Dushan Wegner: Die Folgen der linken Illusionen

Die Menschheit lernt nicht dazu. Gewalt, Schrecken und Terror der Vergangenheit sollten den Menschen eigentlich eine Mahnung sein, aber so ist es nicht. Dushan Wegner erklärt am Beispiel eines brennenden Mädchens das ewige Spiel der Geschichte, dass sich gerade zum x-ten Male wiederholt.
Titelbild
Gestrandete am Kölner Hauptbahnhof nach dem Anschlag im McDonalds.Foto: Michael Gottschalk/Getty Images
Von 17. Oktober 2018

Als sie die Flammen auf ihrem linken Arm sah, versuchte sie, mit der rechten Hand das Napalm wegzustreichen, deshalb trägt sie die Brandnarben am ganzen linken Arm bis heute. Ihr erster Gedanke war: »Ich wurde verbrannt. Ich werde hässlich sein. Man wird mich anders betrachten.« – Dieser erste Gedanke verschwand und ging in wortlose Angst über; sie rannte aus dem Feuer heraus. Ein Soldat gab ihr Wasser zu trinken und goss auch Wasser über ihren verbrannten Körper. Dann verlor sie das Bewusstsein.

Am 8.6.1972 griffen südvietnamesische Flugzeuge das Dorf Trảng Bàng an. Das neunjährige Mädchen Kim Phúc hatte sich mit anderen Dorfbewohnern in einem Tempel versteckt, als die Flugzeuge angriffen. Zwei ihrer Cousins und zwei weitere Menschen starben bei dem Angriff, sie selbst erlitt Verbrennungen dritten Grades.

Als Kim Phúc aus den Flammen floh, nackt, verbrannt, in Angst »es ist heiß, es ist heiß« schreiend, entstand das berühmte Foto, an das Sie jetzt denken.

Kim Phúc ist heute 55 Jahre alt; etliche Operationen später kann sie ihre Geschichte erzählen. Wir finden im Internet, etwa bei YouTube, Interviews mit ihr. Sie spricht von Vergebung und vom Frieden. Kim Phuc steht für den Horror, den Menschen einander zufügen, und sie steht für die Möglichkeit, Vergebung und Aussöhnung zu finden.

Heute ist man ja alle fünf Minuten über etwas anderes empört (was gefühltdas allgemeine politische Engagement erhöht, aber tatsächlich ernsthafte politische Initiative hemmt). Im September 2016 war man, unter anderem, darüber empört, dass Facebook das ikonische Bild der schreienden Kim Phúc zensierte –die Neunjährige war auf dem Bild nackt. Nach dem zu erwartenden Internet-Aufschrei änderte Facebook seinen Standpunkt – hinsichtlich dieses einen Bildes.

Seit jenem Napalm-Angriff ist der Kalender fast ein halbes Jahrhundert weiter, die Menschheit aber nicht wirklich. Wir haben heute neue ikonische Bilder. Auch heute werden Kinder zu Opfern menschlichen Wahns, auch heute stehen die Bilder von Kindern stellvertretend für das Versagen der Erwachsenen.

In aller kalten Detailtreue

Die Bilder der Vergangenheit sind eine Mahnung, nicht wieder dumm zu werden, nicht wieder unnötiges Leid zuzulassen. Doch, hilft es? Die Großkopferten leben ihre Neurosen aus, und was bleibt, sind die ikonischen Bilder, auf die wir gern verzichtet hätten.

Der Mensch ist von seiner eigenen Geburt an verkabelt, mit Kindern mitzufühlen; diese Eigenschaft ist nicht bei jedem gleich stark, bei Eltern ist sie unter Umständen ausgeprägter (was die Eiseskälte und Zukunftsblindheit der Berlin-Brüssel-Achse erklären könnte). Die »richtigen« Bilder helfen, das eigene politische Anliegen zu fördern, die »falschen« Bilder stehen den eigenen politischen Ambitionen im Weg, also werden sie tabuisiert.

Als jener syrische Junge vor Bodrum ertrank, da klebten Offene-Grenzen-Lobbyisten das Foto des Ertrunkenen an die digitalen Wände des Internets, auf die Frontseiten der Zeitungen und sogar, in aller kalten Detailtreue, an ganz reale Wände. Das Bild wurde mit dem Bild der neunjährigen Kim Phúc verglichen. Das Bild ist bis heute ein Teil linker Propaganda, denn es scheint zu sagen: Seht her, was passiert, wenn wir nicht die Grenzen für alle Menschen dieser Welt öffnen!

Weit weniger beliebt als das Bild des toten Alan Kurdi sind – bei den Mächtigen und ihren Propagandisten – die Bilder der Toten und Verletzten, die den Preis zahlten für offene Grenzen und blinde Toleranz gegenüber Intoleranten.

Wir denken an die Bilder des Anschlags von Nizza, an das tote Kind unter der Goldfolie, die Puppe noch an seiner Seite ; es war ein Kind von zehn. Wir denken an die Social-Media-Fotos vom Breitscheidplatz – schon da merkte man, wie unangenehm den Regierenden die Bilder sind. Während ein Kratzer an einem Bürgermeister für tagelange Berichterstattung sorgt (es ließ sich mit Mühe als »rechts« interpretieren), werden Sie im TV wenig Trauer und Mitgefühl hören für Susanna, Mia, Kaira und all die anderen Namen, die als Opfer gutmenschlichen Wahns starben (siehe z.B. »Die Schuld der Gutmenschen«).

Gestern gab es in Köln wieder ein Ereignis. Der Bahnhof war abgesperrt, doch Anwesende sahen, was passierte. Ein Mann warf einen Molotovcocktail in die McDonalds-Filiale, wo ich selbst schon nächtliche Hamburger gegessen habe. Eine Geiselnahme am Breslauerplatz, der Rückseite des Hauptbahnhofs, zum Rhein hin, wo ich selbst schon oft mit der Familie in die Bahn eingestiegen bin.

Zeugen berichteten, noch während des Ereignisses, dass eine Frau gebrannt hatte. Zeugen sahen den Täter und sie schlossen auf seine Herkunft. Später würde berichtet werden, dass er sich zum IS bekannt haben soll, also dass es womöglich ein Terroranschlag war – wenig überraschend also, dass noch während des Anschlags ein kleiner Info-Krieg um die Deutungshoheit ausbrach.

Der Chef des »Faktenfinders«, also eines angeblichen Fakten-Prüf-Projekts des deutschen Staatsfunks, verkündete via Twitter:

Clickbaiting, Dummheit oder gezielte Panikmache bei Eilmeldungen? Gewerkschaft der Polizei und große Medien verbreiten unbestätigte Berichte über Schüsse. Hetzer vermuten „kulturelle Bereicherung“ und behaupten, eine 15-Jährige sei angezündet worden. #hauptbahnhof #köln (@PatrickGensing, via archive.is)

Später löschte er seinen Tweet wieder. Es war wohl sogar für den sonst über alle Scham erhabenen Patrick G. allzu offensichtlich, dass er den Deutungskampf gegen die Zeugenaussagen so nicht gewinnen würde.

Je schmerzhafter die Folgen linker Illusionen ausfallen, um so aggressiver versuchen die immer wackliger auftretenden »Wahrheitssysteme«, die nicht-lizensierten Berichte über den realen Alltag und die machtkritischen logischen Schlüsse zu diskreditieren.

Das Bild von Kim Phúc wurde damals von der New York Times abgedruckt. Heute müssen Bürger die Bilder von Kindern, die an den Folgen linker Politik leiden oder sterben, an den Zensoren und Meinungspolizisten vorbeischmuggeln.

Das 14-jährige Mädchen von Köln, das wohl von einem 55-jährigen Syrer angezündet wurde, war einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Die Merkels, Hayalis oder Roths dieser Welt können nicht erahnen, was es für Eltern bedeutet, ihr Kind mit Brandverletzungen ins Krankenhaus zu fahren. »Ich wurde verbrannt. Ich werde hässlich sein«, dachte Kim Phúc damals. Was denkt das Mädchen von Köln? Was denken seine Eltern? Sind die Opfer von heute denn weniger wert, sind sie weniger zu bedauern, als die Opfer von damals?

Ein Quäntchen Schuld

Das Unrecht von früher war das Unrecht von früher. Das Unrecht von heute ist das Unrecht von heute. Das eine sollte uns mahnen, das andere zu verhindern, und nicht als Ablenkung und Entschuldigung für unser eigenes Versagen dienen. Ich habe den Verdacht, dass mancher das Unrecht von früher extra laut und larmoyant nachträglich bekämpft, weil ihm das Unrecht von heute, an dem er selbst ein Quäntchen Schuld trägt, so peinlich ist.

Ich halte wenig von Aufrufen, dass Bürger schweigen sollen über Dinge, die im Land passieren, bis der Staatsfunk die »offizielle« Wahrheit verkündet. Das tagelange leitmediale Blackout zu den sexuellen Übergriffen am Köln HbF (Silvester 2015/16) lehrt uns: Leitmedien können verschweigen, was nicht in ihr Narrativ passt, so lange wie sie damit eben durchkommen. Ein freiheitlicher, aufgeklärter Bürger zu sein bedeutet heute eben auch, im Internet zu posten, was man sieht und was sich daraus logisch erschließt, gerade weil die Berliner Priesterkaste sich daran stört.

Früher sagte man, Journalismus sei, abzudrucken, wovon ein anderer möchte, dass es nicht abgedruckt wird, denn alles andere sei PR. Ein anderes Wort für Regierungs-PR ist »Propaganda«. – Heute sind es nicht selten Journalisten, die sich als Beschwichtiger verdingen, auf dass weniger laut bekannt wird, was Menschen vor Ort mit eigenen Augen sahen.

Was wirklich passierte

Heute obliegt es oft dem Bürger selbst, zu berichten, was wirklich passierte, und es bleibt ihm nichts übrig, als selbst die logischen Schlüsse daraus zu ziehen (die /freien-denker/ können helfen, dann ist man nicht ganz so allein) – die Schlüsse der staatsnahen Journalisten sind viel zu nah am geistigen Opium, als dass sie gut für den Bürger sein könnten.

Es geht nicht darum, die Polizei in ihrer Arbeit zu behindern. Mehr denn je ist die Polizei der letzte Freund und Helfer des ehrlichen Bürgers. Was Polizisten für die Gesellschaft leisten wird viel zu wenig geschätzt von linken Politikern (um es höflich zu formulieren); Polizisten werden bespuckt und bedrängt von linker Klientel, in Berlin nehmen Linksextreme inzwischen den Tod von Polizisten in Kauf.

Im Fall von Köln hatten ja Polizeigewerkschaft und Medien berichtet, was Zeugen sagten, während der Herr vom Staatsfunk schimpfte, man möge abwarten, was die Wahrheitssysteme für Wahrheit befinden. Es geht nicht darum, die Privatsphäre nicht zu achten; der Bürger muss abwägen, wie einst Journalisten abgewägt haben, was Nachrichtenwert hat und im Zweifelsfall dann doch das Individuum unkenntlich machen. Der Bürger wird sich bilden müssen, was erlaubt ist und was nicht, und im Zweifelsfall wird er sich einen Anwalt leisten müssen – für die, die schon länger da sind, gilt der Rechtsstaat ja weiterhin in unverminderter Gerechtigkeit.

In Chemnitz blies der Staatsfunk den Videoschnipsel einer Antifa-Zelle stantepede zum Beleg für angebliche Hetzjagden auf Migranten auf, womöglich eine Unwahrheit, die aber der Kanzlerin gut zupass kam – und sie stellten damit sich sogar gegen offizielle Stellen (siehe: »Berliner Inquisition, Maaßen und die Scheiterhaufen des Wahrheitssystems«). Wenn jedoch abzusehen ist und wenn sogar Zeugen es sogar live sehen, dass die Fakten wieder einmal gutmenschlichen Wahn als ebensolchen entlarven, dann will man in den Redaktionen abwarten und abwarten und abwarten, bis Gras, Blumen und vier Sedimentschichten über die Sache gewachsen sind.

Kein braver Bürger

Ein braver Bürger, so heißt es heute, ist einer, der dem Staatsfunk mehr glaubt als dem eigenen Verstand – ich will kein braver Bürger in diesem Sinne sein, und selbst wenn ich dafür riskiere, auch mal falsch zu liegen! Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist heute die Unsitte, zu glauben, dass eine Sache dadurch wahr ist, dass der Staatsfunk sie verkündete.

Berichtet und teilt was ihr seht! Wenn die Haltungsjournalisten nervös werden, dann wisst ihr, dass ihr auf dem richtigen Pfad seid! Manches ist wahr und manches ist falsch, aber nichts ist nur deshalb wahr, weil es im Fernsehen lief. Wir haben die da oben oft genug dabei erwischt, dass sie uns Dinge verheimlichten – die Frage ist, was sie uns sonst noch verheimlichen.

Das nächste ikonische Foto, das den ungerechten Wahnsinn dramatisch zusammenfasst, es wird nicht von einem braven Journalisten mit Orden, Gehalt und Presseausweis geschossen werden, sondern von einem mutigen Bürger mit seinem Handy, der hinschaut, während die Propaganda noch die offizielle Wahrheitsvorgabe abwartet. Schaut hin und teilt, was ihr seht! Sagt die Wahrheit und denkt selbst! Glaubt wenig und prüft alles. Um es mit der Bibel (Apostelgeschichte 18:9b) zu sagen: Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht!

Zur Person: Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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