Aus US-Sicht: Deutschland fordert China heraus

Deutschlands neue China-Strategie zeigt eine Wende zur Vorsicht, wenn nicht sogar zur Feindseligkeit. Berlin hat seine Annäherung an Peking revidiert und seine ehemals entgegenkommende und wohlwollende Haltung durch eine eher vorsichtige und ablehnende ersetzt. Ein Kommentar.
Titelbild
Deutsch-chinesische Konsultationen in Berlin: Der chinesische Ministerpräsident Li Qiang (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) sprechen am 20. Juni 2023 zu den Medien.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 30. Juli 2023

Washington wird zweifellos behaupten, Deutschland sei dem Beispiel Amerikas gefolgt und habe einen ähnlichen Wandel vollzogen. Angesichts des umfassenden Ansatzes Berlins, der das Ergebnis eines beträchtlichen Kompromisses ist, scheinen die Deutschen in dieser Frage allerdings die Führung selbst übernommen zu haben, ähnlich wie es Japan beim jüngsten G7-Treffen in Hiroshima getan hat.

Im 64-seitigen Strategiepapier von Bundeskanzler Olaf Scholz heißt es, Deutschland müsse sich ändern, weil China sich geändert habe. Peking versuche, die „regelbasierte internationale Ordnung“ zu zerstören, die nach deutscher Auffassung seit Jahrzehnten den internationalen Handel und die Finanzen regelt. Das Berliner Strategiepapier fügt hinzu, dass Peking darauf abziele, China vom Rest der Welt unabhängig zu machen und gleichzeitig andere Volkswirtschaften von China abhängig zu machen.

Obwohl das Strategiepapier betont, dass China ein „Partner“ im Handel mit Deutschland bleibe, beschreibt es auch Pekings „systemische Rivalität“ als „zunehmend ausgeprägt“. Das Berliner Strategiepapier wirft Peking unter anderem vor, „technische Abhängigkeiten […] zur Durchsetzung politischer Ziele“ zu nutzen und „zivile und militärische Politik“ zu verschmelzen. Dies und das Hegemoniestreben Pekings im indopazifischen Raum stelle eine Bedrohung für Europa und die globale Sicherheit dar, heißt es in der neuen Strategie.

Seit einiger Zeit ist Washington Peking gegenüber zunehmend misstrauisch und manchmal feindselig eingestellt. Rein vom Timing her sieht es so aus, als würde Berlin folgen. Angesichts der Kritik, die Berlin in der Vergangenheit an Washington geübt hat, und der erst kürzlich erfolgten Handelsmission von Scholz in China ist es jedoch wahrscheinlicher, dass der deutsche Kurswechsel eine unabhängige Entscheidung widerspiegelt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Bundesnachrichtendienst erst kürzlich China als „größte Bedrohung im Bereich der Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage und der ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland“ bezeichnet hat.

Berlin hat eine indirekte Warnung vor Chinas wachsenden Ambitionen zur Handelsdominanz aus einem kürzlich veröffentlichten Bericht erhalten, wonach die deutschen Exporte nach China im Jahr 2022 nur um 3,1 Prozent gestiegen sind. Die Importe aus China stiegen jedoch um satte 33,6 Prozent, was Deutschland ein negatives Handelsdefizit von fast 100 Milliarden Euro bescherte.

Vor diesem Hintergrund zielt die neue deutsche Strategie darauf ab, Deutschland „in kritischen Sektoren unabhängiger“ zu machen, wobei Medizintechnik, Pharmazeutika und Seltene Erden besonders hervorgehoben werden. Die neue Strategie zielt auch darauf ab, das geltende Recht dahin gehend zu ändern, dass „Sicherheitsinteressen“ in allen Handelsverträgen und bei deutschen Investitionen in China berücksichtigt werden. Es soll eine Liste von Gütern erstellt werden, die Exportbeschränkungen unterliegen, wobei der Schwerpunkt auf Cybersicherheit und Überwachung liegen soll. Die Strategie zielt auch darauf ab, „unsere [deutschen] Wirtschaftsbeziehungen mit Asien und darüber hinaus auszubauen“.

Besonders irritierend für Peking dürfte sein, dass die neue deutsche Strategie eine starke und eindeutige Position zu Taiwan einnimmt. Sie verpflichtet Berlin, die Beziehungen zur Insel zu verbessern, unterstützt die Teilnahme Taiwans an internationalen Organisationen und besteht darauf, dass eine Wiedervereinigung mit dem Festland „friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen“ erfolgen müsse. Das Dokument schließt sich auch dem Druck der USA auf China an, seinen Status als „Entwicklungsland“ in der Welthandelsorganisation (WTO) aufzugeben.

Ein Containerschiff der China Shipping Line wird im Hamburger Hauptcontainerhafen beladen. Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die Deutschen sprechen nicht von einer „Entkoppelung“ vom chinesischen Handel, wie es in Washington üblich geworden ist. Stattdessen bevorzugen sie den Ausdruck „De-Risking“. Damit meint Berlin, die Handelsbeziehungen mit China aufrechtzuerhalten, sich aber vor Abhängigkeit, chinesischen Schikanen und unfairen Handelspraktiken zu schützen. Obwohl die Strategie nicht darauf abzielt, die beiden Volkswirtschaften voneinander zu trennen, empfiehlt sie der deutschen Wirtschaft nachdrücklich, ihre Lieferketten weg von China zu diversifizieren.

Auf die Frage, ob Berlin eine solche Diversifizierung anordnen würde, stellte Scholz klar, dass ein solcher Schritt nicht notwendig sei, da deutsche Unternehmen bereits ohne staatlichen Druck diversifizieren würden. Und wie die Leser dieser Kolumne wissen, gilt dies auch für die amerikanische und japanische Wirtschaft.

Natürlich ist Peking über diese Entwicklung in Deutschland alles andere als erfreut. Während sich die USA und Japan seit geraumer Zeit gegen die unfairen und teilweise missbräuchlichen Handelspraktiken Pekings wehren, scheinen die Europäer, insbesondere die Deutschen, sich gegenüber China einen Vorteil verschaffen zu wollen, während die Amerikaner und Japaner auf Distanz gehen. Erst vor wenigen Monaten führte Scholz eine deutsche Handelsdelegation nach Peking, und erst vor wenigen Wochen betonte der chinesische Premierminister Li Qiang die enge Bindung Chinas an die Europäische Union und speziell die „soliden Beziehungen“ zu Deutschland.

Peking muss diese europäische Positionierung als eine Art Schutz vor amerikanischen und japanischen Anfeindungen verstanden haben. Mit der jüngsten Vereinbarung der G7-Staaten, die Abhängigkeit von China zu begrenzen, und der neuen Strategie Berlins ist dieser Schutzwall verschwunden. Bisher hat die Welt nur wenige Gegenmaßnahmen Pekings gesehen, aber dafür ist es noch zu früh.

Zum Autor

Milton Ezrati ist mitwirkender Redakteur bei der US-Fachzeitschrift „The National Interest“, die sich mit dem Thema internationale Beziehungen beschäftigt. Außerdem ist er Chefökonom bei Vested, einem in New York ansässigen Kommunikationsunternehmen. Bevor er zu Vested kam, war er leitender Marktstratege und Wirtschaftswissenschaftler bei Lord, Abbett & Co, einer unabhängigen Anlageverwaltungsgesellschaft in New Jersey. Zudem schreibt er häufig für das US-Magazin „City Journal“ und bloggt regelmäßig für das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“. Sein neuestes Buch ist „Thirty Tomorrows: The Next Three Decades of Globalization, Demographics, and How We Will Live“. Es ist zurzeit nur auf Englisch verfügbar.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „Germany Challenges China“ (deutsche Bearbeitung jw)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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