überdiagnosen bei älteren Frauen und die Folgen moderner Brustkrebserkennung

Die häufige Überdiagnose von Brustkrebs bei älteren Frauen wirft Fragen über aktuelle Screening-Methoden auf. Dabei werden oft Fälle von Brustkrebs diagnostiziert, die niemals Symptome verursacht hätten. Unnötige Eingriffe und Therapien sind die Folge.
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Zwischen Früherkennung und Überdiagnose: Die Debatte um Brustkrebs bei älteren Frauen.Foto: iStock
Von 21. August 2023

Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen. In Deutschland erkranken nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts Berlin jedes Jahr etwa 66.800 Frauen und 770 Männer neu daran. Die genaue Ursache von Brustkrebs ist oft unklar.

Ein Großteil der mit Brustkrebs diagnostizierten Personen beginnt oft unverzüglich mit der Behandlung. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass dies möglicherweise überstürzt sein kann.

Laut einer vor Kurzem veröffentlichten US-Studie wird Brustkrebs bei Frauen zwischen 70 und 85 Jahren häufig überdiagnostiziert.

Diese Überdiagnose kann zu ungerechtfertigten Ängsten und überflüssigen, intensiven Therapieansätzen führen. Dabei handelt es sich vor allem um chirurgische Eingriffe und Chemotherapien. Diese tragen nicht zwingend zu einer Verbesserung der Lebensqualität bei.

Dr. Ilana Richman ist Hauptautorin der Studie und Assistenzprofessorin an der Yale School of Medicine in den USA. In einer Publikation der Universität erklärt sie: „Das Phänomen der Überdiagnose beschreibt Fälle, bei denen wir durch Screening Brustkrebs finden, der niemals Symptome verursacht hätte. Eine Überdiagnose kann auftreten, wenn der Krebs sehr langsam wächst oder wenn die Lebenserwartung einer Person kurz ist.“

Als Überdiagnostik werden überflüssige medizinische Untersuchungen bezeichnet. Sie liegen „potenziell immer dann vor, wenn Anomalien ohne Krankheitswert bei einer grundsätzlich gesunden und asymptomatischen Person abgeklärt werden“. Dr. Frank Antwerpes schreibt im DocCheck Flexikon weiter, dass diese ein häufiger Kollateraleffekt von Screeninguntersuchungen oder Routineuntersuchungen mit besonders sensitiven diagnostischen Testverfahren sei.

Neubewertung von Screening-Praktiken für ältere Patienten

Die in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Annals of Internal Medicine“ veröffentlichte Studie unterstreicht die Wichtigkeit, Screening-Praktiken neu zu bewerten. Dabei sei es wichtig, aufklärende Gespräche mit den Patienten zu führen.

Obwohl die Mammographie eine Standardmethode für das Brustkrebs-Screening ist, weist die Studie auf eine Forschungslücke bei älteren Frauen hin. Personen, die älter als 74 Jahre sind, wurden häufig von großen zufallsbasierten Screening-Studien ausgeschlossen. Dadurch bestehen Unklarheiten über das gesamte Spektrum der Vorteile, aber auch über die möglichen Nachteile.

An der Studie nahmen 54.635 Frauen im Alter von 70 Jahren und älter teil. Ihre Brustkrebsdiagnosen und die damit verbundenen Todesfälle wurden über einen Nachbeobachtungszeitraum von 15 Jahren analysiert. Die Ergebnisse deuten auf eine signifikante Wahrscheinlichkeit von Überdiagnosen bei älteren Frauen hin – schätzungsweise bei 31 Prozent der Frauen im Alter von 70 bis 74 Jahren, bei 47 Prozent der 75- bis 84-Jährigen und bei 54 Prozent der Frauen ab 85 Jahren.

„Dieses Ergebnis zeigt, dass wir wirklich bessere Instrumente brauchen, um herauszufinden, welche Frauen vom Screening profitieren können und welche Brustkrebsarten wahrscheinlich nicht fortschreiten, damit wir eine Überbehandlung vermeiden können“, so Dr. Richman.

Die Problematik der Überdiagnose: Risiken vs. Nutzen

Es gibt zwei Hauptprobleme, die Ergebnisse der Studie in die klinische Praxis umzusetzen. Erstens ist es laut Dr. Richman schwierig, die Risiken einer Überdiagnose gegen mögliche Vorteile des Screenings auf individueller Basis abzuwägen. Das liege an den derzeitigen Unsicherheiten in den Daten.

Zweitens sei es schwierig, über das Konzept der Überdiagnose mit Patienten zu diskutieren, so die Allgemeinärztin weiter. Als eine abstrakte, unbekannte Idee, die nicht direkt beobachtet werden kann, passe diese nicht gut in vollgepackte Kliniktermine. „Um diese Herausforderungen zu bewältigen, brauchen wir Mittel, die das Gespräch zwischen Ärzten und Patienten erleichtern und den Frauen individuelle Informationen geben“, ergänzt Dr. Richman. „[Dies] kann sicherstellen, dass Entscheidungen über das Screening mit den Werten unserer Patientinnen übereinstimmen.“

Nach Angaben der amerikanischen Krebsgesellschaft (American Cancer Society) erreichen die Brustkrebsraten bei Frauen im Alter von 70 bis 74 Jahren ihren Höhepunkt. Mit 80 Jahren nimmt das Risiko ab, was zum Teil daran liegt, dass Frauen eher an anderen Ursachen wie Herzkrankheiten oder anderen Krebsarten sterben.

Verbesserte Erkennung auf Kosten steigender Überdiagnoseraten

Jüngste technologische Fortschritte – wie dreidimensionale Mammografie, Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) und Positronen-Emissions-Tomografie (PET) – haben die Erkennungsraten erhöht. Die Sensitivität dieser fortschrittlichen Bilder führt jedoch dazu, dass eine Vielzahl von Abnormalitäten erkannt wird, einschließlich nicht krebsartiger Gewebeveränderungen, langsam wachsender Tumore und Schädigungen.

Die Einführung von Screening-Programmen hat zu einem starken Anstieg der Diagnosen von sogenanntem invasivem Brustkrebs geführt – auch für Abnormalitäten, die typischerweise natürlich zurückgehen. Mit dem Begriff „invasiver Brustkrebs“ werden Tumorzellen bezeichnet, die sich ausbreiten. Sie entstehen am häufigsten in den Milchgängen der Brust.

Im aktuellen Paradigma wird Krebs, sobald er entdeckt wird, mit aggressiven Behandlungen wie Operationen, Strahlentherapie oder Chemotherapie behandelt. Diese verstärkte Behandlung erhöht jedoch die Risiken von Komplikationen und die finanziellen Belastungen. Sie setzt Frauen auch unnötigerweise wiederholter Strahlung durch Mammographien aus. Eine Mammographie ist im Wesentlichen ein Röntgenbild. Die ionisierende Strahlungsmethode wirft jedoch Bedenken auf, was das Risiko für strahleninduzierten Brustkrebs angeht.

Das zentrale Dilemma besteht darin, dass eine erhöhte Erkennung nicht gleichbedeutend mit verbesserten Ergebnissen ist. Weitere Forschungen sind erforderlich, um geeignete Screening-Richtlinien zu bestimmen.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „Overdiagnosis of Breast Cancer in Older Women—and Unnecessary Treatment—Is Widespread: Study“ (redaktionelle Bearbeitung il)



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