Abwehrzauber #WirSindMehr grenzt aus – Demokratie geht anders

Mit dem Hashtag WirSindMehr findet nach Meinung von Roger Letsch eine Exkommunikation von Meinung statt – und zwar durch ausgerechnet jene Menschen, die sich mit großer Vehemenz gegen Ausgrenzung, Diskriminierung oder Rassismen gefühlter oder tatsächlicher Art einsetzen.
Titelbild
Rund 50.000 sind in Chemnitz zu einem Konzert gegen Ausländerfeindlichkeit gekommen. Unter dem Motto "#wirsindmehr" spielten Bands wie die Toten Hosen, Kraftklub und Feine Sahne Fischfilet in der sächsischen Stadt.Foto: Sebastian Willnow/dpa
Von 5. September 2018

Hashtags erzählen keine Geschichte, sie erklären nichts. Hashtags sind Verkürzungen und zugleich Scheiterhaufen, auf die jeder sein Hölzchen werfen darf, solange es nur gut brennt. Hashtags betreiben die Fastfoodisierung der politischen Debatte. Denn differenzieren kann man nicht, wenn man nur brennende Holzscheite wirft.

Der Hashtag „Wirsindmehr“, der als Abwehrzauber vermeintlicher „Hetzjagden“ in Chemnitz benutzt wurde und in einem Gratiskonzert gipfelte, bei dem man „für einen guten Zweck“ den Mord an Daniel H. instrumentalisierte, ist der perfekte Anlass, kurz inne zu halten und zu schauen, ob wir uns wirklich in eine gute Richtung bewegen.

Gruppendynamik und Schwarmverhalten

Ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand unter den Konzertbesuchern auf die Idee kam, sich Gedanken über die tiefere Bedeutung dieses „Wir sind mehr“ zu machen. Doch dieser Satz, der etwas ausführlicher ja heißen will „Wir sind mehr als ihr, deshalb sagen wir, wo es lang geht, was richtig und was falsch ist“ grenzt aus und zieht eine scharfe Linie zwischen „Uns“ und „Denen“.

Hier findet eine Exkommunikation von Meinung statt – und zwar durch ausgerechnet jene Menschen, die sich mit großer Vehemenz gegen Ausgrenzung, Diskriminierung oder Rassismen gefühlter oder tatsächlicher Art einsetzen. „Wirsindmehr“ ist das hashtaggewordene Mehrheitsprinzip, nicht Ausdruck von Demokratie oder deren Verteidigung, wie behauptet wird, sondern Ausdruck von Gruppendynamik und Schwarmverhalten.

Wirsindmehr“ ist das Prinzip, mit dem man auch eine Gruppenvergewaltigung rechtfertigen könnte. Mit „Wirsindmehr“ lässt sich auch ein Anspruch von einer Milliarde afrikanischer Globalisierungsverlierer auf Leistungen des deutschen Sozialstaats gegenüber 80 Millionen Deutschen begründen. Erdogan wandelte die demokratisch verfasste Türkei mit „Wirsindmehr“ in ein autokratisches System um. Demokratie geht sicher anders.

Prinzip der Freiheit und des Rechts vs. Mehrheitsprinzip

Demokratie bedeutet, dass keine Mehrheit sich an den verbrieften Rechten aller vergreift, auch nicht an den Rechten derer, die sich nicht zur Mehrheit rechnen. Dieses Prinzip gerät vollkommen aus dem Blick der Öffentlichkeit und der Politik.

„Wirsindmehr“ ist, was im Kopf des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein vorgeht, wenn er laut über Koalitionen mit den Linken nachdenkt. Richtig ist für ihn, was ihm eine Mehrheit und damit den Machterhalt sichert, politische Prinzipien zählen da nicht.

Unter der Losung „Wirsindmehr“ gäbe es in Familien mit drei Kindern zum Mittag nur noch Gummibärchen und Limonade, es lassen sich unter diesem Slogan aber auch Bücherverbrennungen rechtfertigen, Autoren erpressen, Kreditrückzahlungen einstellen, Enteignungen vornehmen oder Gedanken verbieten.

Vielleicht wäre genau jetzt der Zeitpunkt gekommen, ernsthaft darüber nachzudenken, ob man das Prinzip der Freiheit und des Rechts wirklich dem Mehrheitsprinzip opfern sollte. Denn wenn in 50 oder 100 Jahren unter der „Wirsindmehr“-Fahne die Einführung der Scharia in Deutschland gefordert werden sollte, ließe sich die Intention eines Hashtags aus dem Jahr 2018 nicht mehr ändern.

Im Original erschienen auf dem Blog von Roger Letsch unbesorgt.de

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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