Schon drei Fuß über dem Kopf existieren Gottheiten

Ein hochmodernes Land lebt chinesische Traditionen und den Glauben an ein lebendiges Universum. Taiwan und seine Gottheiten.
Titelbild
Kontaktaufnahme zu den Gottheiten: Die taiwanische Göttin Ma-Tsu und die Gottheiten „Eintausend-Meilen-Auge“ und „Wirksame Ohren“ haben laut Berichten Seemänner in gefährlichen Lagen auf dem Meer gerettet.Foto: David Paul Morris/Getty Images
Von 29. Juli 2011

Vor 30 Jahren war Taiwan noch ein von Agrarwirtschaft geprägtes Land. Heute produziert Taiwan mehr Halbleiter und Elektronik als die meisten industrialisierten Länder der Welt. Die Dinge ändern sich sehr schnell in Taiwan. Wo früher Bauernhöfe waren befinden sich jetzt Straßen und Bauern sind heute Geschäftsführer von Großunternehmen. Aufgrund dieser Entwicklung versuchen Taiwaner aller Gesellschaftsschichten, vor allem diejenigen, die sich in den mittleren Jahren befinden sowie Senioren, aber auch Hochgebildete und Unternehmer, ihre Traditionen aufrechtzuerhalten und arbeiten hart daran, sie an ihre Kinder weiterzugeben.

Die Bedeutung der Tradition

Jedes Land hat seine eigenen Traditionen. Zu den faszinierendsten Traditionen zählen die Feste und Rituale, die zu Ehren der verschiedenen Gottheiten in Taiwan abgehalten werden. Mit ihren religiösen Ritualen und den opulenten Opfergaben drücken sie ihre Ergebenheit den Gottheiten gegenüber aus. Die Taiwaner glauben, dass sie dadurch ihre kulturelle Identität erhalten, aber auch ihre Zweifel beseitigen und Schwierigkeiten mildern können. Sie glauben, dass der Wunsch der Menschen nach einem harmonischen Leben, nach Koexistenz und einer Zusammenarbeit zwischen Himmel, Erde und den Menschen eine positive Auswirkung hat. Dies zeigt auch die Ehrfurcht der Taiwaner vor den grundlegenden sozialen Werten wie Loyalität, Frömmigkeit, Treue und Gerechtigkeit, von denen man glaubt, dass sie die wichtigsten Grundlagen für ein harmonisches Leben auf der Erde darstellen.

Das Göttliche ist im Alltag der Taiwaner allgegenwärtig. Viele glauben, dass es unzählige Gottheiten im Universum gibt, die sich bereits „drei Fuß über den Köpfen“ befinden. Diese Weisheit hat zu Taiwans einzigartiger religiöser Landschaft geführt, in der die verschiedenen Religionen friedlich nebeneinander gedeihen können. Dies scheint in anderen Teilen der Welt unvorstellbar. Es gibt gewissermaßen keine religiöse Diskriminierung. Es ist egal, ob Sie Buddhist, Taoist oder Konfuzianist sind. Es sind alle willkommen, sogar in ein und demselben Tempel. Neben den vielen göttlichen Wesen dieser Religionen, lassen sich in den Tempeln auch Gottheiten lokalen Ursprungs finden.

Die Verehrung der Gottheiten

Manche Gottheiten werden in Taiwan für besondere Segnungen oder für kulturelle Angelegenheiten verehrt. So wird zum Beispiel das Ritual zum anstehenden sechzehnten Geburtstag normalerweise in der siebten Nacht des siebten Monats des Mondkalenders im Ci Sing Nian Niang Tempel in Tainan abgehalten.

Der Jadekaiser wird für gewöhnlich als höchste Gottheit angesehen, aber viele Menschen beten ihn nur zu bestimmten Gelegenheiten an, da sie den mächtigen Herrn des Himmels nicht mit ihren trivialen Sorgen und Nöten belästigen wollen.

Im Gegenzug wird Tsao Chun, der Gott des Herdes oder der Küche, wesentlich häufiger verehrt. Seine Statue oder sein Abbild ist in jeder Küche in der Nähe des Herdes zu finden. Einmal im Jahr zum Neujahrsbeginn reist Tsao Chun in den Himmel, um dem Jadekaiser zu berichten, was im Haushalt passiert ist und wie sich die Familienmitglieder benommen haben. Es ist also kein Wunder, dass jeder gut Freund mit ihm sein möchte.

Der Legende nach war der Beginn seiner Karriere aber alles andere als glorreich. Als dritter Sohn des Jadekaisers verhielt sich Tsao Chun nicht standesgemäß. Aufgrund seiner Faulheit und seiner Liebeleien mit den göttlichen Schönheiten schickte ihn sein wütender Vater in die Welt der Menschen, um ihn dort, in der niedrigsten Position, seinen Dienst verrichten zu lassen – als Gott der Küche. Ironischerweise war er hier den ganzen Tag von Frauen umgeben und gleichzeitig war es ihm unmöglich, sein saloppes Leben weiterzuführen.

Wächter: Zahlreiche Gottheiten leben im Himmelreich der traditionellen Chinesen. Manche, furchterregend wirkende, sind Wächter welche das Böse fernhalten.Wächter: Zahlreiche Gottheiten leben im Himmelreich der traditionellen Chinesen. Manche, furchterregend wirkende, sind Wächter welche das Böse fernhalten.Foto: Nadia Ghattas/The Epoch Times

So, wie die Einwohner vollstes Vertrauen in die administrative Führung des Stadtgottes, den Gott des Stadtgrabens, haben, der ihre Stadt beschützt und sich um deren Belange kümmert, bitten schwangere Frauen Chu Sheng Niang Niang, die Göttin der Kinder – auch unter dem Namen Lin Shui Fu Jen bekannt – um Hilfe. Lassen Sie sich nicht verwirren. In Taiwan ist es üblich, verschiedene Namen für Menschen, Plätze und Dinge zu verwenden.

Konfuzius ist die Schutzgottheit aller Schüler, die auf gute Noten und einen guten Abschluss hoffen – egal, ob Grundschüler oder Studenten. Der Gott der Erde wird selbstverständlich von den Bauern verehrt, die für ihn kleine Altäre in die Felder bauen. Auch wenn diesen puppenhausgroßen Minitempeln oftmals ein Dach fehlt.

Die Gottheiten treten in den verschiedensten Formen auf. Man findet freundlich lächelnde Buddhas oder himmlische Schönheiten neben abscheulichen Wesen mit furchterregenden Augen. Aber diese seltsam wirkenden Wesen werden ebenfalls als gute Wesen betrachtet.

In jedem Tempel befinden sich Löwen und Drachen, um den Tempel vor dem Bösen zu beschützen. Es ist nicht selten, dass selbst leblose Objekte von den örtlichen Bewohnern als Gottheiten betrachtet werden. Zum Beispiel Felsen, von denen die Menschen glauben, dass sie der Wohnort umherwandernder Geister sind oder die Überschwemmung eines Dorfes verhindert haben.

Egal, ob alt oder jung, die Menschen gehen in die Tempel, um die Gottheiten um Rat zu fragen. Dabei kann es sich um Dinge des täglichen Lebens handeln oder Belange, die die Gesellschaft betreffen.

Die Lieblingsgottheit der Menschen

Eine der beliebtesten Gottheiten in Taiwan ist Ma-Tsu, auch bekannt als die Gottheit des Meeres. Von ihr sagt man, dass sie schon viele Fischer vor dem Tod bewahrt und ihnen beigebracht hat, wie man in Seenot geratene Menschen rettet. Der Königshof hat ihr den Titel „Königin des Himmels“ verliehen. Aber die Menschen in Taiwan bevorzugen weiterhin den Namen Ma-Tsu.

Die Legende erzählt, dass, wenn ein Schiff mit Gläubigen Schiffbruch erleidet, plötzlich eine schöne, große Frau mit einer Laterne in der Hand erscheint und das Schiff aus der Gefahr herausführt. Es gibt viele Legenden über Ma-Tsu, die davon berichten, wie sie im Zweiten Weltkrieg abgeworfene Bomben auffing und so die Menschen beschützte.

Menschen jeden Alters beziehen sich auf sie als ihre spirituelle Großmutter. Die Taiwaner glauben, dass Ma-Tsu eine Beschützerin, Heilerin und Führerin für die ist, die nicht aufhören, an sie zu glauben.

Mutter und Tochter beten in einem Taoistischen Tempel in Taipei, Taiwan.Mutter und Tochter beten in einem Taoistischen Tempel in Taipei, Taiwan.Foto: Patrick Lin/AFP/Getty Images

Da Taiwan eine Insel ist, sind die Menschen auf das Wohlwollen der Natur angewiesen. Außerdem können durch die gefährliche natürliche Umgebung leicht Unglücke passieren. Wegen ihres gütigen Schutzes wurde Ma-Tsu bald die Beschützerin Taiwans und wurde „Die Mutter des Himmels“ genannt. In Tempeln wird sie stets mit ihren beiden Begleitern dargestellt: Ch’ien Li Yen, von dem man sagt, er habe „Eintausend-Meilen-Augen“ und Shun Feng Erh, der mit seinen guten Ohren die Hilferufe der Seeleute hören kann, egal, wie weit sie entfernt sind.

Da die Menschen glauben, dass sich Ma-Tsu um jeden kümmern kann, haben die Gläubigen eine Methode entwickelt, um Kontakt zu ihr aufzunehmen: Sie verwenden „p’u kua“ – halbmondförmige Bambusblöcke.

Jeder Mondblock hat eine flache und eine runde Seite, die Yin und Yang symbolisieren. Wenn man sie auf den Boden wirft, sind also drei Antworten möglich: Entweder fallen beide auf die flache Seite, was „nein“ bedeutet oder sie fallen auf die runde Seite, dann scheint die Gottheit über die Frage amüsiert zu sein. Befinden sich Yin und Yang aber in Harmonie, fällt also ein Block auf die runde und ein Block auf die flache Seite, dann lautet die Antwort „ja“.

Für kompliziertere Angelegenheiten haben die Taiwaner eine erweiterte Methode der Weissagung mit Schicksalsstöckchen und Mondblöcken entwickelt. Ein Set von Schicksalsstöcken kann aus 60 bis 100 Bambusstöcken bestehen, die in ein zylinderförmiges Gefäß gelegt werden. Wenn man das Gefäß vorsichtig schüttelt, dann ragt eines der Stöckchen heraus und verrät die Antwort auf die Frage durch die Zahl, die sich auf dem Stöckchen befindet. Hat man die falsche Zahl, geben einem die Mondblöcke ein „nein“ und die Prozedur muss wiederholt werden: den Block werfen und das Gefäß schütteln. Ist das Ergebnis negativ, muss die Prozedur wiederholt werden. Man kann das Ganze viele Male wiederholen, da die Möglichkeit besteht, dass die Gottheiten die Frage nicht richtig verstanden haben oder sie war nicht präzise genug formuliert worden. Man sagt, dass man die Worte bei der Formulierung der Frage sehr genau wählen muss, damit sie klar und verständlich ist. Diese Methode wurde später auch in anderen Tempeln bei anderen Gottheiten angewendet.

Die Antworten werden in poetischer Form niedergeschrieben, ähnlich dem westlichen Horoskop und offen für Interpretationen. Hat man zum Beispiel die Nummer 5 gezogen, lautet die Antwort wie folgt:

„Schließe nicht die Tür und verharre zu Hause, ohne etwas zu tun. Vertraue nur dem Weihrauch, der in der Weihrauchschale verbrannt wurde. Wenn du wartest, bis du durstig bist, um die Quelle auszugraben, wie kannst du dann die Schwierigkeit überstehen?“

Aufgrund der wachsenden Popularität dieser Rituale werden die Gedichte in den Auslagen in verschiedenen Sprachen angeboten, um sich den vielen Touristen anzupassen.

Dieser Artikel auf Englisch: Meet the Popular Deities of Taiwan



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