Antibiotika-Verwendung und Mikrobiom: Wie die moderne Medizin neue Wege gehen muss

Lange Zeit wurden Mikroorganismen hauptsächlich als Krankheitserreger betrachtet und bekämpft. Doch neueste Forschungen zeigen: Die überwiegende Mehrheit unserer Mikroben ist nicht nur harmlos, sondern sogar lebensnotwendig.
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Das menschliche Mikrobiom.Foto: (Konzeptionelle Illustration) iStock
Von 19. April 2023


Wir stehen möglicherweise am Beginn einer revolutionären Veränderung in der Medizin, wenn die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Mikrobiom den Weg in die Arztpraxen finden.

In unserer Artikelserie „Unser Darmmikrobiom kultivieren, um Krankheiten Einhalt zu gebieten“ möchten wir Ihnen aufzeigen, wie die aktuellen Fortschritte in diesem innovativen medizinischen Bereich unsere Sicht auf Krankheiten transformieren und neue Ansätze zur Heilung und Prävention eröffnen können.

 

Seit dem 19. Jahrhundert konzentriert die medizinische Forschung ihre Anstrengungen darauf, krankheitsverursachende Keime zu identifizieren und zu bekämpfen. Wissenschaftler hatten erkannt, dass Mikroorganismen Infektionskrankheiten verursachen, welche damals die häufigsten Todesursachen darstellten.

Dank verbesserter öffentlicher Sanitäranlagen und erhöhter Hygienestandards in Krankenhäusern zu Beginn des 20. Jahrhunderts gingen die Todesraten schnell zurück, noch bevor Penicillin und Impfstoffe auf den Markt kamen. Die Entdeckung von Antibiotika in den 1940er-Jahren führte zu einem revolutionären Fortschritt in der Behandlung von Infektionskrankheiten. Diese Arzneimittel heilten Millionen von Infektionen und retteten unzählige Leben. Allerdings führte der Einsatz von Antibiotika auch zu negativen Auswirkungen: die Bildung resistenter Superkeime und die Zunahme von Allergien, Autoimmunerkrankungen und entzündlichen Darmerkrankungen.

Von guten und schlechten Mikroorganismen

Ein Großteil der Mikroben, zu denen Bakterien, Viren und Pilze gehören, ist jedoch essenziell für unsere Gesundheit. Diese Mikroorganismen bilden das menschliche Mikrobiom, das in und auf unserem Körper lebt und eine Vielzahl an Funktionen erfüllt. Dazu gehören die Regulation des Immunsystems, der Stoffwechsel, die Hormonregulation und neurologische Funktionen. Die Vielfalt unseres Mikrobioms schützt uns vor Krankheiten und trägt maßgeblich zu unserer Gesundheit bei.

Dr. Neil Stollman, Vorsitzender der Gastroenterologie am Alta Bates Summit Medical Center in Kalifornien, betont: „Es existiert ein Zusammenschluss von Billionen von Organismen, die in uns, auf uns und um uns herum leben. Wenn wir diese Mikroben verlieren, sind wir anfälliger für negative Auswirkungen durch andere Mikroorganismen. Sie spielen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung unseres Immunsystems. Im Gegenzug unterstützen wir sie, indem wir ihnen ein Zuhause und Nährstoffe zur Verfügung stellen.“

Verstand und Verdauung: Eine bahnbrechende Verbindung

Die Darm-Hirn-Achse (Gut-Brain-Axis) ist ein faszinierendes Gebiet der medizinischen Forschung, das die Beziehung zwischen unserem Verdauungstrakt und unserer psychischen Gesundheit untersucht. Es handelt sich um eine bidirektionale Kommunikationsachse, die durch Nervenverbindungen, Hormone und Immunreaktionen vermittelt wird. Die Bakterien in unserem Darm spielen dabei eine entscheidende Rolle bei der Beeinflussung verschiedener metabolischer Prozesse, die sowohl die Durchlässigkeit des Darmtrakts als auch entzündliche Reaktionen im Körper steuern können.

Die Erkenntnisse über die Darm-Hirn-Achse haben unser Verständnis von psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und sogar Autismus revolutioniert. Es hat sich gezeigt, dass Veränderungen im Mikrobiom zu Veränderungen in der Produktion und Funktion von Neurotransmittern wie Serotonin führen können, die eine entscheidende Rolle bei der Regulierung von Stimmung, Schlaf und Appetit spielen.

Darüber hinaus wurde festgestellt, dass Entzündungsreaktionen, die durch das Ungleichgewicht der Darmbakterien ausgelöst werden, neurologische Störungen und kognitive Beeinträchtigungen verursachen können. Diese Entdeckung eröffnet neue Wege zur Behandlung von psychischen Erkrankungen, indem man sich auf die Wiederherstellung des Gleichgewichts des Darmmikrobioms konzentriert, anstatt ausschließlich auf die Symptome abzuzielen.

Inzwischen gibt es immer mehr Forschungsarbeiten, die sich mit präbiotischen und probiotischen Therapieansätzen befassen, um die Darmgesundheit und das Mikrobiom ins Gleichgewicht zu bringen und somit die psychische Gesundheit positiv zu beeinflussen. Eine personalisierte Medizin, die auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten und die Zusammensetzung ihres Mikrobioms eingeht, könnte zukünftig dazu beitragen, psychische Erkrankungen gezielter und effektiver zu behandeln.

Medizin am Wendepunkt

Die Anerkennung der gesundheitsfördernden Rolle des Mikrobioms erfordert einen Paradigmenwechsel von einer rein antimikrobiellen Ausrichtung hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung des menschlichen Körpers und seiner Mikroben. Dabei gilt es, überholte medizinische Praktiken wie den allzu häufigen Einsatz von Antibiotika zu überdenken und die komplexe Interaktion der Mikroorganismen besser zu verstehen.

Dr. David Perlmutter, Neurologe und Bestseller-Autor, schreibt in seinem Buch „Wie eine gesunde Darmflora unser Hirn fit hält“: „Ich glaube, es ist viel wichtiger, die Fesseln dieser Beschränkungen zu sprengen und das menschliche Mikrobiom in seiner Gesamtheit zu betrachten, um wirklich zu verstehen, wie unsere Darmgesundheit und unser Mikrobiom direkt unsere Gehirnfunktion und unser Verhalten beeinflussen.“

Unser Mikrobiom ist ein unsichtbarer, aber essenzieller Teil unserer Gesundheit. Die moderne Medizin muss sich dieser Tatsache annehmen und ihre Strategien und Behandlungsmethoden an die neuesten Erkenntnisse anpassen. Nur so können wir die Chancen nutzen, die uns das Wissen über die unsichtbaren Helden unseres Körpers bietet, und die Herausforderungen bewältigen, die diese wunderbare Vielfalt an Mikroorganismen mit sich bringt.

 

Lesen Sie bald im Teil 2 dieser Serie:
Die Mikrobiom-Forschung mag noch jung sein, doch Wissenschaftler haben bereits unbestreitbare Zusammenhänge zwischen verschiedenen Bakterien und bestimmten Krankheiten festgestellt. Die Wahrheit hinter Hippokrates’ Aussage, dass „alle Krankheiten im Darm beginnen“, wird zunehmend von heutigen Forschern anerkannt.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf theepochtimes.com unter dem Titel „Killing Bacteria with Antimicrobials and Antibiotics May Be Shortsighted, According to New Science About the Microbiome“ (Deutsche Bearbeitung von kr)



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